Vielstimmiger Glaube in der Caritas
So deutlich hat noch keine Erhebung über die Glaubensquellen von Caritas-Mitarbeitenden Auskunft gegeben wie die kürzlich vorgelegte Studie innerhalb des Würzburger Diözesan-Caritasverbandes (siehe dazu neue caritas Heft 20/2016, S. 26).1 In den Dienstgemeinschaften gibt es eine Vielzahl religiöser "Komponisten", eine bunte Vielfalt religiöser Lebensdeutungen und spiritueller Praktiken, die sich schwer noch unter dem Banner "klassisch katholisch" versammeln lässt. Damit ist für caritative Organisationen eine zentrale Frage eröffnet: Kann in Zeiten verschiedener Orientierungen noch sinnvoll von einem gemeinsam leitenden "Spirit" gesprochen werden, der ja oft als potenzieller Treiber
des diakonisch-unternehmerischen Tuns beschworen wird? Bleibt man diesem Anspruch treu, so braucht es inmitten der organisationalen Vielstimmigkeit eine Kommunikationskultur.2 Doch wie gelingt angesichts spiritueller Vielheit ganz praktisch die gemeinsame Verständigung von Caritas-Mitarbeitenden in Glaubensfragen? Einen vielversprechenden Ansatz liefert ein etabliertes religionspädagogisches Modell, das sich, kombiniert mit popkulturell-medialen Inhalten, als überaus kommunikationsbelebend erweist.
Anforderungen an Kommunikation
Zunächst zu den Befragungsergebnissen, die bereits umfassend präsentiert worden sind: Dokumentieren lässt sich für die Mitarbeitenden in der Caritas heute ein Spektrum vielfältiger religiöser Orientierungen. Dies reicht von der Bejahung traditioneller Bekenntnisformeln über Mischformen von Religiositätselementen hinweg bis hin zu dem, was der Religionsphilosoph Tomas Hálík pointiert einmal "Etwaismus" genannt hat. Gemeint ist eine sehr vage Form religiöser Überzeugung, die sich in der Aussage spiegelt: "Was Gott betrifft, bin ich mir unsicher, aber an irgendetwas über uns, daran glaube ich."3
Die spirituelle Bandbreite in der Caritas ist beeindruckend, doch keineswegs erstaunlich. Sie ist Kehrseite des Selbstverständnisses moderner Menschen inmitten sozialer Wandlungsdynamiken, von denen eben auch religiöser Glaube erfasst wird. Dieser speist sich heute weniger aus der Aneignung äußerer Vorgaben, sondern ist mehr Sache persönlicher Entscheidung. Die Pflege einer spirituellen Kultur kann somit dort chancenreich sein, wo eine Organisation über offene Räume religiöser Kommunikation verfügt. Bekanntermaßen ist diese jedoch erschwert, wird sie im säkularen Umfeld nach wie vor zuweilen als heikle Angelegenheit erfahren. Zudem wissen theologisch Beauftragte, dass das klassische Repertoire religiöser und theologischer Sprache heute bei Mitarbeitenden selten zündet.
Der empirischen Forschung ist bekannt, dass religiöse Kommunikation insbesondere an außeralltäglichen Erfahrungen, etwa "menschlicher Verwundbarkeit"4, aufbricht, am intensivsten in der Begegnung mit dem Tod von nahestehenden Menschen. Religiöse Kommunikation ist hier praktisch unvermeidlich. Doch für eine vitale spirituelle Kultur im Lebensalltag ist es ebenso wichtig, auch bei den weniger einschneidenden Dingen einen religiösen Resonanzboden anzubieten. Es bedarf also eines kommunikativen Rahmens, der Glaubenspluralität und praktischem Lebensbezug gleichermaßen Raum verspricht. Ein entsprechendes kommunikationsdienliches Modell liegt bereits seit Jahren vor.
Von Poetry bis Gotteslob - ein Glaubensmodell
Das Modell der "Religionssensiblen Erziehung" von Martin Lechner stammt ursprünglich aus der Erziehungshilfe.5 Es ist, wie die praktische Arbeit mit Mitarbeitenden in Workshops und weiteren Auszeit-Formaten zeigt, äußerst nützlich für das Initiieren religiöser Kommunikation, und zwar arbeitsfeldübergreifend, weit über den Kontext der Erziehungshilfe hinaus. Der Vorzug des Modells liegt in dem zugrunde gelegten weit gefassten Glaubensverständnis, das, so zeigt die Erfahrung, erstaunlich viele Mitarbeitende offenherzig bejahen können. Parallel dazu knüpft es an grundlegende Lebenserfahrungen an und offenbart darin seine lebenspraktische Relevanz. Es lässt sich zudem ansprechend durch mediale Impulse der Popkultur illustrieren, wie unten beispielhaft noch gezeigt wird.
Das Modell geht zunächst davon aus, dass Spuren religiösen Glaubens bereits dort auffindbar sind, "wo jemand sich unbedingt geliebt fühlt, letzten Gewissheiten vertraut, eine unerschöpfliche Tiefe des Seins annimmt und nach dem letzten Grund unseres Lebens sucht"6. Dieser sogenannte Existenzglaube ist die weiteste Form der insgesamt drei religiösen Bezugnahmen, die das Modell kennt. Das Credo dieser Variante findet Ausdruck in vielen zeitgenössischen Songtexten, markant etwa bei Max Herre und Philipp Poisel ("Weil es schwer ist, die Zweifel auf den Schultern zu tragen, also schließe ich die Augen, um an etwas zu glauben … und das Leben zu lieben, hier auf Wolke 7" (Song "Wolke 7") oder bei Andreas Bourani ("Wenn der Sinn von allem sich nicht zeigt und sich tarnt bis zur Unkenntlichkeit … es geht vorbei" (Song "Hey"). Aus Poetry-Zeilen zum Beispiel von Julia Engelmann ("Der Sinn des Lebens ist: Leben" ("One Day/Reckoning Text")7 spricht ebenso Existenzglaube wie aus apokalyptischen Szenarien zum Beispiel der Youtube-Poems von Brandon Sloan, inspiriert durch Krisen-Erfahrungen (globaler) Ungerechtigkeit.
Einen enger gefassten Rahmen bildet der Transzendenzglaube, der den Alltag in einen Resonanzraum des Überalltäglichen hinein überschreitet und die Präsenz einer höheren (beziehungsweise tieferen) Wirklichkeit voraussetzt, ob diese mit einem Gott, einem kosmischen Prinzip oder einer Allverbundenheitsenergie identifiziert wird. Die Bewunderung des Kosmos, der Welt oder ihrer imposanten Natur findet sich prominent in Louis Armstrongs "What a Wonderful World" oder Marterias "Welt der Wunder" ("Denn wir leben auf einem blauen Planeten, der sich um einen Feuerball dreht, mit ’nem Mond, der die Meere bewegt, und du glaubst nicht an Wunder"). Auch dort, wo Verletzungen von universalen, weltumspannenden Prinzipien des Zusammenlebens erfahren werden, kann sich Transzendenzglaube artikulieren: "Be God’s glow … let our spirits never die … I feel you are all my brothers" ("Heal the World", Michael Jackson).
Die engste beziehungsweise konkreteste religiöse Form drückt sich schließlich im Konfessionsglauben aus. Er umfasst die Bejahung tradierter Glaubensinhalte aus dem (historischen) Kulturfundus der Religionsgemeinschaften.8 Die christliche Ausprägung findet sich anschaulich in vielen biblischen Erzählungen, ebenso in kirchlichen Gebets-, Lied- und Lehrtexten - ob in "Gaudium et spes"9 oder im "Ave Maria". Der Konfessionsglaube ist praktisch der geteilte Glaube einer Gemeinschaft, der in Referenztexten durch ein "Uns" oder "Wir" angezeigt wird, wie beim "Vaterunser", "Großer Gott wir loben dich", in modernen Worship-Songs wie "Our God is Greater" (Chris Tomlin). Analog dazu lassen sich ebenso jüdische, islamische und weitere Bekenntnistexte dem Konfessionsglauben zuordnen.
Verständigungsfähigkeit und Lebensdienlichkeit
Angesichts pluraler Orientierungen verstehen sich Dienstgemeinschaften der Caritas heute nicht mehr einfach als religiöse Gemeinschaften. Doch sie können sich durchaus als vitale Kommunikationsgemeinschaften erfahren, in denen die angehörenden Menschen in Glaubens- und Sinnfragen über Verständigungsfähigkeit verfügen. In der kulturgestaltenden Arbeit mit Mitarbeitenden aus Caritas-Organisationen bietet das beschriebene Modell an dieser Stelle die Basis für eine aufgeschlossene Glaubenskommunikation, die eng mit den Fragen des Lebens verbunden ist, etwa: "Was oder wer trägt im Leben?" Freilich gibt es hier unterschiedliche Antworten: "Und alles, was dich scheinbar hält, bist am Ende nur du selbst" (Song "Fabienne", Nisse), sagt der Existenzglaube, während Konfessions- und Transzendenzglaube womöglich zurückfragen: "Wirklich nur du selbst?"
In einer kirchlichen Organisation ist dies sicherlich kein Randthema, sondern berührt zutiefst ihre spirituelle Kultur. So könnte es lohnenswert sein, diese und ähnliche Fragen zum Ausgangspunkt des empirischen Interesses an den Spiritualitäten der Mitarbeitenden in der Caritas zu machen. Dann wäre nicht Profilbildung das leitende Motiv, sondern zunächst einmal Lebensdienlichkeit.
Anmerkungen
1. Ebertz, M. N.; Segler, L.: Spiritualitäten als Ressource für eine dienende Kirche. Die Würzburg-Studie. Würzburg: Echter Verlag, 2016.
2. Ebd., S. 22.
3. Vgl. Halík, T.: Geduld mit Gott. Die Geschichte von Zachäus heute. Freiburg: Herder Verlag, 2016, S. 94.
4. Keul, H.: Vulnerabilität und Resilienz - christlich-theologische Perspektiven. In: Münchner Theologische Zeitschrift (MThZ), 67. Jg. Themenheft "Resilienz", 3/2016, S. 224-233.
5. Lechner, M.; Gabriel, A: Brenn-Punkte. Religionssensible Erziehung in der Praxis. München: Don Bosco, 2011.
6. Lechner, M.: Jugendlichen mit Religion gerecht werden. In: neue caritas Heft 15/2011, S. 9 ff.
7. Engelmann, J.: Eines Tages, baby. Poetry-Slam-Texte. München: Goldmann 2014. S. 29
8. Vgl. Ebertz, M. N.; Segler, L., a.a.O., S. 239.
9. Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute (Zweites Vatikanisches Konzil).
Beteiligung – ein Schlüssel für erfolgreiche Erziehungshilfen
Schöne neue Arbeitswelt
Frauenquote macht einmal mehr Kopfzerbrechen
Was das Leben lebenswert macht
Biete Wohnraum, suche Familienanschluss
Personalvorgaben sind keine Lösung
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}