Die Spielräume voll ausnutzen
Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat eine Arbeitsgruppe beauftragt, zum geltenden kirchlichen Arbeitsrecht (AG) zu beraten. Dieser AG gehören seitens der Caritas Präsident Peter Neher und Vizepräsident Heinz-Josef Kessmann an. Mitglied vonseiten der Amtskirche ist unter anderen Generalvikar Clemens Stroppel aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart.1
Seit Dezember 2011 hat die Gruppe neunmal getagt und Themen rund um den Dritten Weg beraten, so auch die kirchliche Grundordnung mit ihren Loyalitätsobliegenheiten. Regelmäßiges Thema sind wiederverheiratete Geschiedene sowie gleichgeschlechtliche Lebenspartner, die im kirchlichen Dienst arbeiten. Die AG hat eine Novellierung der Grundordnung vorgeschlagen, über die in der Bischofskonferenz sowie in deren Ständigem Rat beraten wurde. Über eine Grundordnungsänderung - und wenn ja, in welcher Form - liegt noch keine abschließende Entscheidung vor. Im April 2015 will der Ständige Rat erneut dazu beraten. Der erste Novellierungstext war 2014 nochmals an die AG zurückverwiesen worden. Somit bot sich die Möglichkeit, insbesondere die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes vom 20. Oktober 2014 (sogenanntes Düsseldorfer Chefarzt-Urteil, s. a. neue caritas 21/2014, S. 9) zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht mit dem Novellierungstext abzugleichen.
Generalvikar Clemens Stroppel hatte auf der Rechtsträgertagung der Caritas im September 2014 in Mannheim über Ansätze in seiner Diözese berichtet zur Frage: Wie lassen sich in der Praxis Spielräume nutzen, ohne den Dritten Weg und die kirchliche Grundordnung grundsätzlich infrage zu stellen?
Druck vom Arbeitsmarkt
Denn auch der Diözese Rottenburg-Stuttgart blieb es nicht erspart, dass sie sich in den letzten Jahren zunehmend mit der Fragestellung der geschiedenen Mitarbeiter(innen) befassen musste, die wieder heiraten wollten oder die vorhatten, sich auf eine Führungsposition zu bewerben. Ebenso gab es immer wieder Bewerbungen auf Vakanzen von Menschen, die geschieden und wiederverheiratet waren. Im verfasst-kirchlichen Bereich sind hier insbesondere Erzieherinnen in Kitas betroffen. Im nicht-verfassten Bereich tritt die Frage häufig in der Kranken- und Altenpflege und der Behindertenhilfe auf, wo es inzwischen zur Bewerbernot kommen kann. Die Träger caritativer Einrichtungen mahnen deshalb dringend eine Änderung der Grundordnung (GrO Art. 5 Abs. 5) an. Nicht nur der existenzbedrohende Personalmangel ist hier ausschlaggebend, sondern auch die Frage der Glaubwürdigkeit als kirchliche Einrichtung.
Auch im Dialogprozess der Deutschen Bischofskonferenz und ihrer Diözesen haben sich die innerkirchliche Hoffnung und die Forderung nach einem angemessenen Umgang mit zivil geschiedenen wiederverheirateten Gläubigen manifestiert. Im September 2012 hatte der damalige DBK-Vorsitzende Robert Zollitsch öffentlich in Aussicht gestellt, eine arbeitsrechtliche Lösung für geschiedene wiederverheiratete Gläubige zu suchen.
Arbeitsgerichte verlangen ein Abwägen im Einzelfall
Auch Entscheidungen der deutschen Arbeitsgerichte - insbesondere die des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2011 im sogenannten Düsseldorfer Chefarzt-Fall - sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte legen einen Paradigmenwechsel nahe. Die Gerichte entscheiden nicht mehr nur formell, sondern prüfen, ob im Einzelfall sorgfältig abgewogen wurde. Loyalitätsverstöße durch Abschluss einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe sind oft nicht mehr mit einer gerichtsfesten Entlassung aus dem kirchlichen Dienst bewehrt - insbesondere, wenn sich herausstellt, dass der kirchliche Dienstgeber die GrO über längere Zeit inkonsequent angewandt hat. Von Gerichten zunehmend kritisch gesehen wird auch der Umstand, dass bei nichtkatholischen Chefärzt(inn)en im selben Fall keine Kündigung erfolgt. An dieser Sichtweise ändert auch das oben erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Oktober 2014 nichts Wesentliches: Die Abwägung der Interessen beider Seiten wird in den Vordergrund gestellt. Der Fall des entlassenene Düsseldorfer Chefarztes wurde ans Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatsächlich muss es Katholik(inn)en zumindest irritieren: Ihr Katholischsein kann sie arbeitsrechtlich derart benachteiligen, dass ihnen für einen Loyalitätsverstoß die Kündigung und damit die Vernichtung der Existenzgrundlage droht, während dasselbe Verhalten bei einem nichtkatholischen Mitarbeiter nicht einmal als Loyalitätsverstoß gilt. In der Folge werden geschiedene Mitarbeitende oft in die unverbindliche Lebensform einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gedrängt.
Wen betrifft es?
Von katholischen Mitarbeitenden wird erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Insbesondere im pastoralen, katechetischen und erzieherischen Dienst sowie bei Mitarbeiter(inne)n, die aufgrund einer Missio canonica tätig sind, ist das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erforderlich. Dies gilt auch für leitende Mitarbeiter(innen) (GrO Art.4 (1)). Von nichtkatholischen christlichen Mitarbeiter(inne)n wird erwartet, dass sie die Wahrheiten und Werte des Evangeliums achten (GrO Art 4 (2)).
Art. 5 Abs. 1 der GrO legt fest, dass im konkreten Fall zu prüfen ist, ob schon ein klärendes Gespräch oder eine Abmahnung, ein formeller Verweis oder eine andere Maßnahme wie zum Beispiel Versetzung oder Änderungskündigung geeignet sind, um dem Verstoß zu begegnen. Die Kündigung kommt nur als letzte Maßnahme in Betracht.
Der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe gilt als schwerwiegender Verstoß, der eine Kündigung nach sich zieht (Art. 5 Abs.?2 GrO). Doch auch hier gibt es eine Hintertür: Von der Kündigung kann abgesehen werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalls diese als unangemessen erscheinen lassen. Eine Weiterbeschäftigung hängt also von Einzelfall-Umständen ab, insbesondere von den Fragen, in welchem Ausmaß die Glaubwürdigkeit der Kirche gefährdet ist und ob diese zivile Zweitehe ein öffentliches Ärgernis erregt.
Ermutigt durch die Worte von Papst Benedikt XVI. beim Weltfamilientreffen in Mailand vom 1. bis 3. Juni 2012 und von Papst Franziskus, sieht Generalvikar Clemens Stroppel für seine Diözese die Möglichkeit, zwischen sakramentenrechtlicher und arbeitsrechtlicher Qualifizierung der standesamtlichen Wiederheirat geschiedener Katholik(inn)en zu differenzieren. Der Ausschluss von den Sakramenten der Versöhnung und der Eucharistie muss nicht zwingend die arbeitsrechtliche Kündigung zur Folge haben. So sagt Benedikt: "Und dann müssen wir, was diese Personen betrifft, sagen (...), dass die Kirche sie liebt, dass sie diese Liebe aber sehen und fühlen müssen. Es scheint mir eine große Aufgabe einer Pfarrei, einer katholischen Gemeinde zu sein, wirklich alles nur Mögliche zu tun, damit sie sich geliebt und akzeptiert fühlen, damit sie spüren, dass sie keine Außenstehenden sind, auch wenn sie nicht die Absolution und die Eucharistie empfangen können: sie müssen sehen, dass sie auch so vollkommen in der Kirche leben."2
Clemens Stroppel versteht Benedikts Worte als Aufforderung an die Dienstgemeinschaft, alles ihr Mögliche zu tun, damit sich geschiedene Wiederverheiratete geliebt und akzeptiert fühlen und nicht ausgeschlossen und gekündigt sind. So wolle man in Rottenburg-Stuttgart außerhalb der von Art. 5 Abs.3 GrO betroffenen Gruppe (pastoral, katechetisch oder aufgrund einer Missio canonica Tätige) in jedem Fall prüfen, ob eine Wiederheirat ein objektives Ärgernis errege oder die Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtige. Und vor allem wolle man prüfen, ob nicht im Gegenteil die Kündigung ein objektives Ärgernis erregt und die Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigt.
Umgekehrter Blick auf die Sachverhalte
Um für die Entscheidung über Ärgernis und Glaubwürdigkeit eine Basis zu haben, betritt man in Rottenburg-Stuttgart versuchsweise Neuland. Die betroffenen Mitarbeiter(innen) und Vorgesetzten sollen als Grundlage für ein Mitarbeitergespräch zusammen schriftlich einen Fragenkatalog beantworten. Gefragt wird dort nach Trennungs- und Scheidungsgrund, der Beziehung zum Ex-Partner und zu den Kindern, nach juristischen Angelegenheiten (zum Beispiel Unterhalts-, Ausgleichs- und Eigentumsfragen) und dem Ehenichtigkeitsverfahren. Gemeinsam wird geprüft, ob Ärgernisse entstehen könnten oder die Glaubwürdigkeit gefährdet sein kann.
Generalvikar Clemens Stroppel stellte den Versuch seiner Diözese, mit den durchaus vorhandenen Spielräumen zu arbeiten, die die GrO zulässt, nicht als die "kongeniale" Lösung dar. Er sieht darin aber eine Möglichkeit, zusammen mit den Betroffenen in schwieriger Lage zu menschengerechten Lösungen zu finden - solange die GrO selbst nicht mittels Novellierung zeitgemäßere Wege eröffnet.
Anmerkungen
1. Weitere Mitglieder der Arbeitsgruppe sind Erzbischof Robert Zollitsch (Vorsitz), Kardinal Karl Lehmann, Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof Ludwig Schick, Bischof Gerhard Feige, Generalvikar Peter Beer, Pater Hans Langendörfer, Benno Wagner, Professor Ansgar Hense, Uta Losem und Martin Fuhrmann.
2.?www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/ Suchpfad: speeches, 2012, June, Pastoral Visit to Milan, Evening of Witness [auf Deutsch].
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