Caritas, Kirche und Gesellschaft
War es Zufall oder Fügung? Just am ersten Sitzungstag der Bundeskonferenz der Orts-Caritasvorstände am 30. Mai stellte die Deutsche Bischofskonferenz ihren Entwurf einer neuen Grundordnung für den kirchlichen Dienst online und lud zur Diskussion ein. Damit wurde ein wichtiger Tagesordnungspunkt mit Fakten unterfüttert. Die hinzugeladene Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa hatte in der bischöflichen Arbeitsgruppe am Entwurf mitgearbeitet und erkennt darin einen grundlegenden Paradigmenwechsel. Die individuellen Loyalitätsobliegenheiten spielten keine Rolle mehr, sondern die institutionelle Loyalität trete in den Vordergrund.
Fragen zur Grundordnung
In der Diskussion zur Grundordnung, die bei der dreitägigen Konferenz in Freiburg mehrfach geführt wurde, kam auch vonseiten der Ortsvorstände aus binnenkirchlicher Sicht Zustimmung zum Entwurf. Doch wurde mit Blick auf die Gesamtgesellschaft auch in einigen Punkten Diskussionsbedarf angemeldet. Nach wie vor habe das Papier eher ordnungspolitischen denn identitätsstiftenden Charakter. Hier wäre eine einladendere Haltung zielführender - zumal vor dem Hintergrund des akuten Fachkräftemangels. Ließe sich der strafende Duktus bei den Themen Kirchenaustritt und kirchenfeindliches Verhalten nicht umgekehrt positiv formulieren, etwa im Sinne der letzten der "Zehn Zusagen"? Müsse man nicht auch mehr differenzieren zwischen pastoralen Mitarbeitenden und denen im Dienste der Caritas? Sollten die identifikationsbildenden Angebote nicht für alle gelten statt nur für Nichtkatholik:innen und sind für ehrenamtlich Mitarbeitende tatsächlich dieselben Maßstäbe anzulegen? In einer kleinen Arbeitsgruppe werden die Ortsvorstände eine eigene Position erarbeiten, die im Umlaufverfahren verabschiedet und dann in den verbandlichen Diskussionsprozess um die Grundordnung rechtzeitig eingespeist werden soll. Als Orientierung sollen hierbei auch die "Zehn Zusagen" dienen, die von der Kommission Caritasprofil der Delegiertenversammlung erarbeitet und vom Caritasrat des DCV allen Mitgliedern zur Unterzeichnung empfohlen wurden (neue caritas Heft 8/2022, S. 22 und in diesem Heft, S. 6).
"Zehn Zusagen" als Signal -der Stand im Synodalen Weg
Regina Hertlein, Vorsitzende im OCV Mannheim sowie einerseits stellvertretende Vorsitzende der Profilkommission und andererseits Sprecherin der Ortsvorsitzenden, warb eindringlich dafür, die "Zehn Zusagen" zu unterzeichnen. "Dies ist ein wichtiges Signal gegenüber den Bischöfen bei der Diskussion zur Grundordnung", so Hertlein. Caritas habe hier ein missionarisches Potenzial, auch diejenigen zu binden, die der Amtskirche den Rücken zugekehrt haben, war die Ansicht eines anderen Ortsvorstandes. Man dürfe die Kirchenkrise nicht automatisch mit einer Glaubenskrise gleichsetzen.
FAZ-Journalist Daniel Deckers moderierte auf der Konferenz eine Diskussion zum Synodalen Weg der Kirche und seine Implikationen für die Caritas. Thomas Söding, Vizepräsident des Zentralkomitees der Katholiken, konstatierte "frustrierte Akteure, die mit kleinen Nebenrollen abgespeist werden". Doch die Neinsager aufseiten der Bischöfe nähmen seiner Beobachtung nach deutlich ab. Auf Caritas-Ortsebene zeigte man sich erschrocken darüber, dass Caritas und diakonisches Handeln kaum Themen seien in den Arbeitsgruppen zum Synodalen Weg, und lud zu mehr zivilem Ungehorsam ein, damit sich Kirche verändert.
Suizidassistenz - ein heißes Eisen für die Caritas
Mit der von ihm gewohnten Eloquenz fächerte der Moraltheologe Andreas Lob-Hüdepohl, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, die Problemlage zum geplanten Schutzgesetz zum assistierten Suizid auf. Da das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben habe, stünden Kirche und Caritas in einer Bringschuld.
"Ich bin für den unbedingten Letztentscheid des Betroffenen. Wir müssen, können und dürfen nicht das Leben der anderen leben wollen", so Lob-Hüdepohl. "Andererseits geht es beim Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht um eine begrenzte Motivlage, sondern um das Recht über das ganze Leben hinweg", wies er auf die Gefahr einer prekären Selbstbestimmung hin. Es müsse Einrichtungen möglich sein, zu entscheiden, einen Schutzraum anzubieten, in dem Suizidassistenz nicht zu einem faktischen Regelangebot werde, so seine Folgerung. Gleichzeitig brauche es die Hinwendung zur Diakonie und zu den Menschen in allen Dunkel- und Verstiegenheiten des Lebens, zitiert er Pater Alfred Delp.
Die Ausführungen von Astrid Giebel vom Diakonischen Werk verdeutlichten, dass unter "Safe Places" sehr Unterschiedliches verstanden wird und dass es auch bei den diakonischen Trägern ambivalente Einstellungen zur Zulassung von gewerblicher Assistenz gibt. Für beide Diskutant:innen war klar, dass in Gesetz und Praxis die Prävention eine vorrangige Rolle habe. Hier steuerte Regina Hertlein die Bedenken aus der Praxis bei: "Wie kann unser Personal kompetent diese präventive Rolle ausfüllen?" Bei den momentanen Personalressourcen mache sie sich hierzu große Sorgen.
Eine weitere Diskutantin äußerte ihre Sorge, dass die Deutsche Bischofskonferenz den Einrichtungen Schutzräume verordne und diese so verstehe, dass auch eine Duldung in einer katholischen Einrichtung untersagt sei. Dann stelle sich die Frage, ob die Mitarbeitenden bei einem assistierten Suizid dabei sein dürfen, sofern sie selbst und die Klient:innen das wollen. Die Position des DCV sei hier noch nicht der Weisheit letzter Schluss.
Nicht nur Kirchenpolitik, sondern auch Sozialpolitik stand auf der weiteren Agenda der Bundeskonferenz. Nachdem in der letzten Legislaturperiode aus der Pflegereform nur ein kleines Reförmchen wurde, stehen weitere Schritte an. Die per Video zugeschaltete DCV-Pflegeexpertin Elisabeth Fix stellte die Stellschrauben vor, an denen in der Pflege weitergedreht werden müsse und woran in Berlin bereits gearbeitet werde. So seien bei der Personalbemessung Lücken zu schließen, es brauche eine Ausbildungsoffensive, eine bundesweit einheitliche Assistenzausbildung, Entbürokratisierung in der Pflege sowie eine stärkere Tarifbindung.
Anforderungen an die Pflege
Aus der Praxis vor Ort kamen Ergänzungen hinzu. So seien die ambulant betreuten Wohngemeinschaften bei der Begrenzung des Eigenanteils an der Pflege vergessen worden. Ungeklärt sei die Finanzierung der Pflegeschulen sowie die Frage, aus welchem Topf Springerpools finanziert werden sollen. Sie dürften nicht zur Erhöhung des Eigenanteils führen. Die ebenfalls zugeschaltete Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Sabine Dittmar, konnte nicht alles beantworten, versprach jedoch, die Themen in ihre Fachabteilungen mitzunehmen. Sie stellte in Aussicht, dass nach der Sommerpause mit der Arbeit an einer Pflegereform gestartet werde. Bereits jetzt verweist sie auf das Potenzial, das in der Digitalisierung der Pflegeverwaltung liege.
Eines war zu Ende der Bundeskonferenz klar: Einige Themen werden 2023, dann in Kassel, wieder auf der Tagesordnung stehen.
Klimaschutz in die Sozialgesetze
Gewalt im Netz gegen Frauen muss stärker bekämpft werden
Trotz Distanz Nähe zu den jungen Menschen schaffen
Digitales Know-how fördern: gemeinschaftlich und partizipativ
Findige Geldquellen
Starke Mütter im Beruf
Controlling wird immer wichtiger
Beratung ist gut, faire Arbeit besser
Grundsteuerreform: Was gemeinnützige Sozialunternehmen tun müssen
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}