Covid-19 – zwischen Impfstoffnationalismus und globaler Solidarität
Lange bevor überhaupt absehbar war, welche Impfstoffkandidaten sich gegen das Coronavirus als wirksam erweisen werden, haben sich die westlichen Industrienationen in großem Umfang Impfstoffe bei den Pharmaproduzenten gesichert. Allein die Europäische Union mit einer Bevölkerung von knapp 450 Millionen Menschen hat bei den Herstellern Lieferverträge über 2,3 Milliarden Impfstoffdosen abgeschlossen. Ganz anders sieht die Situation hingegen in vielen Ländern des Globalen Südens aus. Zu Beginn des Jahres verfügte die Afrikanische Union gerade einmal über Lieferverträge für 270 Millionen Impfstoffdosen, viel zu wenig, um eine Bevölkerung mit rund 1,2 Milliarden Menschen zu versorgen und auch nur entfernt an den Punkt einer Herdenimmunität zu gelangen.
In vielen anderen einkommensschwachen Ländern und Regionen ist die Situation ähnlich. Selbst wenn ärmere Länder in der Lage wären, die nötigen finanziellen Mittel aufzubringen, so wird es angesichts der aktuell sehr begrenzten Produktionskapazitäten voraussichtlich noch Jahre dauern, bis sie mit ausreichend Impfstoffen versorgt sind. Während in den westlichen Industrienationen bereits über 100 Millionen Impfstoffdosen an die Bevölkerung verabreicht wurden, wartet die Mehrzahl der afrikanischen Länder noch darauf, dass überhaupt die ersten Impfstofflieferungen bei ihnen eintreffen. Dabei zeichnet sich zuletzt auch dort ein Anstieg der Infektionszahlen ab und das Auftreten neuer Mutationen beweist die Dringlichkeit einer schnellen Eindämmung des Infektionsgeschehens auf globaler Ebene. Angesichts der bestehenden Lieferengpässe werden Stimmen lauter, die eine massive Ausweitung der Produktionskapazitäten fordern. Südafrika und Indien haben bei der Welthandelsorganisation (WTO) beantragt, für die Dauer der Pandemie die Patent- und geistigen Eigentumsrechte für Covid-19- Impfstoffe auszusetzen.
Dies würde auch anderen Herstellern eine Produktion ermöglichen und könnte dazu beitragen, Impfstoffe für ärmere Länder erschwinglich zu machen. Noch zögern jedoch viele westlichen Länder mit großer Pharmaindustrie, darunter auch Deutschland, die Patentrechte der Pharmakonzerne anzutasten. Auch beim letzten WTO-Treffen am 10. und 11. März wurde keine Einigung erzielt. Dabei sind in die Erforschung und Entwicklung der Impfstoffe in erheblichem Umfang öffentliche Gelder geflossen. Eine Einstufung der Impfstoffe als öffentliche Güter wäre daher naheliegend, gerade jetzt in Zeiten einer globalen Krisensituation.
Covax-Initiative will faire Verteilung
Damit ärmere Länder bei der Versorgung mit Vakzinen nicht völlig leer ausgehen, wurde bereits zu Beginn der Pandemie das Programm Covax ins Leben gerufen. Geleitet wird die Initiative von der globalen Impfallianz Gavi, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie der Koalition für Innovationen zur Vorbereitung auf Epidemien (Cepi). Die Initiative hat es sich zum Ziel gesetzt, die Entwicklung und Produktion von Impfstoffen gegen das Coronavirus zu unterstützen und eine faire Verteilung auch für ökonomisch schwächere Länder sicherzustellen. Länder mit einem höheren Einkommen, wie zum Beispiel Deutschland, finanzieren dabei Impfstoffe für einkommensschwache Staaten mit. Insgesamt sollen auf diese Weise zwei Milliarden Impfstoffdosen bis Ende 2021 verteilt werden. Noch fehlt es jedoch an aus[1]reichenden finanziellen Mitteln, um wenigstens die am stärksten gefährdeten 20 Prozent der Bevölkerung in ärmeren Ländern bis Ende des Jahres impfen zu können. Covax verfügte Mitte Februar über rund fünf Milliarden US-Dollar, weitere 6,8 Milliarden US-Dollar werden allein für das Jahr 2021 benötigt, um das gesteckte Ziel zu erreichen. Innerhalb des Covax-Programms ist auch die Einrichtung eines Impfstoffkontingents ("humanitarian buffer") für humanitäre Maßnahmen vorgesehen. Fünf Prozent der über das Covax-Programm beschafften Impfstoffe sollen dabei humanitären Organisationen zur Verfügung gestellt werden, um in besonderen Notlagen zu helfen und auch vulnerable Bevölkerungsgruppen wie zum Beispiel Flüchtlinge und Vertriebene erreichen zu können, die in nationalen Impfstrategien häufig keine Berücksichtigung finden.
Flüchtlinge: vergessen in der Krise
Zu Beginn der Pandemie wuchs die Sorge, dass es insbesondere unter Flüchtlingen und Vertriebenen zu einer hohen Anzahl an Infektionen und auch Todesfällen kommen werde. Die häufige Unterbringung von Flüchtlingen in teilweise völlig überfüllten Lagern schafft ideale Voraussetzungen für eine schnelle Verbreitung des Virus. Aufgrund fehlender Möglichkeiten, physische Kontakte einzuschränken, unzureichender hygienischer Bedingungen und mangelnder medizinischer Versorgung gestaltet sich die Eindämmung übertragbarer Krankheiten in Flüchtlingslagern besonders schwierig. Trotz dieser ungünstigen Voraussetzungen wurden zumindest bislang nicht flächendeckend massive Krankheitsausbrüche oder signifikant höhere Todeszahlen infolge von Covid-19 in Flüchtlingslagern dokumentiert. Dies ist jedoch auch in der Regel auf weit niedrigere Test- und Laborkapazitäten zurückzuführen. Es ist daher von einer sehr hohen Dunkelziffer an Erkrankungen auszugehen und es besteht die ernste Gefahr, dass sich die Situation innerhalb kürzester Zeit verschärfen wird. Der nach offiziellen Berichten bislang eher glimpfliche Verlauf der Pandemie ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen.
Ein Faktor mag der relativ niedrige Altersdurchschnitt der Flüchtlinge sein. Rund die Hälfte der unter UNHCR-Mandat stehenden Flüchtlinge ist unter 18 Jahre alt, was ein Grund für tendenziell eher mildere Krankheitsverläufe sein kann. Zudem wurden in vielen Ländern gleich zu Beginn der Pandemie restriktive Maßnahmen erlassen, die zum Beispiel das Betreten und Verlassen von Flüchtlingslagern massiv einschränkten. Dies hat möglicherweise dazu beigetragen, dass die Verbreitung von Covid-19 unter Flüchtlingen verlangsamt wurde - allerdings hatten viele dieser Maßnahmen einen hohen Preis. In Cox’s Bazar (Bangladesch) - wo sich rund 700.000 Flüchtlinge aus Myanmar aufhalten - durften zeitweise nur 20 Prozent der sonst üblichen Helfer(innen) die Lager betreten und auch die Anzahl der Hilfslieferungen wurde reduziert, was nicht ohne Folgen für die Versorgung der Geflüchteten blieb. In vielen Ländern konnten Flüchtlinge durch Mobilitätseinschränkungen nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen und wurden damit der finanziellen Mittel beraubt, die sie zur Grundversorgung mit Lebensmitteln benötigen. In Griechenland führte die hermetische Abriegelung von Flüchtlingslagern dazu, dass eine adäquate Rechtsberatung nicht mehr möglich war und laufende Asylverfahren und Prozesse der Familienzusammenführungen ins Stocken gerieten.
Ein Krankheitserreger nimmt keine Rücksicht auf den Aufenthaltsstatus
Nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) verfügen derzeit weltweit 81 Staaten über nationale Impfstrategien. Diese legen fest, welche Personengruppen in welcher Reihenfolge mit Impfstoffen versorgt werden sollen. Nur 54 Länder berücksichtigen in ihren Impfstrategien auch explizit Flüchtlinge, Staatenlose oder intern Vertriebene. Jordanien, das rund 750.000 Flüchtlinge beherbergt, hat als eines der ersten Länder weltweit damit begonnen, zeitgleich sowohl die eigene Bevölkerung als auch Flüchtlinge gegen Covid-19 zu impfen. Die kolumbianische Regierung teilte hingegen mit, dass die Hunderttausende venezolanischen Flüchtlinge und Migrant(inn)en vom nationalen Impfprogramm ausgeschlossen sind. Dabei besteht unter Gesundheitsexpert(inn)en weitgehend Einigkeit darüber, dass eine Bekämpfung der Pandemie nur dann erfolgreich sein wird, wenn eine breite Immunisierung durch alle Bevölkerungsgruppen besteht. Ein Krankheitserreger nimmt keine Rücksicht auf den Aufenthaltsstatus oder die nationale Zugehörigkeit der Person. Umso wichtiger ist es - auch im Eigeninteresse der jeweiligen Länder - Vertriebene, Staatenlose und Migrant(inn)en in ihren Impfprogrammen zu berücksichtigen und ihnen einen ungehinderten Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen zu ermöglichen.
Langfristige Folgen der Pandemie in den Blick nehmen
Für viele Flüchtlinge oder auch undokumentierte Migrant(inn)en wird das Aufsuchen staatlicher Gesundheitseinrichtungen dennoch eine große Hürde darstellen, selbst dann, wenn sie offiziell berechtigt sind, diese in Anspruch zu nehmen. Zu groß ist bei vielen die Sorge, sie könnten abgeschoben oder verhaftet werden. Ebenso verhält es sich mit Binnenvertriebenen, die eine berechtigte Angst vor weiterer Gewalt und Verfolgung haben. Selbst wenn Staaten offiziell einen diskriminierungsfreien Zugang zu Impfprogrammen zusichern, wird es in vielen Ländern weiterhin der Unterstützung zivilgesellschaftlicher und humanitärer Akteure bedürfen. Ihnen muss ein ungehinderter Zugang zu besonders vulnerablen Gruppen ermöglicht werden. Die Einrichtung eines "humanitarian buffer" zur Versorgung besonders Schutzbedürftiger mit Impfstoffen ist daher ein wichtiger Baustein, um dem Anspruch des in der Entwicklungszusammenarbeit geltenden Mottos "Lea- ve no one behind" zumindest in Ansätzen gerecht zu werden. Bereits jetzt werden weitere Folgen der weltweiten Pandemie für die Situation von Flüchtlingen sichtbar, die für die Betroffenen die Angst vor einer Ansteckung mit Corona in den Hintergrund treten lassen.
Die weltweit massiven wirtschaftlichen Einbrüche haben verheerende Auswirkungen auf die finanzielle Situation von Flüchtlingen und Migrant(inn)en. Häufig waren sie als Erste von Einkommenseinbußen oder dem Verlust ihrer Arbeitsplätze betroffen. Mehr denn je sind sie nun auf Unterstützung angewiesen. Parallel dazu reduzierten viele Länder bereits gemachte finanzielle Zusagen in der Flüchtlingshilfe oder schichteten Mittel in andere Bereiche um. In manchen Regionen zeichnet sich bereits jetzt eine deutliche Unterversorgung von Vertriebenen mit Nahrungsmitteln ab. Gleichzeitig wurden im Zuge der Pandemie legale Zugangswege zu Schutz beschnitten, indem Grenzen geschlossen, Asylverfahren ausgesetzt und Resettlementprogramme heruntergefahren wurden. Dabei sind die Ursachen, die Menschen in die Flucht zwingen, mit der Pandemie nicht plötzlich verschwunden. Menschen werden nach wie vor vertrieben und es steht zu befürchten, dass die Pandemie ein weiterer Treiber für Konflikte sein wird, so dass der Unterstützungsbedarf in Zukunft eher zu- als abnimmt.
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