Besuchen will gelernt sein
Was die Aufgabe der Kirche sei, das hat der zum Papst gewählte Jorge Bergoglio in seiner Rede im Vorkonklave so beschrieben: Sie müsse aus sich selbst heraus und „an die Ränder“ gehen, dorthin, wo Menschen an den Grenzen ihrer Existenz leben, wo Elend herrsche, wo Kranke wohnten, wo hochaltrige Menschen lebten. Hingehen, hinausgehen, aufsuchen, besuchen – diese Begriffe konnte man auch in letzter Zeit häufiger in den Interviews von kirchlich Verantwortlichen hören. Sie sprechen eine Akzentuierung des Kircheseins aus, die auch ein entsprechendes caritatives Handeln neu gewichtet. Wie soll dann – so möchte man fragen – die dementsprechende kirchliche Praxis aussehen, zum Beispiel an der Schnittstelle zwischen Pfarrei, Ehrenamt und Caritas?
Einen Versuch, solch theologische Großthemen im Kleinen und mit ganz konkretem Ziel vor Ort umzusetzen, hat eine Regensburger Gruppe von Vertreter(inne)n aus Gemeindecaritas, Diözese und Universität sowie dem Seniorenheim St. Hedwig Beratzhausen und dem Förderverein „Miteinander-Füreinander“ gestartet. Für die konkrete Arbeit sah man im Bereich der Altenhilfe den größten Bedarf einer besseren Vernetzung. Die Studien, wie zuletzt der Themenreport „Pflege 2030. Was ist zu erwarten – was ist zu tun?“ der Bertelsmann-Stiftung, unterstreichen die Notwendigkeit mit Fakten: Der Stellenschlüssel im Altenpflegebereich wird immer prekärer und die Ehrenamtlichen werden in Zukunft mehr soziale Aufgaben übernehmen (müssen). Als erstes Ergebnis der Analyse entschloss sich das Regensburger Team deshalb zu einem Projekt: die Ausbildung von Ehrenamtlichen für Besuchsdienste speziell für stationäre Altenhilfeeinrichtungen.
Das gibt es sicher schon, oder? So lautete eine der ersten Nachfragen. Die Antwort: In vielen bestehenden Besuchsdienst- oder Seniorenbegleiterschulungen steht die ambulante Situation im Vordergrund. Der Dienst besucht den Menschen zu Hause. Das ist wohl der wesentlichste Unterschied zum Besuchs- oder Begleiterdienst einer stationären Einrichtung. Der/Die Bewohner(in) lebt nicht mehr daheim, häufig zwang eine Krankheit zum Umzug, oft ist das Umfeld noch ungewohnt, sucht er oder sie noch nach Anschluss. Im neuen Zuhause gelten Regeln, die daheim nicht galten – und sie gelten eben auch für den Besuchsdienst. Solche Regeln prägen natürlich den Alltag der Pflegeeinrichtung und müssen auch vom Besuchsdienst ernst genommen werden. Einige Beispiele: Ist es in Ordnung, wenn ich spontan einen Ausflug mit dem Bewohner mache, oder sind wir dann etwa nicht versichert? Kann ich einfach mit jemandem ein Gespräch führen, der dement ist? Gibt es in der Pflege etwas Besonderes zu beachten, und wie mache ich das? Muss ich die Medikamente des Bewohners kennen? Gibt es einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch zwischen Ehrenamtlichen und Pflegekräften, an dem ich teilnehmen sollte?
Konflikte entstehen oft aus Unwissenheit
Das interdisziplinär besetzte Regensburger Projektteam sammelte über ein Jahr lang solche Fragen, Erfahrungsberichte und Rückmeldungen aus der Ehrenamtlichenarbeit und aus den Altenheimen, führte Gespräche mit Expert(inn)en, Betroffenen, Ehrenamtlichen, Verbänden und staatlichen Stellen. Als wesentliches Ergebnis stellte sich heraus, dass die oben genannten Probleme im Alltag meist ad hoc auftauchen beziehungsweise vorher nicht besprochen wurden. Viele Ehrenamtliche wussten nur wenig von den speziellen Rahmenbedingungen einer stationären Einrichtung. In den meisten Fällen war es ein Mangel an Wissen, was zum Konflikt führte. So kam das Projektteam zur Überzeugung, dass ein spezifisches Bildungsprogramm für Ehrenamtliche diese Lücken am besten schließen könnte.
Jene Inhalte wurden in den Vordergrund gestellt, die dem Besuchsdienst im Alltag mit älteren Menschen immer wieder begegnen: Älterwerden heute, altersbedingter Abbau und Alterskrankheiten, Alltag im Heim, Abschiednehmen, Sterben, Rolle und Aufgaben der Ehrenamtlichen, Möglichkeiten und Grenzen der Hilfe – und das alles so praxisnah wie möglich. Veranstaltungs- und Lernort war denn auch das Alten- und Seniorenheim St. Hedwig Beratzhausen.
Caritasverband und Fortbildungsreferat der Diözese warben gemeinsam bei Haupt- und Ehrenamtlichen, über Pfarreien und Caritas-Netzwerke für die Veranstaltung. Fünf Module umfasst die Schulung mit dem Titel „Ins Altenheim gehen – eine lohnende Sache! Fortbildung für ehrenamtliche Besuchsdienste im Alten- und Pflegeheim“. Jedes der Module widmet sich einem bestimmten Thema:
Modul I: Ins Altenheim gehen
Medizinisch-pflegerische Erläuterungen von Alterserkrankungen und ein Hausrundgang im Seniorenheim geben Einblick in Struktur und Tagesablauf einer Altenhilfeeinrichtung.
Modul II: Altersverwirrtheit
Dieses Modul widmet sich dem Grundlagenwissen zu Demenzformen und entsprechenden Handlungsmöglichkeiten.
Modul III: Wie ins Gespräch kommen?
Kommunikation hat in der stationären Altenhilfe andere Voraussetzungen als Besuche zu Hause. Angemessenes Reagieren auf Wortfindungsstörungen und realitätsfremde Äußerungen werden praxisnah eingeübt.
Modul IV: Aus dem Schatz des Lebens den Übergang gestalten
Besuchsdienste stehen vor der Herausforderung, mit Angst, Trauer und Schuld, die Menschen in der letzten Lebensphase besonders existenziell erleben, umgehen zu lernen.
Praxismodul V: Kompetent fürs Ehrenamt
Das Praxismodul bespricht Fragen zu Versicherungsschutz und Arbeitsorganisation. Anhand konkreter Praxis zum Verhalten in Notfällen und dem Umgang mit Rollator oder Rollstuhl wird der Auftaktbesuch einer Altenhilfeeinrichtung vorbereitet.
Ehrenamtliche haben unterschiedliche Erfahrungen
Die Vorerfahrungen, die die Teilnehmer(innen) mitbringen, ergeben ein sehr buntes Bild. Manche sind dabei, sich langsam mit dem Gedanken eines Besuchsdienstes auseinanderzusetzen, manche sind schon über zehn Jahre engagiert, manche sagen, es sei reine Eigeninitiative, was sie antreibe, manche organisieren ihre Tätigkeit innerhalb eines Vereins oder einer Pfarrei. Gleich wie viele Eigenerfahrungen die Teilnehmer(innen) in den Kurs mitbrachten, wesentliches Anliegen in der Planung der Kursmethodik ist der stete Wechsel zwischen Theorie und Praxis, zwischen Impulsen und Ausprobieren, zwischen Zuhören und Sich-mitteilen-Können. Die Konzeption verfolgt damit das Ziel, dass die theoretische Kenntnis verschiedener Symptome und Therapien typischer Alterskrankheiten (zum Beispiel Unterzuckerung während eines Ausflugs) im Alltag des Besuchsdienstes ebenso bedeutsam sein kann wie die praktische Fähigkeit, einen Rollstuhl ins Auto einladen zu können.
Hakt man am Ende des Kurses per Fragebogen genauer nach, so erhält man als die häufigste Antwort, dass die Module zusätzlich „Aufschlussreiches brachten“ und man durch die Referent(inn)en und den Austausch mit den anderen Teilnehmenden „viele Ideen und Impulse“ für die eigene Arbeit erhalten habe. Als zweithäufigste Rückmeldung wird geäußert, dass man selber das Gefühl verspüre, ein „besseres Verständnis beim Umgang mit alten und kranken Menschen“ zu haben und dass vorher bestehende „Unsicherheiten und Ängste“ genommen wurden – ganz besonders in der Kommunikation mit an Demenz erkrankten Menschen.
Gerade im Austausch mit den durch Demenz veränderten Menschen wird die Bedeutung des eingangs zitierten Aufrufs des Papstes für den Besuchsdienst deutlich. Der Besuchsdienst einer stationären Altenhilfeeinrichtung geht in der Tat „an die Ränder“. Er geht dorthin, wo Menschen an den Grenzen ihrer Existenz leben, wo sie mit Demenz nicht mehr am öffentlichen Leben teilhaben können, er geht dorthin, wo Menschen aufgrund ihres Alters oder einer Erkrankung ihr Zimmer nicht mehr verlassen können. Ganz in diesem Sinn geben die Ehrenamtlichen, die das tun, einer besuchenden, einer aufsuchenden Kirche ein konkretes Gesicht.
Die Erfahrung zeigt, dass die caritativ tätigen Verbände, die Pfarreien und Dekanate, aber auch die diözesanen Kategorialstellen ohne großen Aufwand die kooperative Plattform für solches Engagement bieten können. Sie können in der Zusammenarbeit diejenigen sein, die die Netzwerke bereithalten, die Gelegenheit zum Treffen und Austausch geben, die Ansprechpartner für Organisationsfragen und Multiplikatoren zugleich sind. Denn dass der Titel des Kurses „Ins Altenheim gehen – eine lohnende Sache!“ einen kleinen, aber wesentlichen Aspekt einer künftigen Pastoral und Caritas ins Blickfeld rückt, zeigt ein Blick auf die demografische Zukunft in den meisten Regionen Deutschlands.