Nicht nur debattieren
Der Bundestagswahlkampf wirft seine Schatten voraus: Nicht zuletzt durch den Beschluss des Bundesrates für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro wurde die Debatte um diese Forderung neu belebt. Der Hintergrund für ein solches Gesetzesvorhaben ist dabei klar zu benennen: Die in den letzten Jahren erreichte Schaffung neuer Arbeitsplätze war gleichzeitig mit einer deutlichen Zunahme der Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse verbunden. Die Folge: Viele Menschen müssen trotz Vollzeitbeschäftigung als sogenannte "Aufstocker" ergänzende Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Unternehmen, die keine existenzsichernden Löhne zahlen, erfahren so eine ungewollte indirekte Subventionierung. Diesem Trend soll durch das Instrument des Mindestlohnes entgegengewirkt werden.
Das Thema "Mindestlohn" ist dabei für die Caritas aus verschiedener Perspektive von besonderem Interesse:
- Auf den Märkten sozialer Dienstleistungen, auf denen die Caritas im Wettbewerb mit anderen Anbietern ihre Dienste anbietet, kann ein Mindestlohn eine Preiskonkurrenz zulasten der gezahlten Löhne und damit auf dem Rücken der beschäftigten Mitarbeitenden verhindern. Daher haben sich in der Vergangenheit auch beide Seiten der Arbeitsrechtlichen Kommission (AK) immer wieder gemeinsam für einen Mindestlohn in der Pflege eingesetzt und dies in die Kommission für die Pflegebranche eingebracht.
- Als Akteur im kirchlichen Dritten Weg hat die Caritas in ihren bisherigen Diskussionen um einen Mindestlohn branchenspezifischen Lösungen den Vorrang vor einem gesetzlichen Mindestlohn gegeben, da bei solchen Modellen die Stellung der Tarifparteien beziehungsweise der Arbeitsrechtlichen Kommissionen des Dritten Weges gesichert bleibt.
- Besonders relevant ist die Diskussion um einen Mindestlohn aber für die Caritas als Anwalt für Benachteiligte und Arme oder von Armut bedrohte Menschen. Die Gefahr darf nicht übersehen werden, dass ein zu hoch angesetzter Mindestlohn gerade für die am Arbeitsmarkt benachteiligten Gruppen zu einer zusätzlichen Bürde werden kann. Dennoch muss die Caritas aus ihrem Verständnis des Wertes und der Bedeutung der menschlichen Arbeit heraus fordern, dass Unternehmen am Arbeitsmarkt Löhne zahlen, die bei einer Vollzeitbeschäftigung für ein existenzsicherndes Einkommen sorgen. Die Arbeitsmarktintegration arbeitsmarktferner Personen kann nicht durch eine immer weiter gehende Absenkung des allgemeinen Lohnniveaus sichergestellt werden. Auch kann ein Mindestlohn zur Vermeidung von Altersarmut beitragen.
Aber: Es ist Wahlkampf. Daher bleibt zu befürchten, dass das Thema eines gesetzlichen Mindestlohns für viele Wahlkampfreden taugt, in der konkreten politischen Umsetzung aber im Streit um die richtige Höhe eines Mindestlohns oder auch das beste Modell der Absicherung die unterschiedlichen Meinungen sich gegenseitig so blockieren, dass nichts geschieht. Damit ist aber keinem gedient.