Ganzheitlich, bedarfsgerecht, flexibel
Die Zeiten hoher Arbeitslosigkeit in Deutschland liegen noch nicht lange zurück. Personalabteilungen stellten sich als Folge des über Jahre andauernden Arbeitskräfteüberhangs hauptsächlich auf administrative Aufgaben ein - beispielsweise auf das Bewerbermanagement in Form der Sichtung und Selektion der Vielzahl an Bewerber(inne)n. Im Zuge der Arbeitsmarktflexibilisierung durch die Agenda 2010 und mit dem Strukturwandel hin zum tertiären Sektor hat sich der Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften in Deutschland in den vergangenen Jahren kontinuierlich erhöht. In Verbindung mit den demografischen Veränderungen hin zu einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft, die zunehmend auf den Arbeitsmarkt durchschlagen, ist für bestimmte Berufsgruppen bereits heute ein Arbeitnehmermarkt entstanden, in dem Unternehmen ihre Stellen aufgrund von Arbeitskräfteengpässen nicht mehr zeitnah (nach-)besetzen können.1
Der verstärkte Wettbewerb um gut ausgebildete Mitarbeiter(innen) hat in vielen Unternehmen zu einer Professionalisierung personalpolitischer Prozesse beigetragen. Damit wurde auch die Personalpolitik stärker in die Unternehmensstrategie eingebunden. Die fortschreitende Digitalisierung der Wirtschaft und damit einhergehende komplexe Tätigkeitsprofile werden den Bedarf an Höherqualifizierten voraussichtlich auch in Zukunft noch weiter vorantreiben.2 Damit sichert sich die Personalpolitik ihren hohen Stellenwert als wichtiger unternehmerischer Erfolgsfaktor.
Aufgabe des Personalmanagements ist es heute mehr denn je, die Anforderungen des sich kontinuierlich wandelnden unternehmerischen Marktumfelds und der Organisation mit den Bedarfen (zukünftiger) Mitarbeiter(innen) in Einklang zu bringen. Dafür braucht es eine Personalpolitik, die ganzheitliche, bedarfsgerechte Lösungen anbietet, sich in die Unternehmensstrategie einfügt und sich flexibel und individuell an veränderte Situationen und Anforderungen anpasst.
Konzept der lebensphasenorientierten Personalpolitik
Im Hinblick auf sich potenziell verschärfende Fachkräfteengpässe wird es zunehmend wichtiger, die Arbeitgeberattraktivität zu schärfen und den Bewerberpool beispielsweise durch die gezielte Ansprache von älteren, geringqualifizierten oder ausländischen Erwerbstätigen zu erweitern.
Bisherige Konzepte des Personalmanagements haben häufig noch einen engen Fokus auf spezifische Mitarbeitergruppen, seien es Programme für Nachwuchsführungskräfte, unterstützende Angebote für Eltern oder Weiterqualifizierungsprogramme für Berufseinsteiger(innen). Diese Ansätze zielen häufig auf eine restriktive, statisch definierte Zielgruppe und bieten wenig Flexibilität, sich auf verändernde Lebensumstände der Mitarbeiter(innen) einzustellen. Insbesondere vor dem Hintergrund einer Ausdifferenzierung und Individualisierung von Lebensverläufen steigt jedoch der Anspruch an personalpolitische Lösungen, zunehmend individueller, passgenauer und flexibler zu werden. Damit ist nicht gemeint, dass Unternehmen für alle Eventualitäten Pläne vorrätig in der Schublade haben müssen, sondern vielmehr, dass turnusmäßig Analyseinstrumente verwendet werden, die veränderte Lebenssituationen wie beispielsweise den eintretenden Pflegebedarf eines nahen Angehörigen oder den Weiterbildungsbedarf unabhängig vom Alter oder Geschlecht der Person erfassen.
Das Konzept der lebensphasenorientierten Personalpolitik basiert auf den unterschiedlichen Lebenssituationen der Beschäftigten, die jeweils durch ein Ereignis (zum Beispiel die Geburt des Kindes oder den Pflegefall in der Familie) definiert werden. Zu den wichtigsten Berufs- und Lebensphasen zählen unter anderem der Berufseinstieg, die erste Übernahme von Führungs- oder Projektverantwortung, die Familiengründungsphase, familiäre oder gesundheitliche Krisensituationen sowie die Phase vor dem Renteneintritt.3 Neben regelmäßigen Mitarbeiterbefragungen bietet die fortlaufende Analyse der Alters- oder Qualifikationsstruktur der Belegschaft für Unternehmen die notwendigen Informationen, um über personalpolitische Schritte zu entscheiden. So lässt sich beispielsweise dem drohenden Wissensverlust durch den Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge frühzeitig durch altersgemischte Teams oder Stellvertreterregelungen entgegentreten.
Die operative Personalpolitik lässt sich in acht nicht ganz trennscharfe Handlungsfelder einteilen, die sich über den Erwerbshorizont des Mitarbeiters vom Eintritt bis zum Austritt aus dem Unternehmen erstrecken:
- Personalgewinnung und Personalmarketing;
- Arbeitsorganisation und Arbeitszeit;
- Leistungsmanagement und Vergütung;
- Karriere- und Laufbahnplanung;
- Gesundheitsmanagement;
- Qualifizierung und Training;
- Wissensmanagement;
- Austritts- und Übergangsmanagement.
Neben der Bedarfsanalyse ist für die Auswahl personalpolitischer Handlungsoptionen auch die strategische Ausrichtung der Personalpolitik zu berücksichtigen. Dabei müssen Personalleiter(innen) beantworten, ob die personalpolitischen Schritte nachhaltig das Unternehmensziel unterstützen und welches Signal an potenzielle Bewerber(innen) und Mitarbeitende gesendet werden soll. Eine Personalpolitik, die beispielsweise die Innovationsfähigkeit des Unternehmens durch eine vielfältige Belegschaftsstruktur fördern möchte, braucht möglicherweise ein breiteres Spektrum an Rekrutierungskanälen. Unternehmen, die starken Absatzschwankungen ausgesetzt sind, mögen dagegen den Schwerpunkt eher auf eine Flexibilisierung des Arbeitsvolumens mittels Arbeitszeitkonten legen. Personalpolitische Ziele lassen sich jedoch selten durch eine Linie erreichen, sondern bedürfen sich ergänzende Bündel von Aktionen. Unternehmen, die auf die Innovationskraft der Mitarbeiter(innen) setzen, müssen beispielsweise nicht nur die Mitarbeiterqualifikationen erweitern (Qualifizierung und Training), sondern das Wissen im Unternehmen zirkulieren lassen (Wissensmanagement) und dieses Know-how auch nach Austritt eines Mitarbeiters im Unternehmen halten (Austrittsmanagement).
Personalpolitik als Erfolgsfaktor
Eine repräsentative Umfrage unter 1561 Unternehmen der deutschen Wirtschaft mit mindestens fünf Mitarbeiter(inne)n ergab, dass im Erhebungsjahr 2013 jedes zwölfte Unternehmen seine Personalpolitik am Konzept der Lebensphasenorientierung ausgerichtet hat.4 Unter größeren Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitern lag der Anteil bei rund einem Fünftel. Die stärkere Verbreitung der Lebensphasenorientierung in großen Unternehmen ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass diese höhere personelle wie auch finanzielle Ressourcen für die Personalpolitik zur Verfügung stellen können. Gerade im Hinblick auf die Analyse der Mitarbeiterbedürfnisse haben kleine und mittlere Unternehmen jedoch den Vorteil, dass sie oft schon gut über die einzelnen Bedarfe der Belegschaft Bescheid wissen, ohne diese über strukturierte Mitarbeiterbefragungen erheben zu müssen. Die strategische Ausrichtung der Personalpolitik findet sich hingegen nur in drei von zehn Unternehmen wieder und auch nur in jedem zweiten großen Unternehmen.
Auch wenn die Ergebnisse der Studie zeigen, dass lebensphasenorientierte Personalkonzepte heute noch nicht stark verbreitet sind, zeigt sich bei den Vorreiterunternehmen ein bemerkenswert großer Anteil an hochqualifizierten Mitarbeiter(inne)n. Dies legt den Schluss nahe, dass mit der im digitalen und demografischen Wandel vermutlich zunehmenden unternehmerischen Bedeutung von hochqualifizierten Fachkräften auch der Ansatz der Lebensphasenorientierung an Bedeutung gewinnen wird.
Die Untersuchung hat ferner gezeigt, dass Unternehmen, die bereits eine lebensphasenorientierte Personalpolitik vorweisen können, häufiger positive Ertragserwartungen für das kommende Jahr und häufiger ein positives Jahresergebnis im vergangenen Jahr aufwiesen. Neben den guten finanziellen Kennzahlen verzeichnen Unternehmen mit einer lebensphasenorientierten Personalpolitik zudem einen niedrigeren jährlichen Krankenstand von rund zwei Tagen pro Beschäftigten und eine höhere Innovationskraft.
An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass auf Basis der Querschnittserhebung keine kausalen Zusammenhänge erfasst werden können und eine gute finanzielle Ausgangssituation des Unternehmens nicht nur Folge, sondern, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, auch Voraussetzung für ein auf die Lebensphasen der Mitarbeitenden ausgerichtetes Personalkonzept sein kann. Doch auch wenn Kausalität nicht zweifelsfrei empirisch belegbar ist, so ist der Schluss, dass ein ganzheitliches und innovatives Personalmanagement wie die Lebensphasenorientierung den Unternehmenserfolg fördert, nicht nur plausibel, sondern wird auch durch verschiedene andere Studien gestützt.5
Anmerkungen
1. Bußmann, S.: Fachkräfteengpässe in Unternehmen: Der Ausbildungsmarkt für Engpassberufe. Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung, Studie 3/2015, Köln, 2015.
2. Hammermann, A.; Stettes, O.: Beschäftigungseffekte der Digitalisierung - Erste Eindrücke aus dem IW-Personalpanel. In: IW-Trends Nr. 3/2015, 42. Jg., S. 77-94.
3. Gerlmaier, A.; Latniak, E.: Ausgepowert, ausgebremst oder ausgeglichen? Lebensphasenorientiertes Personalmanagement als Schlüssel für eine nachhaltige Fachkräftesicherung in High-Tech-Bereichen. In: IAQ-Report - Aktuelle Forschungsergebnisse aus dem Institut Arbeit und Qualifikation, 5. Aufl., Universität Duisburg Essen, 2015.
4. Hammermann, A.; Stettes, O.: Lebensphasenorientierte Personalpolitik - Theoretisches Konzept und empirische Evidenz. In: IW-Analysen, Nr. 97, Köln, 2014.
5. Bloom, N.; Van Reenen, J.: Human resource management and productivity. In: Ashenfelter, O.; Card, D. (Eds.): Handbook of Labor Economics. Handbooks in Economics, 4B, 2010.
Huselid, M. A.: The impact of human resource management practices on turnover, productivity, and corporate financial performance. In: Academy of Management Journal, 38. Jg., Nr. 3/1995, S. 635-672.
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