Individuelle Lebensentwürfe erfordern eine individualisierte Personalpolitik

Biografien sind heute "Multigrafien". Lebenswege sind individueller denn je - mit Brüchen, Umwegen und Neuanfängen. Was das für die Personalpolitik bedeutet, untersuchte die explorative Studie "Vereinbarkeit 2020". Mehr noch: Die Studie von berufundfamilie Service GmbH in Zusammenarbeit mit dem Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) an der Hochschule Ludwigshafen stellt erstmals die Relevanz von Lebensentwürfen im Kontext der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privat­leben in den Fokus. Dafür haben über 1000 Beschäftigte der AOK Hessen, Fraport AG, ING-DiBa AG und Merz Pharma GmbH & Co. KGaA Einblick in ihre Lebensentwürfe, Wünsche an die Arbeit, die Führungsebene und die Vereinbarkeit gegeben. Die vier Arbeitgeber verfolg(t)en seit vielen Jahren mit Hilfe des audit berufundfamilie eine strategisch angelegte familien- und lebensphasenbewusste Personalpolitik.

Ein wesentliches Studienergebnis ist: Persönliche Werte, Einstellungen und die Wahrnehmung des beruflichen Umfeldes sind für die wichtigsten beruflichen Entscheidungen maßgeblich - etwa wie Beschäftigte Berufs- und Privatleben priorisieren, was sie unter Vereinbarkeit verstehen und welche betrieblichen Vereinbarkeitsangebote sie nutzen. Im Umkehrschluss bedeutet das: Vereinbarkeitspolitik, die ausschließlich auf die unterschiedlichen Berufs- und Lebensphasen der Beschäftigten setzt, greift zu kurz. Eine gelingende Vereinbarkeitsstrategie muss zusätzlich die individuellen Lebensentwürfe der Beschäftigten berücksichtigen.

Drei Lebensentwurf-Cluster kristallisierten sich heraus. Diese grenzen sich vor allem durch die Lebensmotive, die Ziele und zentralen Werte, die Interessen sowie durch die Ausübung von Führungsaufgaben oder die Wahrnehmung von Betreuungstätigkeiten der Beschäftigten voneinander ab.¹

Aushandlungsprozesse gestalten

Die Cluster bieten Personalern eine Orientierung und gewähren etwa Einblick in die von Beschäftigten angestrebte Zeitverwendung für verschiedene Lebensbereiche. Während ein Beschäftigter zum Beispiel gerne betriebliche Kinderbetreuung oder Angebote zur Pflegeunterstützung beansprucht, ist es für einen anderen wichtig, Zeit mit Kindern zu verbringen oder Pflegeaufgaben wahrzunehmen. Hier bieten sich Möglichkeiten von zu Hause aus zu arbeiten an. Wer keine Fami­lienaufgaben hat, möchte eventuell für Auszeiten von einem Arbeitszeitkonto oder von flexiblen Arbeitszeiten Gebrauch machen.

Die Berücksichtigung der individuellen Lebensentwürfe ebnet den Weg zu einer zukunftsorientierten individualisierten Personalpolitik. Nur diese kann Brücken bauen zwischen ihren Instrumenten, den Lebensentwürfen der Beschäftigten sowie den Werten, Prozessen und Strukturen innerhalb der Organisation. Eine individualisierte Personalpolitik will und soll Arbeitgebern jedoch nicht abverlangen, zwanghaft den Einstellungen und Wünschen jedes einzelnen Beschäftigten zu entsprechen. Sie ermöglicht aber, Maßnahmen auf ihre Passgenauigkeit hin zu überprüfen, zu adaptieren oder neu zu konzipieren.

Mit der Studie Vereinbarkeit 2020 appelliert berufundfamilie daher an Arbeitgeber, sich den Lebensentwürfen ihrer Mitarbeitenden zu öffnen. Gleichzeitig muss klar sein: Vereinbarkeit kann nur dann gelingen, wenn eine Balance geschaffen wird zwischen den individuellen Belangen der Beschäftigten, den betrieblichen Erfordernissen und den Bedarfen des Teams. Der Weg dahin ist das, was berufundfamilie als "Vereinbarkeitstrialog" bezeichnet. Sein zentrales Element ist die Gestaltung von Aushandlungsprozessen. Von den Führungskräften gesteuert, werden Beschäftigte und Team in diese Prozesse eingebunden. Nur so lassen sich Lösungen finden, die von allen Beteiligten mitgetragen werden.

Anmerkung
1. Die Studie ist abrufbar unter: https://bit.ly/2F8NtD8