Sind Hilfen zur Erziehung ihr vieles Geld wert?
Der Bundesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen befasst sich nicht erst seit der Diskussion der Bundesländer zur Wirksamkeit und Steuerung der Hilfen zur Erziehung mit Fragen der Effizienz in der Jugendhilfe. Viele Einrichtungen und Dienste haben in den letzten 15 Jahren ihre Angebote evaluiert und auf deren Wirksamkeit und ökonomischen Nutzen hin untersucht. Der 14. Kinder- und Jugendbericht des Bundes fordert von den öffentlichen und freien Trägern, „die fachliche Wirksamkeit und ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis auszuweisen und die Wirkungen ihrer Leistungen systematisch zu evaluieren“1. Das Arbeitsfeld der Hilfen zur Erziehung steht somit vor der Herausforderung, gemeinsam mit Bund, Ländern, Kommunen und freien Trägern seine Effizienz weiter zu evaluieren und auf wissenschaftlicher Basis die zugrundeliegenden Wirkfaktoren zu bestimmen.
Die Erfolgsquote liegt zwischen 60 und 90 Prozent
In Deutschland nahmen im Jahr 2011 knapp eine Million junger Menschen eine Hilfe zur Erziehung (HzE) in Anspruch, und 519.172 Hilfen sind in diesem Jahr neu gestartet.2 In Anbetracht dieser ausgeprägten Inanspruchnahme, aber auch der Gesamtkosten von 7109 Millionen Euro 20113 werden verstärkt zwei Fragen an die HzE gestellt:
1. Wie erfolgreich sind diese Hilfen?
2. Sind sie auch ihr (vieles) Geld wert?
Die erste Frage kann auf zwei Wegen beantwortet werden: einerseits über die Erfolgsquote, also die relative Häufigkeit positiver Verläufe während der Hilfe. Andererseits aber auch durch sogenannte Effektstärken, die das Ausmaß der erreichten Veränderungen abbilden. Zu den Erfolgsquoten: Ein Überblick über mittlerweile circa 100 deutschsprachige HzE-Wirkungsstudien ergibt je nach Studie und untersuchter Hilfeart eine Erfolgsquote zwischen 60 und 90 Prozent. Interessanterweise weisen dabei umstrittene Hilfearten, wie zum Beispiel die individualpädagogischen Hilfen im Ausland4, besonders hohe Werte auf. Erfreulicherweise können nicht nur beim Großteil der Klientel positive Veränderungen erzielt, sondern bei der Hälfte dieser positiven Verläufe zudem auch hohe positive Effektstärken (d>0,5) erreicht werden.
Hilfen der Caritas sind erfolgreicher als andere
Welchen Beitrag leisten dazu die unter katholischer Trägerschaft durchgeführten Hilfen? Eine Sonderauswertung der Evaluation Erzieherischer Hilfen (EVAS)5 stellt hierzu 16.833 abgeschlossene Hilfen in katholischer Trägerschaft 5780 abgeschlossenen Hilfen in nichtkatholischer Trägerschaft gegenüber. Dabei erreichen die Hilfen katholischer Einrichtungen und Dienste signifikant höhere Effektstärken (p=0,011). Ihnen gelingt es besser, im Verlauf der Hilfen Ressourcen zu stärken und gleichzeitig Defizite und Auffälligkeiten zu reduzieren. Zudem werden kind- und familienbezogene Ziele signifikant besser erreicht (p<0,001). Durch die erfolgreicheren Hilfeverläufe der Caritas-Einrichtungen und -Dienste werden zudem nach Hilfeende seltener Anschlusshilfen nötig (46,0 Prozent versus 52,1 Prozent). Obwohl Erfolgsquoten und Effektstärken der Erziehungshilfe insgesamt bemerkenswert ausfallen, gelingt es also den katholischen Trägern, diese noch zu übertreffen – trotz geringfügig niedrigerer Gesamtkosten.
Diese insgesamt positiven Ergebnisse stellen eine zentrale Grundlage für die Beantwortung der zweiten Frage dar: Ist also Erziehungshilfe ihr vieles Geld wert? Hierzu werden die Effektstärken der Wirkungsstudien mit ökonomischen Daten verknüpft. Solche Kosten-Nutzen-Analysen liegen mittlerweile für Heimerziehung (§ 34 SGB VIII) und ISE (§ 35 SGB VIII) vor. Für Heimerziehung zeigen sie, mittlerweile mehrfach repliziert, ein positives Verhältnis von 1:3 auf: Ein Euro, der heute in Heimerziehung investiert wird, führt demnach langfristig für die Gesellschaft zu drei Euro Nutzeneffekten, die in den Bereichen Bildung, Erwerbstätigkeit, Gesundheit und Delinquenz erreicht werden6. Für den Bereich der intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung (ISE) konnte sogar eine Kosten-Nutzen-Relation von 1:6 nachgewiesen werden.7 Eine naheliegende Vermutung wäre, dass die beschriebenen Kosten-Nutzen-Relationen durch günstigere Hilfen und eine Reduzierung der Hilfedauer noch gesteigert werden können. Erste empirische Ergebnisse sprechen allerdings gegen diese Vermutung: Demnach weisen umgekehrt die längeren wie auch die teureren Hilfen nicht nur eine höhere Effektivität, sondern auch eine höhere volkswirtschaftliche Effizienz auf.
Jenseits der Frage nach Effektivität und Effizienz beschäftigt sich Wirkungsforschung auch mit den zugrundeliegenden Ursachen von Erfolg und Misserfolg. Die daraus resultierenden Ergebnisse zeigen, dass ein Gelingen von Jugendhilfe von sogenannten Wirkfaktoren abhängig ist, die die Leistungserbringer, aber auch die Jugendämter betreffen.8
Seitens der Leistungserbringer zeigt sich die Kooperation von Kind/Jugendlichem und Familie als bedeutendster Einflussfaktor, der durch Partizipation gefördert werden kann. Zudem haben auch die Hilfedauer, eine qualifizierte Elternarbeit, eine fallbezogene wirkungsorientierte Steuerung, die Beziehungsqualität, die Bindungsperson, die Persönlichkeit und Qualifikation der Fachkraft, die Berücksichtigung bisheriger Lebenserfahrungen, die Struktur- und Prozessqualität der Einrichtung, ressourcenorientierte Angebote, soziales Lernen und Bildung, Traumapädagogik, Nachsorge und Berufsorientierung einen merklichen Einfluss auf den Erfolg der Hilfe.
Welche Rolle kommt dem Jugendamt zu?
Bei den nicht selten kontrovers geführten Diskussionen um die Leistungsfähigkeit von Jugendhilfe wird in der Regel der Einfluss des Jugendamtes auf den (Miss-) Erfolg der Hilfe nicht hinreichend gewürdigt. Wissenschaftliche Studien hingegen zeigen auch jugendamtsbezogen eine Reihe von Wirkfaktoren auf: An erster Stelle muss die Indikation beziehungsweise Zuweisungsqualität genannt werden. In Anbetracht von circa 30 Prozent Fehlplatzierungen besteht hier für die Zukunft ein erheblicher Qualitätsentwicklungsbedarf. Weiterhin hat sich ein zielgerichtetes Ausschöpfen des gesamten HzE-Spektrums als sinnvoll erwiesen. Hierunter fällt auch die Inanspruchnahme von individual- und intensivpädagogischen Hilfen für eine hochbelastete Klientel. Weitere jugendamtsbezogene Wirkfaktoren sind eine ressourcenorientierte Hilfeplanung, ein fachlich fundiertes Case-Management und eine systematisierte sozialpädagogische Diagnostik: Eine aufwendige Kontrollgruppenstudie in Bayern9 zeigte, dass mit einer sozialpädagogischen Diagnostik die Zuweisungsqualität erhöht werden konnte, da die Fachkräfte des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) primär nach fachlichen (und nicht finanziellen) Aspekten entschieden. Dies führte zwar zu etwas teureren, aber in der Folge effektiveren Hilfen, bei denen auch weniger Anschlusshilfen nötig wurden.
Investitionen zahlen sich aus
Die vorliegenden Ergebnisse belegen eindrucksvoll, dass sich die Investitionen, die in den erzieherischen Hilfen getätigt werden, auszahlen – und zwar im doppelten Sinn: einerseits für die benachteiligten und hilfebedürftigen jungen Menschen und ihre Familien. Darüber hinaus aber durch empirisch nachgewiesene volkswirtschaftliche Nutzeneffekte für die gesamte Gesellschaft. In besonderem Maße gilt dies für die unter katholischer Trägerschaft in Anspruch genommenen Hilfen. Diese Effekte können allerdings nur erreicht werden, wenn die empirisch erwiesenen Wirkfaktoren beachtet werden. Ein zentraler Wirkfaktor, die sogenannte Zuweisungsqualität, kann nur erreicht werden, wenn der Fokus der Entscheidungsträger im ASD auf der Wahl einer passgenauen – und nicht der günstigsten – Hilfe ausgerichtet ist. Folgt die Zuweisung hingegen nichtfachlichen Kriterien, wird die Wahrscheinlichkeit für den Einstieg in eine „Jugendhilfekarriere“ und ein damit verbundenes „Fass ohne Boden“ drastisch erhöht.
Literatur
1. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: 14. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Bestrebungen und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. 2013.
2. Fendrich, Sandra; Tabel, Agathe: Konsolidierung oder Verschnaufpause? Aktuelle Entwicklungen bei den Hilfen zur Erziehung. Komdat, Heft 3/2012, S. 11–13.
3. Schilling, Matthias: Ausgabenentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe. Vortrag auf der Sitzung des BVkE-Vorstandes am 6.2.2013 in Köln.
4. Klein, Joachim; Arnold, Jens; Macsenaere, Michael: InHAus – Individualpädagogische Hilfen im Ausland : Evaluation, Effektivität, Effizienz. Freiburg : Lambertus, 2011.
5. Macsenaere, Michael & Knab, Eckhart: EVAS – Eine Einführung. Freiburg : Lambertus, 2004.
6. Roos, Klaus: Kosten-Nutzen-Analyse von Jugendhilfemaßnahmen. In: Petermann, Franz (Hrsg.): Studien zur Jugend- und Familienforschung. Band 23. Frankfurt : Lang, 2005.
7. Klein, Joachim et al., a.a.O.
8. Macsenaere, Michael & Esser, Klaus: Was wirkt in der Erziehungshilfe? München : Reinhardt, 2012.
9. Macsenaere, Michael; Paries, Gabriele; Arnold, Jens: EST! Evaluation der Sozialpädagogischen Diagnose-Tabellen – Abschlussbericht. München : Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, 2009.