Erstrittene Kompromisse haben zu großen Fortschritten geführt
Die Zusammenarbeit in der Auslandsarbeit der innerverbandlichen Gliederungen des DCV mit Caritas international1 (Ci) hat eine lange Tradition. Bereits bei einer der ersten großen Auslandshilfen von Ci, beim Ungarnaufstand 1956/57, gab es eine Kooperation mit der Diözese Passau. Dort wurde ein zentraler Umschlagplatz für Hilfsgüter aus allen Diözesanverbänden Deutschlands eingerichtet. Im Bahnhof Passau wurden damals 77 Waggons mit Hilfsgütern beladen und per Bahn und Schiff nach Budapest transportiert.
Ein anderes frühes Beispiel sind die Hilfen über den Diözesan-Caritasverband (DiCV) Münster im Biafrakrieg 1967 bis 1970. Dessen eigenes Zolllager diente dabei als unverzichtbare Drehscheibe, auch für die Hilfen von Ci, denn dort konnten Hilfsgütertransporte für die Verschiffung selbst verplombt werden.
Die Abstimmung der Auslandshilfen der verbandlichen Gliederungen mit Ci barg immer schon manche Herausforderung. Ein Rückblick auf Erfolge, Risiken und Nebenwirkungen der Zusammenarbeit lohnt, auch um auf dieser Grundlage den Blick nach vorne zu richten. Hier soll auf den Zeitraum der letzten 30 Jahre mit Fokus auf Osteuropa ein[1]gegangen werden. Diese Engführung bietet sich an, da 1989 mit der politischen Wende in Osteuropa und dem Fall der deutsch-deutschen Mauer die Auslandshilfen auch für die verbandlichen Gliederungen auf ein zuvor kaum bekanntes Maß anwuchsen. Quasi über Nacht öffnete sich der Eiserne Vorhang zu einer riesigen Region im Osten Europas, die für die Caritas seit Jahrzehnten eher ein weißer Fleck auf der Weltkarte war.
Infolge des zerfallenden Ostblocks herrschte dort erhebliche soziale und strukturelle Not, sichtbar zum Beispiel in erschreckenden Bildern von verwahrlosten Kinder[1]und Waisenheimen in Rumänien. Dramatisch befeuert wurde die Lage durch bewaffnete Konflikte wie in Jugoslawien, Moldawien oder Georgien. Insbesondere die Hilfen für die Opfer der Kriege auf dem Balkan standen lange Zeit im Fokus und drängten die Überseehilfen der Gliederungen für einige Zeit zurück, ohne sie aber ganz aus den Augen zu verlieren.
Zunächst galt es in fast allen Ländern Osteuropas, Caritasstrukturen (neu) zu erschaffen. In Freiburg wurde daher bei Ci 1990 das Referat Strukturhilfe Osteuropa gegründet. Parallel dazu arbeitete die bereits seit längerem bestehende Abteilung Diasporahilfe in der Zentrale noch einige Zeit weiter und wurde dann mit Ci verschmolzen.
Oft reichte ein VW-Bus, um pragmatisch zu helfen
In dieser Zeit des politischen Wandels ergaben sich auf verschiedenen Ebenen spontan Hilfsaktionen für die Nachbarn im Osten. Für Hilfslieferungen ins benachbarte Ausland war oft schon ein VW-Bus ausreichend, um pragmatisch und rasch zu helfen. Die Auslandshilfe wurde so quasi zur Nachbarschaftshilfe, insbesondere für die damals schon erfahrenen Caritas-Gliederungen im Südosten Deutschlands. Getragen wurden diese Hilfen überwiegend durch das Ehrenamt, in einigen DiCV gab es jedoch auch hauptamtliche Auslandshilfestellen.
Bis heute beteiligen sich auch viele Orts- und Pfarr-Caritasverbände mit eigenen Spendenaufrufen und Aktionen: So erfolgten zahlreiche Transporte von Hilfsgütern im Wert von mehreren Millionen D-Mark allein in den 1990er-Jahren nach Osteuropa.
Für die Einfuhr von Hilfsgütern nach Osteuropa gab es durch den Zerfall der dortigen behördlichen Strukturen zunächst nur wenig Beschränkungen. Aber durch die Verhängung von Waffenembargos gegenüber kriegsbetroffenen Ländern wurden die Kontrollen an den Grenzen bald wieder deutlich verschärft. Etliche Hilfsgütertransporte wurden an den Grenzen abgewiesen oder festgesetzt. Zudem kam es durch unabgestimmte Lieferungen zu Doppelungen und Überversorgungen einzelner Diözesen oder Pfarreien mit besonders guten Kontakten zu Caritas-Gliederungen in Deutschland.
Gut gemeint, aber nicht immer gut vorbereitet
Auch im Hinblick auf die Sicherheitslage in den Kriegsgebieten und hinsichtlich eines fachlichen Austauschs nahm der Bedarf an Abstimmung kontinuierlich zu. Nicht zuletzt geriet auch das Image der Caritas durch manch gut gemeinte, aber nicht immer gut vorbereitete Hilfsaktion in Gefahr. Beispielsweise wurden Transporte mit teils geschickt gefälschten oder blanko ausgestellten "Caritas-Begleitpapieren" abgefangen, in denen sich unter anderem als Gebrauchtkleider deklarierte NVA-Uniformen oder sogar Waffen befanden.
Eine bessere Abstimmung tat also not, um Schaden abzuwenden. So hat Ci zunächst anlassbezogen die in der Auslandshilfe aktiven DiCV zu Abstimmungstreffen nach Freiburg eingeladen. Den Schwerpunkt bildete dabei das ehemalige Jugoslawien. Am Rande der unregelmäßig stattfindenden Tagungen tauschte man sich aber auch über andere Länder aus. Zu ausgewählten Tagungen wurden externe Referenten aus Politik und Wissenschaft hinzugezogen.
"Nicht immer konfliktfrei, aber fruchtbar"
Etwa zur gleichen Zeit stiegen weltweit die Ansprüche an die humanitäre Hilfe. So wurden 1992 Verhaltensregelungen unter den deutschen Hilfsorganisationen festgelegt2 und internationale Empfehlungen für Mindeststandards für Nothilfen (Sphere Standards3 ) und deren Gruppierungen in Clustern unter UN-Koordination vereinbart. Die staatlichen Geber, wie das Auswärtige Amt, das Entwicklungsministerium sowie multilaterale Geber wie EU oder UN, verschärften in dieser Zeit ihre administrativen Vorgaben erheblich. Auch private Spender(innen) forderten zunehmend mehr Transparenz über die Verwendung ihrer Beiträge.
Der Bedarf, die Caritas-Auslandsarbeit zu verorten und an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen sowie Abstimmungen besser zu regeln, wurde immer deutlicher. Dies mündete 1999 in der Gründung einer Arbeitsgruppe aus Vertreter(inne)n der DiCV und von Ci. Als Ergebnis entstand ein vom DCV-Zentralrat in Erfurt am 11. Oktober 2000 zustimmend zur Kenntnis genommenes Fachpapier, das unter dem Titel Erfurt-Papier firmiert.4 Im darin beschriebenen Handlungsrahmen wird unter anderem die Wertschätzung für die Auslandsarbeit der DiCV geäußert und es werden Aufgaben und Zuständigkeiten auf den verschiedenen Ebenen definiert. Im Erfurt-Papier wurde auch eine jährlich durch Ci nach Freiburg einzuberufende "Fachtagung Zusammenarbeit in der Auslandshilfe" mit Vertretern der auslandsaktiven DiCV und der Auslandsabteilung des Malteser Hilfsdienstes beschrieben. Diese Jahrestagung findet bis heute in Freiburg statt. Im CariNet gibt es dazu eine Arbeitsgruppe und eine Plattform zum Austausch von Fach[1]papieren und Protokollen sowie einer Liste über DiCV-Auslandsprojekte.
Gute Kompromisse zwischen den Akteuren
Der Austausch auf Tagungen, aber auch die persönlichen Treffen im Ausland zwischen Ci und DiCV-Mitarbeitenden waren sehr auf[1]schlussreich und fruchtbar, wenn auch nicht immer konfliktfrei. Unterschiedliche Auffassungen gab es beispielsweise in Fragen zur Migration, zum Zugang zu EU- und Bundes[1]mitteln oder zum richtigen Maß notwendiger Administration. Und dennoch, oder vielleicht auch gerade wegen der zum Teil erstrittenen Kompromisse und Abstimmungen der Hilfen, hat die innerverbandliche Zusammenarbeit in der Auslandshilfe in einer kritischen Phase große Fortschritte gemacht. Es hat sich gezeigt, dass diese Zusammenarbeit in ihrer Komplementarität auf verschiedenen Ebenen zu großer Stärke heranwachsen kann, die andere Hilfsorganisationen kaum oder nur sehr schwer erlangen können. Komparative Vorteile gegenüber anderen Hilfsorganisationen sind unter anderem die operativen Fachkenntnisse aus den Caritas-Einrichtungen und -Fachverbänden sowie die Verwurzelung der Caritas auf der internationalen, nationalen, regionalen bis hin zur örtlichen Ebene.
Dies bietet ein riesiges Potenzial für einen Erfahrungsaustausch mit Partnern im Ausland, wie er etwa beim Bau und der Organisation von Kindergärten bei Friaul (Italien), in Mostar (Bosnien-Herzegowina) oder in Prizren (Kosovo) gelungen ist.
Im Erfurt-Papier wird die Komplementarität der Aufgabenwahrnehmung in der innerverbandlichen Auslandsarbeit weiter konkretisiert. Demnach sollen zum Beispiel vorrangig direkte Kontakte auf der jeweiligen Ebene im In- und Ausland angestrebt werden. Die Entwicklungen in (inter-)nationalen Netzwerken, unter anderem in Bezug auf Caritas Internationalis in Rom und Caritas Europa in Brüssel, werden hingegen von Ci verfolgt und auf den Fachtagungen weitervermittelt. Als Beispiel können hier die Management-Standards des internationalen Caritas-Netzwerkes genannt werden.5
Grenzen der Prozesse waren und sind aber immer wieder personelle Verfügbarkeiten für die zusätzlichen Abstimmungsaufgaben. Dies galt sowohl für Ci als auch für die verbandlichen Gliederungen, denn Caritasmit[1]arbeitende auf allen Ebenen haben für Zusatzaufgaben nur selten freie Kapazitäten. Widerstreitende Interessen beim genannten Zugang zu öffentlichen oder multilateralen Mitteln waren immer wieder Thema bei der Zusammenarbeit zwischen Ci und den verbandlichen Gliederungen. Doch die Zusammenarbeit nur auf die finanzielle Seite zu begrenzen würde ihr keineswegs gerecht.
Komplementäre Aktivitäten der Gliederungen sind von Vorteil
Die Auslandsarbeit von Ci, insbesondere im Katastrophenfall mit hoher medialer Aufmerksamkeit, bedeutet sicherlich auch einen Imagegewinn für die innerverbandlichen Gliederungen. Im Gegenzug erweisen sich die komplementären Aktivitäten der Gliederungen im Ausland für Ci immer wieder als Vorteil und Ergänzung. Eine wieder stärkere Nutzung des fachlichen Inputs durch die innerverbandlichen Gliederungen in der Auslandsarbeit wäre wohl ein guter Gedanke für die Zukunft. Und auch die Spendenmittel, die über die Gliederungen für die Arbeit von Ci eingeworben und nach Freiburg weitergeleitet werden, haben keineswegs an Bedeutung verloren. Auch dies hat eine lange Tradition. Schließlich wurde der 1963 aufgelegte Notkreditfonds für Ci mit einem Volumen von 200.000 D-Mark von den Diözesen bei Bedarf refinanziert.
Die innerverbandliche Zusammenarbeit in der Auslandshilfe bietet einen erheblichen Mehrwert, sie bietet Komplementarität und sollte auf alle Fälle fortgesetzt werden.
Anmerkungen
1. Bis 1994 Auslandsabteilung des Deutschen Caritasverbandes, im Folgenden Caritas international (Ci).
2. Die zwölf Grundregeln der humanitären Hilfe unter Kurzlink: https://bit.ly/3graB46
3. Humanitäre Charta und Mindeststandards in der humanitären Hilfe: https://handbook.spherestandards.org/de/sphere/#ch001
4. Deutscher Caritasverband (Hrsg.): Caritas - ein weltweites Netzwerk für Menschen in Not. In: neue caritas Heft 19/2000, S. 34 ff.
5. Caritas Internationalis Management Standards: www.caritas.org/wordpress/wp-content/uploads/2021/03/Revised-Caritas-Internationalis-Management-Standards-2021.pdf
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