Nackte Wahrheit
Als im April 2013 der Textilfabrikkomplex Rana Plaza in Dhaka in Bangladesch einstürzte und über 1100 Menschen umkamen, war der Aufschrei groß. Es wurde greifbar, welche Fallstricke in den Produktionsketten heutiger Waren stecken. Billige Produktionen ermöglichen Jeans und T-Shirts zum Spottpreis. Was beim Kauf oft ausgeblendet wird, sind die damit verbundenen Arbeitsbedingungen: geringe Löhne, überlange Arbeitszeiten, kein Arbeitsschutz. Inzwischen sind die Fakten meist bekannt. Doch laut einer Umfrage der Deutschen Presseagentur (dpa) sind die Verbraucher in Deutschland zwar für faire Produktionsbedingungen. Fast genauso wichtig ist ihnen jedoch der Preis. Entgegen dem allgemeinen Trend in der Biobranche steht der Boom beim Kauf sozial und ökologisch unbedenklich hergestellter Kleidung noch aus.
Bessere Arbeitsbedingungen, vor allem besseren Arbeitsschutz, umzusetzen, scheint langwierig. Zertifikate zu Sicherheits- und Arbeitsbedingungen sind laut des European Center for Constitutional and Human Rights wertlos. Sie dienen dem Image der Unternehmen, nutzen den Arbeiter(inne)n jedoch kaum. Das habe der Einsturz gezeigt: Das Gebäude Rana Plaza war wenige Monate vor der Katastrophe vom TÜV Rheinland geprüft worden. Der Fonds für die Opfer in Höhe von 30 Millionen US-Dollar ist seit Anfang Juni 2015, mehr als zwei Jahre nach dem Unglück, gefüllt und die Menschen können nun eine Entschädigung erhalten. Sie dient als Ausgleich für den Einkommensverlust und für medizinische Kosten. In der Zwischenzeit hat es jedoch wieder Unfälle in anderen Fabriken gegeben.
Im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) wurde im Oktober 2014 das Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet. Mitglieder sind neben dem BMZ Bekleidungsunternehmen und NGOs. Mit dem Bündnis sollen Verbesserungen in der
Textil- und Bekleidungsbranche erreicht werden. Unter der Adresse www.siegelklarheit.de können sich Verbraucher zusätzlich über die verschiedenen Siegel und Standards der Textilindustrie informieren.
Der Deutsche Caritasverband hat mit seiner Kampagne im Jahr 2014 "Weit weg ist näher, als du denkst" auch auf die weltweiten Verflechtungen zwischen dem Konsumverhalten in den Industrieländern und den Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern hingewiesen. Der Appell an die Öffentlichkeit war klar: Gerechtigkeit beginnt beim täglichen Einkauf. Für niedrige Preise für Kleidung zahlen die Näherinnen mit ihrer Gesundheit oder gar mit ihrem Leben. Wer hier Positives bewirken möchte, sollte Produkte kaufen, deren Sozialverträglichkeit geprüft ist. Die Caritas sollte mit gutem Beispiel vorangehen und Textilien und anderes aus fairer Produktion nutzen und vertreiben - oder selbst herstellen.
Konsumverhalten ändern
Junge Frauen aus den IN VIA-Jugendwohnheimen in Bayern beispielsweise peppen in Upcycling-Workshops gemeinsam mit einer Künstlerin ausrangierte Kleidungsstücke auf. Damit wollen sie ein Zeichen setzen gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken - und gegen den gedankenlosen Konsum. IN VIA setzt sein Projekt dort um, wo die neuesten Modetrends ein großes Thema sind: in den IN VIA-Wohnheimen, die mehr als 400 Mädchen und jungen Frauen ein Zuhause auf Zeit bieten. So erfahren die Jugendlichen etwa, dass es bei einem T-Shirt zum Schnäppchenpreis von 2,50 Euro in den Herstellungsländern nicht fair zugehen kann, dass der Lohn einer Näherin kaum zum Leben reicht oder die verwendeten Materialien die Umwelt und Gesundheit belasten.
Caritasprojekte setzen sich weltweit für mehr Gerechtigkeit ein. Caritas international schafft in verschiedenen Projekten beispielsweise in Kolumbien, Bangladesch oder Indien gemeinsam mit den Projektpartnern Erwerbschancen für besonders marginalisierte Bevölkerungsgruppen, unter anderem in Textilkooperativen. Hier steht die Entwicklung der Mitarbeitenden im Vordergrund. Einige von ihnen haben sich inzwischen erfolgreich am Markt etablieren können - wie zum Beispiel die Schwestern der Ordensgemeinschaft Hermanas Adoratrices in Kolumbien. In Bogotá haben sie eine Textilfabrik gegründet, in der sie sehr darauf achten, die sozialen und arbeitsrechtlichen Standards einzuhalten - im Gegensatz zu vielen anderen kolumbianischen Textilunternehmen.
Aber das ist nur ein Aspekt ihrer Arbeit: Die Hermanas bieten Mädchen und jungen Frauen eine Ausbildung und damit die Möglichkeit, einem Leben auf der Straße zu entkommen. In Kolumbien herrscht seit mehr als 50 Jahren Bürgerkrieg. Für die Bevölkerung bedeutet das ein Leben in Gefahr und Abhängigkeit von Politikern, Guerillas und Paramilitärs. Tausende fliehen von den Dörfern in die Stadt. Sie enden meist in den Elendsvierteln, wo Mädchen und junge Frauen oft nur die Prostitution bleibt. Das größte Problem sind fehlende Ausbildungsmöglichkeiten, die den Frauen eine berufliche Perspektive außerhalb der Prostitution ermöglichen. Bei den Hermanas können sie neben der beruflichen Ausbildung auch neue Perspektiven für ihr Leben entwickeln.
Das Projekt ist ein Erfolg. Angefangen hat es 1977 mit gebrauchten Nähmaschinen und einem Workshop zum Umgang mit den Geräten. Seitdem ist viel passiert. Heute wird hier professionell ausgebildet und gearbeitet. Die faire Textilfabrik ist auf dem Weltmarkt erfolgreich. So lässt zum Beispiel ein europäischer Anbieter von Outdoor-Bekleidung einen Teil seiner Kollektion bei den Hermanas herstellen. Faire Textilproduktion ist also möglich, sogar in Kombination mit einem Sozialprojekt. Im Dezember 2014 hat der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, das Caritas-Projekt in Kolumbien besucht.
Eine lohnende Investition mit ungewissem Ausgang
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