Übergeordnete Ziele ermöglichen bedarfsorientierte Spitalplanung
In der Krankenhausversorgung von Nordrhein-Westfalen wird schon seit vielen Jahren eine Konsolidierung angemahnt. Zahlreiche Experten gehen davon aus, dass eine besser abgestimmte Krankenhausversorgung sowohl die Qualität erhöht als auch den Anstieg der Kosten dämpfen kann. Vor dieser Herausforderung stehen auch die Schweizer Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft.
Mit der Vorstellung des Gutachtens "Krankenhauslandschaft NRW" im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW wird genau dieser Fragestellung nachgegangen: Gibt es eine Möglichkeit, die Versorgung in NRW effizienter zu gestalten und dabei die Qualität der Versorgung weiterhin hochzuhalten? Das Gutachten nimmt Bezug auf die Planungsgrundlagen der sogenannten Zürcher Leistungsgruppensystematik1. Sie bildet die methodische Grundlage für die im Gutachten vorgestellten Versorgungsanalysen2. Beim Erstellen der sogenannten gleichlautenden Spitallisten der Kantone Basel-Landschaft (BL) und Basel-Stadt (BS), welche die Grundlage bilden, überhaupt über die obligatorische Krankenversicherung abrechnen zu können, wird die Leistungsgruppensystematik in Kombination mit der Versorgungsplanung angewendet. Mit dem Planungsmodell, welches verschiedene Planungsinstrumente kombiniert, setzen die beiden Kantone einen schweizweiten Meilenstein.3 Wie kam es dazu?
Hohe Prämienbelastung der Bevölkerung
Die Bevölkerung der beiden Basler Kantone stimmte Anfang 2019 erstmals für die Zusammenarbeit zweier Kantone im Gesundheitsbereich. Ein Beweggrund ist sicherlich die Prämienlast, welche insbesondere die breite Mittelschicht trifft. Die mittlere Krankenkassenprämie (siehe Abbildung S. 22) für die beiden Basler Kantone (rote Säulen) ist neben Genf die höchste in der Schweiz: dies bei einer hohen Zugänglichkeit zu medizinischen Leistungen und einer sehr hohen Dichte an Leistungserbringern (unter anderem 26 Spitalstandorte) auf kleinem Raum.
Für die Bevölkerung beider Kantone spielen die kantonalen Grenzen seit Jahren keine Rolle mehr. In welchem Kanton ein Arzt praktiziert oder ein Spital den Standort hat, ist den Patient(inn)en egal. Sie suchen sich die Angebote aus, die für die jeweiligen Bedürfnisse am besten sind. Die beiden Verwaltungen vollziehen dies mit der Planung der gemeinsamen Gesundheitsregion nun nur nach. Dabei wird darauf geachtet, dass Doppelspurigkeiten möglichst reduziert und Versorgungslücken geschlossen werden. Schnell wurde den Verantwortlichen in beiden Kantonen klar, dass eine vereinte Versorgungsplanung gemeinsame Ziele benötigt. Die beiden Regierungsräte Thomas Weber (BL) und Lukas Engelberger (BS) haben sich gleich zu Beginn der Gespräche über die Möglichkeiten einer gemeinsamen Versorgungsplanung auf drei Ziele verständigt, die auch heute für die gemeinsame Gesundheitsregion und damit für die Spitalplanung gelten:
- eine optimierte Gesundheitsversorgung der Bevölkerung der beiden Kantone;
- eine deutliche Dämpfung des Kostenwachstums im Spitalbereich sowie
- eine langfristige Sicherung der Hochschulmedizin in der Region.
Dies bedeutet, dass die Versorgungsplanung nicht eindimensional den Versorgungsraum betrachtet. Sie achtet darauf, dass die Ziele gleichgewichtig erreicht werden können. Das soll gelingen, indem die übergeordneten Ziele im weiteren Prozess operationalisiert werden, um den Nutzenbeitrag des jeweiligen Spitals ermitteln zu können. Dabei werden messbare Unterziele definiert.
Zu Ziel 1: In einer Region, in der die Menschen neben dem städtischen Zentrum noch in einer eher ländlich geprägten Peripherie leben, spielt die Erreichbarkeit der Grundversorgung/Notfallversorgung eine wichtige Rolle. Dies lässt sich über die zeitliche Erreichbarkeit der Spitalangebote bemessen. Aber auch die Qualität der Versorgung gilt es mit zu betrachten.
Zu Ziel 2: Eine Dämpfung des Kostenwachstums im Spitalbereich schafft den Spielraum dafür, dass die Prämien in der Region Basel in Zukunft weniger stark ansteigen. Neben der preisgünstigen und wirtschaftlichen Leistungserbringung (messbar in Baserate und schweregradbereinigten Fallkosten) spielt auch die Investitionsfähigkeit in effizienzsteigernde Maßnahmen eine wichtige Rolle. Dies drückt sich unter anderem in der Eigenkapitalquote, der Kennziffer für die operative Leistungsfähigkeit vor Investitionen (EBITDAR-Marge) aus. Die Zielerreichung wird jeweils mit einem Nutzwert versehen, um den Beitrag des Spitals für die Versorgung in der Region quantifizieren zu können.
Dies ermöglicht es, sehr transparent die Leistungsbereiche (nach Zürcher Leistungsgruppensystematik) den Spitälern so zuzuteilen, dass unter Berücksichtigung der medizinischen Anforderungen (wie Mindestmengen und Verknüpfungen zwischen Leistungsbereichen) die politischen Versorgungsziele möglichst nutzenoptimal erreicht werden. Aber damit nicht genug. Mit der Annahme des Staatsvertrags zur gemeinsamen Versorgungsplanung wurde der Startschuss dafür gegeben, die Datengrundlagen zu erarbeiten.
Potenzielle Überversorgung in den Blick nehmen
Bisher wurden der Bedarf und die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen nur für die jeweilige kantonale Bevölkerung ermittelt. Auf dieser Grundlage konnte der Bedarf an akutstationären Leistungen für die kommenden Jahre analysiert werden. Künftig werden diese Analysen auf die Inanspruchnahme von spitalambulanten, psychiatrischen und rehabilitativen Angeboten ausgeweitet.
Die Ermittlung einer bedarfsgerechten Leistungsmenge ist komplex - denn was ist schon bedarfsgerecht? Die Planer kennen den Bedarf nicht exakt. Aber durch ein strukturiertes Vorgehen kann man den zukünftigen Bedarf abschätzen. Dabei werden die weiter steigende Zahl von Menschen in der Region, die Alterung der Bevölkerung, Medizintrends, aber auch das Lebensumfeld der Menschen wie etwa die Zahl der Einpersonenhaushalte berücksichtigt. So kann für die kommenden zehn bis 15 Jahre abgeschätzt werden, wie sich der medizinische Bedarf in der Region verändern wird. Die entscheidende Frage ist jedoch, wie sich eine Überversorgung und damit eine hohe Belastung der Prämienzahler(innen) reduzieren lässt.
Zunächst gilt es, Überversorgung zu identifizieren. Ein schlichter Vergleich zwischen den Kantonen reicht nicht aus. Man kann nicht die Bevölkerungsstruktur des Kantons Basel-Stadt mit der des Kantons Wallis vergleichen. Überversorgung trifft nur dann zu, wenn medizinische Leistungen erbracht werden, die entweder nicht medizinisch notwendig sind oder mit weniger Ressourceneinsatz erbracht werden können. Jede medizinisch nicht notwendige Operation, welche vermieden wird, vermeidet Belastungen für die Patient(inn)en und Kosten für die Allgemeinheit. Die Einsparungen werden sowohl die Krankenversicherer entlasten als auch die Ausgaben der Kantone für Spitalleistungen reduzieren. Immerhin übernehmen die beiden Kantone mindestens 55 Prozent der Kosten für stationäre Spitalaufenthalte. Die hohe Belastung der Prämienzahler(innen) wird nicht kurzfristig sinken. Der Prämienanstieg kann aber damit mittelfristig gedämpft werden.
Um alles umzusetzen, hat sich in den beiden Basler Kantonen seit vielen Jahren die Zusammenarbeit mit den Spitälern bewährt. Die Kantone schaffen die notwendige Transparenz, damit die Verantwortlichen in den Kliniken gezielt Maßnahmen ergreifen können, um die Überversorgung abzubauen.
Wie kommen Spitäler auf die Spitallisten?
Alle leistungsfähigen Anbieter erhalten die Chance, sich auf die Leistungsaufträge in der Region zu bewerben. Dazu haben die Kantone Bewerbungskriterien definiert. Auf dieser Grundlage wird der Nutzen der Bewerbenden im Hinblick auf die Zielerreichung ermittelt und die Leistungsaufträge (nach Spitalplanungs-Leistungsgruppen-Systematik) vergeben. Die gleichlautenden Spitallisten treten zum 1. Juli 2021 in Kraft. In den Leistungsvereinbarungen wird mit den Spitälern festgelegt, wie die bedarfsgerechten Leistungsmengen (für ausgewählte Leistungsgruppen zum Beispiel im Bereich Bewegungsapparat) bis zum Jahr 2026 erreicht werden können.
Die Bewerber müssen sich an den Zielen der beiden Regierungsräte messen lassen: Die Bevölkerung in beiden Kantonen erwartet prioritär eine nachweisbar gute Qualität in der medizinischen Versorgung. Wenn diese zu vergleichsweise guten Kosten-Nutzen-Relationen erbracht wird - umso besser. Dabei wird die Spitalplanung darauf achten, dass die Bevölkerung in der Region zeitnah Angebote der Grund- und Notfallversorgung mit dem Pkw und dem ÖPNV erreicht. Die Sicherung der Hochschulmedizin in der Region ist den beiden Regierungsräten ein Anliegen.
Diese wahrt die Attraktivität der Region Basel als Gesundheitscluster und trägt dazu bei, dass auch in Zukunft qualifiziertes Personal in der Region ausgebildet werden kann. Mit der Nutzenanalyse auf Grundlage der politischen Zielsetzung, der bedarfsorientierten Bestimmung der Leistungsmengen sowie dem transparenten- für alle Spitäler offenen - Bewerbungsverfahren kombinieren die beiden Kantone bekannte Planungsinstrumente zu einem ganzheitlichen Planungsmodell. Sicherlich ist das Vorgehen der beiden Kantone in der Versorgungsplanung nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar.
Ein transparentes Vorgehen auf Grundlage der Leistungsgruppensystematik mit gemeinsam getragenen Versorgungszielen kann aber auch hier Chancen bieten, gerade in Regionen, in denen Krankenhäuser in einem starken Wettbewerb stehen.
Anmerkungen
1. https://gd.zh.ch/internet/gesundheitsdirektion/de/themen/ behoerden/spitalplanung_leistungsgruppen.html
2. MAGS NRW: Gutachten Krankenhauslandschaft NRW. Kurzfassung, S. 22 ff. Langfassung unter: https://broschueren.nordrheinwestfalendirekt.de/broschuerenservice/mags/gutachten-krankenhauslandschaft-nordrhein-westfalen/3041
3. Mehr zum gemeinsamen Versorgungsraum unter: www.chance-gesundheit.ch
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