Kindern Chancen schenken
Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung" - so steht es in Artikel 11 der Landesverfassung Baden-Württemberg und ist als eines der Zitate in der Konzeption für die Gründung der Kinderstiftung im Landkreis Esslingen zu finden.
Der Landkreis Esslingen liegt in einer der wirtschaftsstärksten Regionen des Landes im Ballungsraum Stuttgart. Im Landkreis leben über 528.000 Menschen. Legt man die Daten aus dem Ersten Armuts- und Reichtumsbericht Baden-Württemberg von 2015 zugrunde, so sind im Landkreis Esslingen derzeit schätzungsweise 16.000 Kinder unter 18 Jahren armutsgefährdet (Armutsgefährdungsquote 14,7 Prozent).
Kinder sind das Kostbarste einer Gesellschaft, ihre Rechte sind allerdings stets gefährdet. Sie verdienen eine besondere Aufmerksamkeit und einen hohen Schutz. Im christlichen Verständnis genießen Kinder eine herausgehobene Stellung. Jesus Christus selbst stellt sie in die Mitte und macht sie zum Maßstab einer gerechten Welt (Mt 18,1-5 und 19,13-15).
Das katholische Dekanat Esslingen-Nürtingen und die Caritas Fils-Neckar-Alb mit ihren Landkreisen Esslingen, Göppingen und Reutlingen sind in vielen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe aktiv und nehmen in ihrer Arbeit die vielfältigen Problemlagen von Familien, Kindern und Jugendlichen wahr. Ein Impuls zur Gründung der Kinderstiftung Esslingen ergab sich insbesondere aus der Studie "Die Menschen hinter den Zahlen - Arme Kinder und ihre Familien in Baden-Württemberg"1, die 2009 im Auftrag des Caritasverbandes und des Diözesanrates der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Caritasverband der Erzdiözese Freiburg erstellt wurde. Unter dem Begriff Kinderarmut beschreibt die Studie mangelnde Chancen von Kindern und Jugendlichen in ihrer Entwicklung und gesellschaftlichen Teilhabe. Besonders gefährdet sind demnach die körperliche Entwicklung und die Gesundheit von Kindern sowie Bildung und Kultur. Der Aufbau sozialer Kompetenzen, die Gestaltung der Freizeit sowie die Persönlichkeitsentwicklung im Hinblick auf das Selbstwertgefühl unterliegen ebenso einer besonderen Herausforderung.
Ein Jahr in die Vorbereitung investiert
Mit der im Jahre 2012 gegründeten Kinderstiftung wollten die Caritas Fils-Neckar-Alb und das Dekanat Esslingen-Nürtingen ein nachhaltiges Angebot zum Aufbau von Hilfen für benachteiligte Kinder in Anlehnung an die oben genannten Punkte einrichten. Durch die Förderung über die Stiftung sollen vor allem die Kinder erreicht werden, deren Eltern nicht über die Ressourcen verfügen, um die Teilnahme an Angeboten rund um Bildung, Kultur und Freizeit zu ermöglichen. Nicht die soziale Herkunft von Kindern soll deren Lebensweg bestimmen, sondern ihnen sollen mehr Chancen im Leben ermöglicht werden - so das Ziel der Stiftung. Mehr als ein Jahr wurde in die Vorbereitungen zur Gründung der Stiftung investiert - insbesondere wurden Mitstreiter(innen) aus Kirche, Politik, Wirtschaft und Sozialem gesucht, die diesen Weg mitgehen wollen. So konnte schon zur Gründung eine Geschäftsführung, ein Kuratorium sowie ein Fachbeirat seine Arbeit aufnehmen. Der Gründungstermin wurde bewusst um das Fest des heiligen Martin gelegt, der seinen Mantel geteilt und einem Armen damit die Würde zurückgegeben hat. In diesem Geist entstand im November 2012 die Kinderstiftung Esslingen-Nürtingen, getragen durch den Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die Caritas Region Fils-Neckar-Alb und das Dekanat Esslingen-Nürtingen als Stiftung in der treuhänderischen Verwaltung von Lebenswerk Zukunft - CaritasStiftung in der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
Je höher der Bekanntheitsgrad und je größer das Netzwerk wurden, umso mehr Spenden und Zustiftungen gingen jährlich ein. Das Stiftungskapital wuchs von 50.000 Euro bis 2017 auf 117.950 Euro, durch insgesamt 19 Zustiftungen. Die Kinderstiftung wurde unterstützt durch Unternehmer, die zum Beispiel der Kinderstiftung spendeten, anstatt Weihnachtsgeschenke für Kunden zu kaufen. Durch Flohmarktverkäufe oder Anlassspenden zu festlichen Ereignissen gehen immer wieder Beiträge ein. Auch Kinder und Jugendliche, die Selbstgebasteltes auf Basaren verkaufen, oder Firmen, die den jährlichen Spendenlauf der Caritas im Rahmen des Eßlinger-Zeitung-Laufs "Laufend engagiert gegen Armut" großzügig fördern, tragen dazu bei, dass die steigenden Nachfragen von Familien gedeckt werden können.
Mehr kulturelle, soziale und bildende Teilhabe
Was hat die Kinderstiftung in den letzten fünf Jahren erreicht? Familien können einen Antrag auf finanzielle Unterstützung durch die Stiftung stellen. Durch diese materiellen Hilfen fördert die Kinderstiftung die Teilhabe im kulturellen, sozialen, gesundheitlichen und bildenden Bereich. Waren es im ersten Jahr noch um die 60 Anträge, steigerten sich diese im vergangenen Jahr auf über 350. Seit der Gründung sind über 800 Einzelfallanträge eingegangen - die auch dank ehrenamtlichen Engagements bearbeitet werden. Insgesamt wurden seit Bestehen rund 65.000 Euro für Einzelfallhilfen ausgeschüttet. Damit wurde Kindern die Chance geschenkt, entweder ein Musikinstrument zu erlernen, Sport zu machen, schulische Unterstützung zu erhalten oder an einem Ferienprogramm teilzunehmen.
Da sein für schulische und persönliche Probleme
Besonderen Zuspruch erhält das Projekt "Chancenschenker", welches als zweite Säule der Kinderstiftung auf den Weg gebracht wurde. Hier übernehmen ehrenamtliche Pat(inn)en eine Patenschaft für ein Kind zwischen drei und zwölf Jahren aus einer einkommensschwachen Familie. Sie lernen oder gestalten die Freizeit gemeinsam. Kinder können individuell über ein Jahr hinweg begleitet oder in Kindergruppen zusätzlich unterstützt werden. Ehrenamtliche schenken ihrem Patenkind einmal in der Woche Aufmerksamkeit und sind Ansprechpartner für schulische oder persönliche Probleme. Die Wirkung: Die Kinder bekommen neues Selbstbewusstsein. 18 Patenschaften waren durch das Engagement der Chancenschenker im Jahr 2017 möglich, von denen 31 Kinder profitierten. Zusätzlich begleiteten die Chancenschenker Projekte wie Schwimmenlernen, eine Hausaufgabengruppe oder eine Technik-AG einer Ganztagsschule. Im Jahr 2017 engagierten sich insgesamt 32 Chancenschenker. Ein Chancenschenker der ersten Stunde hat beispielsweise in seiner ersten Patenschaft dazu beigetragen, einem geflüchteten Jungen die Integration in die Realschule zu erleichtern. Angefangen hat es mit Hausaufgabenhilfe, bei der auch die Sprache auf die Hobbys des Jungen kam. Über die Kinderstiftung konnte der Junge in der Musikschule Gesangsstunden nehmen und singt nun regelmäßig im Chor.
Ein weiteres Highlight der Kinderstiftung kam 2017 dazu - der Kinderbeirat. 16 Kinder im Alter von zehn bis 17 Jahren entscheiden seit knapp einem Jahr im Kinderbeirat der Kinderstiftung Esslingen-Nürtingen über 2000 Euro Spendengelder. Zum fünfjährigen Bestehen der Stiftung präsentierte ein Teil dieser Kinder ihre Arbeit. Sie legten die Begründungen für ihre Wahl der Förderprojekte dar und berichteten, weshalb sie sich im Kinderbeirat engagieren. Maja hat selbst schon Hilfe durch die Kinderstiftung erfahren und möchte nun anderen Kindern helfen. Finn ist es wichtig, sich sozial zu engagieren, und Jonathan findet es schön, die strahlenden Kindergesichter zu sehen, wenn mit der Förderung ein Wunsch erfüllt werden konnte. Begeistert waren sie von ihrem Besuch in einer Flüchtlingsunterkunft, wo sie ermöglicht haben, eine Spielecke einzurichten.
Schlagkraft einer Stiftung hängt nicht nur vom Geld ab
Insgesamt kann auf eine sehr erfolgreiche Stiftungsarbeit zurückgeblickt werden, die Mut macht. Mittlerweile ist die Kinderstiftung Mitglied von "Mach dich stark" - der Initiative für Kinder im Südwesten, die ein breites Netzwerk gegen Kinderarmut in Baden-Württemberg knüpft. Nach finanziellen Maßstäben gehört die Kinderstiftung Esslingen-Nürtingen "Chancen schenken" zu den kleinen Stiftungen. Aber wie auf dem Deutschen Stiftertag 2017 in Freiburg vom Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, Felix Oldenburg, zu hören war, macht die Schlagkraft von Stiftungen nicht mehr nur die Höhe des Kapitals aus. Dem wachsenden ehrenamtlichen Netzwerk kommt eine viel größere Bedeutung zu. Bereits über 40 Ehrenamtliche unterstützen die Kinderstiftung durch ihren Einsatz. Konkrete Hilfen wurden durch bürgerschaftliches Engagement möglich. Ein Beitrag, der Wirkung zeigt - bei den Kindern und ihren Familien, aber auch im Sozialraum, in der Kirchengemeinde, dem Unternehmen, den sozialen Einrichtungen. Für jede Form der Unterstützung sind die Akteure der Stiftung dankbar, denn die engagierte Solidarität vieler Menschen guten Willens ist das Fundament wirksamer Stiftungsarbeit. Chancen schenken - der Name ist Programm geworden.
Anmerkung
1. Die Kurzfassung der Studie ist einsehbar unter: http://bit.ly/2npzy4t
Beratung – ein attraktives Feld kirchlicher Sozialer Arbeit
Wohlfahrtsverbände sollten auf ihr gemeinnütziges Potenzial achten
Teilhabe gilt nicht für alle
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