Mehr Kita-Plätze gibt es nicht umsonst
Bildungs- und familienpolitisch betrachtet war der Krippengipfel im April 2007 ein erfreulicher und längst überfälliger Auftritt von Bund, Ländern und Kommunen. Der zum damaligen Zeitpunkt vereinbarte Ausbau des Betreuungsangebots für Kinder unter drei Jahren ist nun mal ein beachtlicher Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland. Denn das ist wohl kaum von der Hand zu weisen: In Kindertageseinrichtungen eignen sich Kinder auch schon in frühen Jahren soziale, emotionale und kognitive Kompetenzen an, die ihre Bildungsbiografie positiv beeinflussen und die für ihre Entwicklung unverzichtbar sind. Aber mehr noch: Das ambitionierte Ziel, bis August dieses Jahres 780.000 Plätze in der Kindertageseinrichtung zur Verfügung zu stellen, ist auch ein entscheidender Schritt hin zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Diese familienpolitische Perspektive ist gerade für das Profil katholischer Kindertageseinrichtungen bedeutend: Zu deren Auftrag gehört es, sich mit den Lebenssituationen und Lebensentwürfen von Familien solidarisch zu erklären. Auf den Punkt gebracht: Mit dem Krippengipfel vor sechs Jahren hat doch eigentlich alles ganz gut angefangen. Das Problem ist nur, dass diese bildungs- und familienpolitische Weichenstellung nicht konsequent zu Ende gedacht wurde.
Der Rechtsanspruch fährt gegen die Wand
Nicht einmal das auf dem Krippengipfel im April 2007 zunächst vereinbarte Ausbauziel von 750.000 Plätzen wird bis August 2013 erreicht. Und schon gar nicht die zwischenzeitlich prognostizierte Bedarfsquote von 39 Prozent, die ein Angebot von mindestens 780.000 Plätzen für Kinder unter drei voraussetzt. Damit ist der ab August 2013 im Kinderförderungsgesetz verankerte Rechtsanspruch auf einen Platz in der Kindertagesbetreuung ab dem vollendeten ersten Lebensjahr zum Scheitern verurteilt. Viele Kommunen fürchten sich schon heute vor diesem Monat und vor den zu erwartenden Klagen vieler Eltern.
Die Ergebnisse des vierten Zwischenberichts zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes der Bundesregierung unterstreichen diese Vermutung: Im März 2012 standen 558.000 Plätze in der Kindertagesbetreuung zur Verfügung. Diese Zahl entspricht einer Bedarfsdeckung von lediglich 27,6 Prozent. Demnach fehlten vor knapp einem Jahr noch 220.000 Plätze. Die Situation konnte zwischenzeitlich etwas entschärft werden, mit Blick auf die Erfüllung des Rechtsanspruchs hat sie sich aber nicht wirklich verbessert. Aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zufolge fehlen zur Erfüllung der Bedarfsquote von 39 Prozent bis August 2013 immer noch 150.000 Plätze. Nicht weniger problematisch ist die Tatsache, dass es auch an qualifizierten Fachkräften mangelt. Vorausgesagt wird hier bis August 2013 ein zusätzlicher Bedarf von über 12.600 pädagogischen Mitarbeiter(inne)n. Woher die kommen sollen, weiß niemand.
Wen wundert es da, wenn aus Kreisen der Kommunen und ihrer Spitzenverbände Notlösungen vorgeschlagen werden, die für viele kaum akzeptabel sind. Vom Platz-Sharing und von höheren Kinderzahlen in den Gruppen ist da die Rede, um nur einige Ideen zu nennen. In einer norddeutschen Kommune ist die Not so groß, dass dort an einem drolligen Einfall gebastelt wird: Das Problem mit den fehlenden Plätzen soll durch den Einsatz von Reisebussen gelöst werden. Mittags wird eine Gruppe von Kindern zum Ausflug abgeholt, und schon ist Platz für die nachrückende Kindergruppe.
Am Ausbau des Angebots für Kinder unter drei Jahren beteiligen sich die katholischen Träger von Kindertageseinrichtungen mit großem Engagement. Laut Statistischem Bundesamt konnten sie zwischen 2006 und 2011 eine Zuwachssteigerung von 130 Prozent verzeichnen. 54.000 Plätze für Kinder unter drei wurden Ende 2011 in katholischen Kindertageseinrichtungen angeboten. Das entspricht einem Anteil von knapp 13 Prozent am Gesamtangebot. Vorsichtigen Schätzungen nach ist diese Quote zwischenzeitlich auf fast 15 Prozent gestiegen - und dies trotz der mancherorts verbreiteten innerkirchlichen Skepsis gegenüber einer außerfamilialen Betreuung in früher Kindheit. Von Hürden im eigenen Lager kann da keine Rede sein.
Gemessen an den Umständen hat auch der Bund sein Bestes gegeben. Anders kann man das finanzielle Engagement unter föderalistischen Bedingungen wohl kaum bewerten. Um die Länder und Kommunen darin zu unterstützen, das Ausbauziel von ursprünglich 750.000 Plätzen zu erreichen, stellte der Bund zwischen 2008 und 2013 vier Milliarden Euro zur Verfügung, 2,15 Milliarden für Investitionskosten, 1,85 Milliarden für den laufenden Betrieb. Nachdem klar wurde, dass der Bedarf weitaus höher liegt als angenommen, bewilligte der Bundestag im Februar 2013 weitere 580 Millionen Euro für den Kita-Ausbau und erhöhte damit sein finanzielles Engagement auf 4,6 Milliarden Euro. Ab 2015 kommen jährlich weitere 845 Millionen Euro für den dauerhaften Betrieb der neu geschaffenen Plätze hinzu.
Wo die Hürden liegen ...
Auffallend ist jedoch, dass das Ausbautempo in den Kommunen trotz fehlender Plätze in den vergangenen Jahren gedrosselt wurde. Im vierten Evaluationsbericht des Kinderförderungsgesetzes sind die Gründe nachzulesen. Die Ergebnisse einer Jugendamtsbefragung weisen darauf hin, dass es in den Kommunen an geeigneten und bezahlbaren Räumen fehlt, dass die Kofinanzierung durch die Länder kritisch bewertet wird und dass es schwerfällt, ausreichend qualifizierte Fachkräfte zu finden. Letzteres wird auf wenig attraktive Verdienstmöglichkeiten sowie auf die hohe Arbeitsbelastung von Erzieher(inne)n zurückgeführt, worunter die Attraktivität dieses Berufsfeldes leidet.
Was zu tun ist, liegt auf der Hand: auf keinen Fall den Rechtsanspruch verschieben. Dann läge der Ausbau der Kindertagesbetreuung bis auf weiteres brach. Kurzfristig betrachtet ist es wohl unumgänglich, verantwortbare Übergangslösungen zu akzeptieren. Betroffenheitsrhetorische Floskeln helfen da nicht weiter. Gemeint sind absurde Argumentationsmuster, denen zufolge am Rechtsanspruch festzuhalten sei, gleichwohl aber nicht an den Qualitätsansprüchen geschraubt werden dürfe. Eine solche Haltung entspricht nicht dem Anliegen vieler katholischer Träger, die Partner der Kommunen bleiben wollen und sich mit den öffentlichen Trägern für einen verantwortungsvollen Ausbau der Kindertagesbetreuung einsetzen.
Verantwortung übernehmen heißt nicht, sich zurückzuziehen und den Kommunen das Problem zu überlassen. Damit wäre Kindern und Familien nicht geholfen, die auf einen Platz in der Kita angewiesen sind. Gefragt sind vielmehr akzeptable Übergangslösungen, nicht um jeden Preis, wohl aber mit einem Schuss Pragmatik und zeitlich klar begrenzt. Um welche es sich dabei handelt, ist abhängig von den jeweiligen Bedingungen vor Ort. Da ist das Verantwortungsgefühl der katholischen Träger und der pädagogischen Fachkräfte gefragt, die hier ohnehin schon aktiv sind.
Mittelfristig aber ist das System der Kindertagesbetreuung neu zu denken. Wir brauchen bundesweit einheitliche Qualitätsstandards, die länderübergreifend und verbindlich umzusetzen sind. Standards, die dazu beitragen, dass sich die Arbeitsbedingungen in Kitas deutlich verbessern. Und wir brauchen ein anderes Finanzierungssystem. Eine hochwertige und ausreichende Kindertagesbetreuung kostet nun mal Geld. Warum nicht im nationalen Interesse auch diejenigen durch eine Kita-Abgabe zur Kasse bitten, die ebenso von guten Angeboten profitieren? Gemeint sind Wirtschaftsunternehmen und Sozialversicherungskassen, die ganz eigene Vorteile daraus ziehen: Die Wirtschaftsunternehmen, weil ihnen durch das erweiterte Betreuungsangebot mehr erwerbstätige Frauen zur Verfügung stehen, und die Sozialversicherungskassen, weil sie durch die höhere Erwerbstätigkeit mehr einnehmen.