Digitale Teilhabe: souverän und sicher im Internet
Bereits der 15. Kinder- und Jugendbericht1 stellt fest, dass soziale Teilhabe für Kinder und Jugendliche mit digitaler Teilhabe verknüpft ist. Über digitale Teilhabe werden grundlegende soziale Chancen und Ressourcen verteilt. Digitale Teilhabe eröffnet Kindern und Jugendlichen Orientierungs- und Handlungsspielräume, in denen sie Kernherausforderungen des Jugendalters - die Verselbstständigung, die Selbstpositionierung und die Qualifizierung - bearbeiten. Das Alltagshandeln von Kindern und Jugendlichen ist daher zunehmend digital durchdrungen: 94 Prozent der jungen Menschen besitzen ein eigenes Smartphone, 76 Prozent einen eigenen Computer/Laptop. Die Hälfte der Jugendlichen hat einen eigenen Fernseher im Zimmer, ein Drittel einen Smart-TV und 59 Prozent besitzen eine feste und/oder tragbare Spielkonsole.2 Die Freizeit junger Menschen, ihre Kommunikation untereinander und mit anderen findet immer häufiger, länger und bezogen auf immer mehr Themen im Kontext mit Medien statt.3 Mit der Digitalisierung verändern sich zudem (nicht nur bei jungen Menschen) die Präsenzformen: Begegnungen mit anderen beziehungsweise die Teilnahme an Veranstaltungen erfordern keine körperliche Anwesenheit mehr, sondern werden immer häufiger über mediatisierte Kommunikation hergestellt.4 Dies eröffnet auch jungen Menschen mit Beeinträchtigungen neue Wege der sozialen Teilhabe. Die Kinder- und Jugendmedienforschung geht daher insgesamt davon aus, dass junge Menschen "sich längst hybrid sozialisieren".5
Medien als unterstützend und fordernd erlebt
Dies bestätigen auch die Ergebnisse der Studie "DigiPäd 24/7".6 In der Untersuchung wurden von einem Team der Technischen Hochschule Köln und der Universität Hildesheim in qualitativen Interviews die Wahrnehmungen und Erfahrungen von 30 Kindern und Jugendlichen sowie 26 Fachkräften in stationären Einrichtungen der Erziehungs- und Eingliederungshilfe und Internaten erhoben.
Darüber hinaus wurde der Umgang mit der Digitalität aus einer rechtlichen und organisationalen Perspektive analysiert. Deutlich wurde in der Studie, dass Kinder und Jugendliche die Allgegenwärtigkeit digitaler Medien als unausweichlich und gleichermaßen unterstützend wie auch fordernd erleben. So erfüllen digitale Medien für sie vielfältige Funktionen sowohl im Rahmen ihrer Identitäts- und Beziehungsarbeit als auch ihrer Informationsbeschaffung für Schule und Freizeit. Die Mediennutzung und Medieninhalte liefern ihnen Gesprächsanlässe, dienen dazu, sich der anderen zu vergewissern, sich zu erproben, zu positionieren und selbstwirksam zu erleben wie auch persönliche und entwicklungsbezogene Themen wie zum Beispiel Hobbys, das erste Date, politische Statements, die erste Partnerschaft oder die Ablösung von den Eltern zu besprechen.
Für Kinder und Jugendliche in 24/7-Einrichtungen entfaltet die digitale Kommunikation für ihr Zusammenleben und Wohlbefinden dabei eine besondere Bedeutung, weil sie in Distanz zu ihrem bisherigen Lebenskontext leben. Gleichzeitig zeigt sich, dass die jungen Menschen in 24/7-Einrichtungen derzeit nur unter erschwerten Bedingungen kommunikativ teilhaben können: Sie verfügen noch nicht frei über die oben erwähnte Medienausstattung, werden in den Einrichtungen mit einer unzureichenden digitalen Infrastruktur konfrontiert und ihr Medienhandeln wird stark reguliert - sowohl zeitlich als auch räumlich und inhaltlich. Die Fachkräfte, die im Projekt danach befragt wurden, begründen die Einschränkungen mit der digitalen Vulnerabilität, die sie den dort lebenden Kindern und Jugendlichen aufgrund ihres Alters, ihrer Beeinträchtigungen, ihrer Biografie und derzeitigen Lebenssituation zuschreiben. Ihr Anliegen ist es in erster Linie, Kinder und Jugendliche vor den Gefahren, die mit der Medienkommunikation einhergehen, zu schützen. Es fällt ihnen schwer, das Medienhandeln als für die Kinder und Jugendlichen wichtige und mit einem Sinn verknüpfte Beschäftigung anzusehen und anzuerkennen. Zeitgleich fühlen sich Fachkräfte im Umgang mit digitalen Medien und deren Gebrauch durch die jungen Menschen verunsichert und sehen sich in der pädagogischen Begleitung der Kinder und Jugendlichen weitgehend auf sich selbst gestellt. Sie vermissen ein einheitliches, konzeptionell rückgebundenes Vorgehen sowie entsprechende organisationale Vorgaben. Als Folge dessen, dass sie den Sinn der Mediennutzung nicht erkennen und deren Risiken schwer abschätzen können, beschränken sie die Medienaktivitäten. Die Hintergründe und Sinnhaftigkeit der Zugangsbeschränkungen sind den Kindern und Jugendlichen allerdings oftmals unklar, so dass Konflikte vorbestimmt sind.
Dreiklang der Kinderrechte: Schutz, Förderung und Beteiligung
Derzeit bieten 24/7-Einrichtungen jungen Menschen daher wenig Möglichkeiten zur digitalen Teilhabe und Förderung von Medienbildung und tragen damit dazu bei, dass die digitale Kluft zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen weiter zunimmt ("Digital Divide"). Die UN-Kinderrechtskonvention verlangt jedoch, den Schutz junger Menschen vor potenziellen Gefahren in erster Linie durch ihre Förderung und mit ihrer Beteiligung, statt durch Zugangsbeschränkungen und andere Restriktionen zu bewirken. Schutz, Förderung und Beteiligung sind immer im Dreiklang zu denken. Diesen Dreiklang der Kinderrechte gilt es in Bezug auf die analog-digitale Teilhabe zu beachten. Dies betonen auch der Europarat und der UN-Kinderrechtsausschuss in ihren Empfehlungen und Leitlinien zur Achtung, Förderung und Verwirklichung der Rechte des Kindes im digitalen Umfeld.7 Die in § 1 Abs. 3 SGB VIII und § 1 SGB IX geregelten gesetzlichen Aufträge der Einrichtungen und Dienste der Eingliederungs- und Erziehungshilfe, Kindern und Jugendlichen eine gleichberechtigte und selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, gelten somit auch im digitalen Raum. Demnach können junge Menschen in ihren Grundfreiheiten und ihrer digitalen Teilhabe nur dann eingeschränkt werden, wenn ihr Schutz vor konkreten Gefahren nicht auf anderem Wege bewirkt werden kann. Schutzmechanismen sind zum Beispiel technische Voreinstellungen, aber vor allem die Aufklärung über mögliche Risiken und die Förderung von Kompetenzen im Umgang mit Medien(-welten) und somit auch das Einüben geeigneter Schutzstrategien.
Was Einrichtungen tun können
Im Rahmen von "DigiPäd 24/7" wurden auf der Grundlage dieses rechtebasierten Ansatzes und aufbauend auf den Forschungsergebnissen zusammen mit den jungen Menschen und Fachkräften Handlungsempfehlungen erarbeitet. Diese beschreiben, wie 24/7-Einrichtungen die Anforderungen, Potenziale und Folgen der Digitalisierung systematisch in den Blick nehmen und gemeinsam ein offenes, akzeptierendes organisationskulturelles Klima schaffen können, das die Mediennutzung als unverzichtbaren Teil sozialer Teilnahme anerkennt und die Förderung von Medienbildung vorsieht.
Erste wichtige Schritte bestehen darin, die notwendige digitale Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, eine Akzeptanz für das Medienhandeln junger Menschen zu entwickeln und Kinder und Jugendliche in die Planung und Ausgestaltung von Schutz- und Fördermaßnahmen einzubinden.8
Anmerkungen
1. Deutscher Bundestag (Hrsg.): 15. Kinder- und Jugendbericht. Deutscher Bundestag Drucksache 18/11050. Berlin, 2017.
2. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.): JIM-Studie 2021 - Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Stuttgart, 2021, S. 6. Siehe www.mpfs.de; Kurzlink: https://bit.ly/3suc5lh
3. Vgl. Krotz, F.: Die Mediatisierung des kommunikativen Handelns. Der Wandel von Alltag und sozialen Beziehungen, Kultur und Gesellschaft durch die Medien. Opladen: Westdeutscher Verlag, 2001, S. 33.
4. Licoppe, C.: ,Connected‘ Presence: The Emergence of a New Repertoire for Managing Social Relationships in a Changing Communication Technoscape. Environment and Planning D: Society and Space 22 (1), 2004, S. 135-156.
5. Hugger, K.-U. (Hrsg.): Digitale Jugendkulturen. 2. Auflage. Wiesbaden: Springer VS, 2014, S. 21.
6. TH Köln, Universität Hildesheim (Hrsg.): DigiPäd 24/7: Das Recht junger Menschen auf analog-digitale Teilhabe verwirklichen - Empfehlungen für stationäre Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie Internate. Köln/Hildesheim, 2022. Abrufbar unter: https://digipaed24-7.de
7. Europarat (Hrsg.): Leitlinien zur Achtung, zum Schutz und zur Verwirklichung der Kinderrechte im digitalen Umfeld. 2019; Kurzlink: https://bit.ly/3stHRyC
Siehe dazu auch: UN Committee on the Rights of the Child (Hrsg.): General Comment on Children’s Rights in Relation to the Digital Environment. Genf, 2021. Kurzlink: https://bit.ly/3LmhscD
8. Diese und weitere Empfehlungen sind en détail auf der Website des Projekts abrufbar: https://digipaed24-7.de
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