Die Vielfalt der Lernenden ist ein Gewinn für alle
Die Idee, Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam zu unterrichten ist nicht neu. In Italien beispielsweise ist dies schon längst Routine. Dort gibt es seit 1977 weitestgehend keine Sonder- und Fördereinrichtungen mehr. Alle Kinder und Jugendliche - mit und ohne Behinderung - gehen auf eine Regelschule. Der Wandel, welchen Italien schon vor fast 40 Jahren durchlebt hat, soll nun auch nach Deutschland kommen. Deutschland hat 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben und Inklusion somit zum Menschenrecht erklärt. In Artikel 24 dieser Vereinbarung hat Deutschland sich verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem zu schaffen.
Das Wort Inklusion meint hierbei nicht nur die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Alle Menschen sollen unabhängig von Hautfarbe, Religion, Herkunft, Geschlecht, Alter sowie den sozialen Verhältnissen oder den eigenen Fähigkeiten ein vollwertiges und aktives Mitglied der Gesellschaft werden.
Zum Glück gibt es eine Sonderpädagogin
Das dreijährige Projekt "Netzwerk Inklusion" der Caritas Mecklenburg, das am 1. Juli 2014 gestartet ist, möchte dieses Recht auf inklusive Bildung fördern. Gemeinsam mit den beiden Kooperationsschulen, dem Schulcampus Rostock-Evershagen und der Evangelischen Grundschule Kavelstorf, soll versucht werden, die Theorie mit der Praxis zu verbinden. Ein schwieriger Schritt - vor allem bei den knappen personellen Ressourcen. Der Schulcampus umfasst mit aktuell 880 Schüler(inne)n ein Gymnasium und eine Regionale Schule im Verbund. Diese hat das Glück, eine Sonderpädagogin als Beraterin und sonderpädagogische Unterstützung vor Ort vorweisen zu können. Die zweite Kooperationsschule im Netzwerk ist eine kleine Grundschule mit 28 Schüler(inne)n, die sich noch im Aufbau befindet. An beiden Schulen gibt es Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen. Einige der Schüler(innen) haben keinen diagnostizierten Förderbedarf und werden trotzdem individuell gefördert. "Jedes Kind ist etwas Besonderes und man kann in der Praxis die Kinder nicht mehr unterscheiden", so Sonderpädagogin Andrea Krause. Daher steht die Feststellungsdiagnostik in Zeiten der Inklusion in großer Kritik. Die Forderung, dass die Kinder nicht mehr mit einem "Förderschwerpunktstempel" etikettiert werden sollen, ist nicht neu. Neu ist allerdings, dass seit diesem Schuljahr jede Schule in der Hansestadt Rostock eine bestimmte Anzahl an Förderstunden zugewiesen bekommt. Dadurch haben die Schulen zwar mehr Planungssicherheit, allerdings werden die Stunden bei steigender Schülerzahl kaum erhöht.
Leider ist in Mecklenburg-Vorpommern die inklusive Beschulung noch nicht im Schulgesetz verankert und wird somit erst von wenigen Schulen ernst genommen. Anders läuft es beim Schulcampus. "Wir warten auf keinen Beschluss. Die Kinder sind jetzt da und wir stellen uns jetzt der neuen Aufgabe", so Gerald Tuschner, Schulleiter des Gymnasiums und der Regionalen Schule im Verbund. Kinder mit diagnostiziertem Förderbedarf werden teilweise von Schulbegleiter(inne)n im Unterricht unterstützt, einer der ersten Schritte von inklusiver Beschulung. Die Schulbegleiter(innen) helfen dem Kind, den Schulalltag in einer Regelschule zu bewältigen. Nur so können die Kinder und Jugendlichen wohnortnah beschult werden und haben die Chance, einen Freundeskreis in ihrer Nachbarschaft
aufzubauen. Die Schulbegleiter(innen) unterstützen sie nicht nur in der sozialen Eingliederung, sondern auch in der schulischen Inklusion. Da die Bedürfnisse jedes Kindes stark variieren, variieren auch die Aufgaben der Schulbegleitung. Am Schulcampus gibt es beispielsweise ein Mädchen, welches im Rollstuhl sitzt und von ihrer Schulbegleiterin bei einem Raumwechsel oder bei Nachteilsausgleichen Hilfe erfährt, etwa in Form von technischen Hilfen oder anderen Aufgabenstellungen. Kinder mit seelischer Behinderung werden bei der Umsetzung von Lerninhalten unterstützt. "Auch die Lehrer wollen lernen, damit umzugehen, dass in manchen Klassen den ganzen Tag ein Erwachsener zusätzlich mit im Unterricht sitzt", so Andrea Krause.
Das Projektteam möchte in der dreijährigen Laufzeit unter anderem die Professionalisierung der Schulbegleitung ausbauen. Momentan kann die Zusammenarbeit zwischen Integrationshelfer(inne)n und Lehrer(inne)n noch schwierig sein. Aufgabenbereiche, die generalisiert für alle Schulen und Schulbegleiter(innen) gelten, möchte das Netzwerk Inklusion als Qualitätsstandards entwickeln. "Für die Lehrkräfte ist es wichtig, mit der Anwesenheit eines weiteren Erwachsenen umzugehen.
Oft reicht das Personal nicht
Die Lehrerinnen und Lehrer und die Schulbegleiter müssen ihre gemeinsamen Aufgabenbereiche in der Zusammenarbeit für ein erfolgreiches inklusives Klassenzimmer entwickeln", so der Schulleiter des Schulcampus Rostock Evershagen, Gerald Tuschner. Der/Die Schulbegleiter(in) ist täglich in der Klasse und kümmert sich neben seinem/ihren Integrationskind im Idealfall auch um andere Kinder. Der/
Die Sonderpädagoge/in im gemeinsamen Unterricht kommt meist nur für wenige Stunden in die Klasse und holt eventuell einzelne Kinder zur individuellen Förderung aus dem Unterricht. In vielen Klassen gibt es zu wenig Personal, um den neuen Bedingungen gerecht zu werden. Einige Lehrer(innen) fühlen sich dadurch überfordert.
Es wäre sinnvoll, wenn mindestens ein Sonderpädagoge an den Schulen angestellt wäre, um einen besseren Kontakt zu Kolleg(inn)en sowie Schüler(inne)n aufzubauen und bei Bedarf direkt eingreifen zu können. Am Schulcampus ist Andrea Krause seit drei Jahren fest als Sonderpädagogin tätig - eher eine Ausnahme. Sie ist Ansprechpartnerin für Kinder mit und ohne Förderbedarf, aber sie berät auch die Lehrer(innen). Viele Lehrkräfte schätzen dieses Angebot, da sie mit einfachen Tipps oft schnelle Erfolge sehen. In der evangelischen Grundschule Kavelstorf wird jahrgangsübergreifend unterrichtet. Die Lehrer(innen) haben sich darauf eingestellt, jedes Kind individuell zu fördern. Andreas Kammerer, Schulleiter der evangelischen Grundschule: "Ein wichtiger Bestandteil unseres Konzeptes ist die Freiarbeit. Die Kinder lernen, wie sie ihre eigene Freiarbeitszeit gestalten. Wir unterstützen sie dabei zu erkennen, was sie noch üben müssen."
Bis 2019 sollen Schulen in Rostock barrierefrei sein
Nicht nur die personellen Ressourcen sollten im Kontext von inklusivem Unterricht aufgestockt, sondern auch die räumlichen Strukturen müssen berücksichtigt werden. Neben den Klassenräumen sollte es auch Rückzugsorte für einige Kinder geben. Barrierefreiheit spielt selbstverständlich auch eine große Rolle. Nicht nur der Zugang zur Schule muss barrierefrei sein, sondern alle Wege innerhalb des Schulgebäudes. Dies ist auch an unseren Kooperationsschulen noch nicht vollständig umgesetzt. Die Schulen in der Hansestadt sollen bis 2019 alle barrierefrei erreichbar sein. Bei unseren monatlichen Treffen tauschen sich die Kooperationsschulen in Fragen zur inklusiven Beschulung mit anderen Lehrern, Eltern und weiteren Experten aus.
Die Kooperationsschulen haben sich auf ihren individuellen Weg hin zu einer inklusiven Schule gemacht, mit ihrem eigenen Konzept und mit ihren ganz eigenen Problemen. Es ist wichtig, die Vielfalt der Lernenden als Gewinn und nicht als Belastung zu betrachten. So können wir als Netzwerk gemeinsame Schritte in die richtige Richtung wagen und Inklusion in den Schulalltag erfolgreich integrieren.
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