Sozialmonitoring der Bundesregierung mit den Wohlfahrtsverbänden 2013–2017
Seit Einführung der SGB-II-Gesetze 2005 gibt es ein gemeinsames Monitoring der Bundesregierung mit den in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammengeschlossenen Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege.1
In regelmäßigen Gesprächen werden dort auf Staatssekretärs- und Vorstandsebene unbeabsichtigte Auswirkungen von sozialgesetzlichen Reformen auf Menschen in Armut und mit niedrigem Einkommen thematisiert. Auch in der vergangenen Legislaturperiode haben die Verbände auf negative Auswirkungen von Sozialgesetzen hingewiesen und Lösungen vorgeschlagen.
In den Sozialmonitoringgesprächen wurden zahleiche Probleme insbesondere aus den Bereichen SGB II/ SGB XII, aber auch der Rentenversicherung, der Krankenversicherung, der Schuldnerberatung/dem Schuldnerschutz, der Pflegeversicherung und des sonstigen Sozialrechts besprochen.
Sanktionsregelungen für unter 25-Jährige
Eröffnet wurden die Gespräche in dieser Legislaturperiode mit einem Thema, das schon in früheren Gesprächen vorgebracht wurde: den Sonderregelungen bei Sanktionen im SGB II für unter 25-Jährige. In früheren Gesprächen verwies die Bundesregierung darauf, dass im Zuge der geplanten "Rechtsvereinfachung SGB II" eine Angleichung der Sanktionsvorschriften für U25/Ü25 geplant sei. Die Hoffnung darauf hat sich leider nicht erfüllt. Das Thema bleibt ein wichtiges Anliegen der Caritas.
Defizite bei den Regelleistungen im SGB II
Die BAGFW hat bei verschiedenen Terminen des Sozialmonitorings mehrere Problemfelder zur Sprache gebracht, an denen sich zeigt, dass die Regelbedarfe nicht ausreichend bemessen sind:
Problematisiert wurde zum einen die nicht hinreichende Kostenübernahme für Sehhilfen. Die BAGFW legte dar, dass Bezieher von Leistungen nach SGB II in der Regel keine Kostenübernahme für eine notwendige Sehhilfe erhalten. Von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden die Kosten einer notwendigen Sehhilfe nur bis zum 18. Lebensjahr übernommen. Im SGB II ist der Anteil für sogenannte therapeutische Geräte im Regelsatz mit monatlich nur 2,26 Euro zu gering bemessen. Anlass zur Hoffnung bietet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom Juli 2014, in dem anerkannt worden ist, dass "Gesundheitsleistungen wie Sehhilfen weder im Rahmen des Regelbedarfs gedeckt werden können noch anderweitig gesichert sind". Diesem Urteil gilt es durch eine entsprechende Gesetzgebung gerecht zu werden.
Des Weiteren zeigte die BAGFW auf, dass sich die Anschaffungskosten für große Haushaltsgeräte, die auch unter dem Namen "weiße Ware" firmieren, mit dem Statistikmodell nicht zufriedenstellend ermitteln lassen. Die Bundesregierung sah bei diesen Punkten keinen Änderungsbedarf.
Zudem erläuterte die BAGFW, dass die Inanspruchnahme der Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes weiter deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibt und regional sehr verschieden ist. Die Ursachen dafür könnten in unterschiedlichen Antragsverfahren auf kommunaler Ebene sowie in regional variierenden Möglichkeiten zur tatsächlichen Inanspruchnahme der Leistungen liegen. Die Bundesregierung verwies auf die erreichten Verbesserungen und die kommunalen Besonderheiten, denen man gerecht werden müsse.
Energieschulden und Stromsperren
In den Beratungsstellen beobachtet die BAGFW, dass ALG-II-Empfänger häufig keinen Überblick darüber haben, welche Zahlungen des Jobcenters in den nächsten Monaten zu erwarten sind. Verbessert werden muss die Verständlichkeit der Bescheide, Berechnungen und der Zusammensetzung der jeweiligen Auszahlungsbeträge.
Auch Energieschulden stellen für ALG-II-Beziehende weiterhin ein akutes Problem dar. Nach dem aktuellen Monitoringbericht der Bundesnetzagentur haben sich die Stromsperren in den letzten Jahren weiter erhöht. Bei Nachforderungen der Energieversorger geraten die Betroffenen unter massiven Druck, so dass sich Energiesperren bei ALG-II-Beziehenden häufen. Versorgungslose Zeiträume von mehreren Monaten können die Folge sein. Die Übernahme der Stromschulden als Darlehen und die damit einhergehende Aufrechnung der Tilgung haben zur Folge, dass das Existenzminimum nicht vollständig gedeckt ist. Die Bundesregierung verwies auf die Komplexität der Bescheide und die Notwenigkeit von Kommunikation. Für die Situation der ALG-II-Bezieher mit Stromschulden zeigte die Bundesregierung Verständnis, über weitere Lösungen muss noch nachgedacht werden.
Übergang von Leistungen nach dem AsylbLG zu Leistungen nach dem SGB II
Der Übergang von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II gelingt häufig nicht reibungslos. Die BAGFW empfiehlt, dass in den "Fachlichen Hinweisen" zum SGB II bundesweit klargestellt werden sollte, dass anerkannte Schutzberechtigte ohne Aufenthaltserlaubnis einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben. Das Bundesinnenministerium (BMI) sicherte daraufhin zu, die Problematik in den Gesprächen mit den großen Ausländerbehörden zu thematisieren.
Auch die durchgängige Versorgung beim Krankenversicherungsschutz ist nach den Erfahrungen der BAGFW nicht immer sichergestellt. Die Bundesregierung zeigte Verständnis für die Problemlage und sicherte zu, dass die Bundesagentur für Arbeit (BA) angewiesen werden soll, eine Leistungszusage zu veranlassen.
Sicherungsdefizite im System der Altersversorgung
Die BAGFW wies darauf hin, dass immer mehr Menschen die Sorge haben, im Alter nicht ausreichend abgesichert zu sein. Der Rentenversicherungsbericht 2016 legt das sinkende Sicherungsniveau der Rentenversicherung dar. Die BAGFW fordert die Bundesregierung auf, Maßnahmen zur Prävention und Beseitigung von Altersarmut umzusetzen, zum Beispiel durch Stärkung des Rentenversicherungsniveaus, eine bedarfsdeckende Bemessung der Grundsicherung im Alter sowie durch angemessene Freibeträge für eigene Altersvorsorgeleistungen. Die Bundesregierung sicherte zu, dass sie diesem Thema über das Sozialmonitoring hinaus Bedeutung zumessen wird.
Mitgliedschaft in der GKV bei Personen mit nicht dauerhaftem Leistungsbezug
Die BAGFW schilderte im Rahmen des Sozialmonitorings die Problematik des Krankenversicherungsschutzes von wohnungslosen Menschen. Bei der Gewährung der SGB-II- Leistungen in Form von Tagessätzen kommt es durch die Jobcenter regelmäßig zu einer Abmeldung der oft wohnungslosen Menschen bei den Krankenkassen. Hierdurch werden diese faktisch vom Zugang zu Krankenversicherungsleistungen ausgeschlossen beziehungsweise der Zugang wird erheblich erschwert. Sowohl die Betroffenen als auch die Leistungserbringer im Gesundheitssystem werden hierdurch massiv verunsichert. Dies kann dazu führen, dass notwendige Behandlungen verschoben oder gar nicht durchgeführt werden. Bundesministerium für Gesundheit (BMG), BA und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) waren sich einig, dass hier Lösungen gefunden werden müssen.
P-Konto: Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft im SGB II
Im Bereich Schuldnerschutz wies die BAGFW unter anderem auf drei Problemfelder beim P-Konto2 hin:
Die BAGFW stellte dar, dass bei Pfändung die sozialrechtlichen Verpflichtungen im Rahmen der Einstandsgemeinschaft nicht berücksichtigt werden. Aus der Praxis ist bekannt, dass es in solchen Fallkonstellationen nachfolgend zu Energiesperren und zu Wohnungsverlusten kommen kann. Auch kann die in der Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft des SGB II vorgesehene Anrechnung von Partnereinkommen auf die Bedarfe der Kinder für neue Partner(innen) eine Hürde darstellen, mit Alleinerziehenden zusammenzuziehen. Die BAGFW bewertet die unterschiedlichen Unterhaltspflichten im Zivilrecht und im SGB II kritisch und setzt sich grundsätzlich dafür ein, dass die Regelungen aus verschiedenen Rechtsgebieten mit jeweils eigenen Systematiken und Zielen aufeinander abzustimmen sind. Die Bundesregierung sieht die Interessen der Betroffenen durch die bestehende Regelung gewahrt.
P-Konto: willkürliche Vorlageaufforderungen
Aus der Praxis der Schuldnerberatungen berichtete die BAGFW von Erfahrungen, nach denen Banken alle zwei bis drei Monate die erneute Vorlage einer Bescheinigung nach § 850k Abs. 5 S. 2 ZPO (Bescheinigung des Arbeitgebers, der Familienkasse, des Sozialleistungsträgers oder einer geeigneten Stelle im Sinne der Insolvenzordnung, dass das Guthaben nicht von der Pfändung erfasst ist) verlangen, und plädierte für eine Entlastung der Schuldner und der zur Ausstellung der Bescheinigung berechtigten Stellen. Das zuständige Bundesjustizministerium sah hier gesetzgeberischen Handlungsbedarf.
P-Konto: Zugriff auf pfändungsfreies Einkommen ohne Pfändung
Die Wohlfahrtsverbände berichten von Erfahrungen aus der Beratungspraxis, dass Kreditinstitute auf einem P-Konto grundsätzlich das Guthaben, das über den Freibetrag hinausgeht, separieren und erst im Folgemonat wieder gutschreiben, selbst wenn keine Pfändung vorliegt. Die BAGFW schlägt aus "gesetzespädagogischen" Gründen vor, zur Klarstellung eine gesetzliche Änderung3 einzufügen: "Wird das Guthaben auf dem Pfändungsschutzkonto nicht gepfändet, hat der Schuldner Zugriff auf das gesamte Guthaben." Die Bundesregierung möchte dieses Thema aufgreifen.
Drittes Pflegestärkungsgesetz
Mit Blick auf die Verabschiedung des PSG III machte die BAGFW darauf aufmerksam, dass Menschen mit einer bisherigen Pflegestufe 0, wenn sie in den Pflegegrad I eingestuft werden, Sorge haben, das Heim verlassen zu müssen. Die Bundesregierung betont, dass diese Personengruppe durch die Gesetzesänderung nicht schlechtergestellt werden sollte.
Unterhaltsvorschuss
Die BAGFW brachte in den Sozialmonitoringprozess Problemlagen im Bereich des Unterhaltsvorschusses ein, die auch nach den Reformen im Jahr 2017 weiterhin bestehen: Zum einen verlieren Alleinerziehende nach Wiederheirat den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss, dies kann negative Auswirkungen auf die Bereitschaft zu einer Wiederheirat haben. Zum anderen werden Alleinerziehende durch die volle Anrechnung des Kindergelds beim Unterhaltsvorschuss benachteiligt im Vergleich zur Unterhaltszahlung, bei der nur das hälftige Kindergeld angerechnet wird.
Fazit
Die vielfältigen Problemlagen und ihre Auswirkungen zeigen, wie wichtig es ist, regelmäßig mit Vertretern der Bundesregierung ins Gespräch zu kommen und diese für die aus der Sozialgesetzgebung folgenden konkreten Probleme von armutsgefährdeten und armen Menschen zu sensibilisieren. Zusammen können Lösungswege zur Beseitigung der Benachteiligungen erarbeitet werden. Das Sozialmonitoring bietet hierfür einen guten Rahmen.
Die Caritas und die weiteren Verbände der freien Wohlfahrtspflege setzen sich im Interesse der Betroffenen dafür ein, dass die gemeinsamen Sozialmonitoringgespräche auch in der kommenden Legislaturperiode fortgesetzt werden. Die Caritas wird hierfür geeignete Themen suchen und ist für jeden Hinweis aus der Arbeit der diözesanen und örtlichen Caritasverbände sowie der Fachverbände mit den Betroffenen dankbar.
Anmerkungen
1. Vgl. die vorangegangene Berichte in neue caritas Heft 22/2011, S. 21 ff., Heft 7/2013.
2. Pfändungsschutzkonto.
3. In § 850k Abs.1 ZPO nach S. 1.
Kindern Chancen schenken
Beratung – ein attraktives Feld kirchlicher Sozialer Arbeit
Wohlfahrtsverbände sollten auf ihr gemeinnütziges Potenzial achten
Teilhabe gilt nicht für alle
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}