Griechenland: Ein Volk droht auszubluten
Griechenland ist mit zwölf Millionen Einwohnern zwar ein kleines Land in Europa. Doch es leidet stark unter den Folgen der schweren Wirtschaftskrise, obgleich es unter dem Rettungsschirm der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds steht. Griechenlands Wirtschaftssystem ist während der letzten drei Jahre zusammengebrochen. Das Land überlebt dank internationaler Darlehen, die mit harten Sparmaßen wie Ausgabenkürzungen, Steuererhöhungen und anderen Reformen verknüpft sind.
Obwohl die griechische Regierung insgesamt etwa 240.000 Millionen Euro an Hilfe erhält, spüren die Griechen nun schon sechs Jahre lang die Folgen einer schweren Rezession. Das bedeutet eine Zunahme der Arbeitslosigkeit, eine drastische Kürzung der Sozialausgaben sowie fehlende Investitionen.
Familien sind verzweifelt
Zur Kürzung staatlicher Ausgaben haben seit Mai 2010 die verschiedenen griechischen Regierungen schwere Einschnitte bei Gehältern und Renten vorgenommen. Gleichzeitig sind die Steuern gestiegen. Das betrifft vor allem Staatsbedienstete, aber auch die Empfänger staatlicher Renten. Ihr Familieneinkommen hat sich seit 2009 um 30 Prozent verringert und Familien müssen jedes Jahr mehr Steuern zahlen (auch eine neue, flexible Grundsteuer). Die Arbeitslosigkeit ist das Hauptproblem und sie betrifft vor allem den privatwirtschaftlichen Sektor. Es gab auch Einschnitte im öffentlichen Dienst, die aber hauptsächlich durch Frühberentung verwirklicht wurden. Offizielle Statistiken zeigen, dass im Januar 2013 die Arbeitslosenquote 27,2 Prozent betrug, verglichen mit 8,9 Prozent im Januar 2009. Diese Statistiken berücksichtigen weder die jungen Männer, die ihren Wehrdienst ableisten, noch Menschen, die ihre Arbeit verloren und keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Laut den griechischen Gewerkschaften ist die tatsächliche Arbeitslosigkeit auf über 35 Prozent gestiegen.
Die höchste Rate herrscht unter jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren. Ihre Arbeitslosigkeit betrug im Januar 2009 noch 8,9 Prozent und ist bis Januar 2013 auf 59,3 Prozent gestiegen. In Griechenland ist jeder Dritte ohne Arbeit und fast alle staatlichen sozialen Dienste wurden geschlossen, um Ausgaben zu senken. Es gibt weniger öffentliche Kindergärten, weniger Hilfe für alte Menschen, körper- und geistig behinderte Menschen. Sozial Schwache befinden sich insgesamt in einer verzweifelten Lage.
Hier sind einige offizielle statistische Angaben aus dem Jahr 2012:
- 3.500.000 Griechen in 902.000 Haushalten droht Armut und Ausschluss.
- 21 Prozent der griechischen Bevölkerung leben von weniger als dem Mindestlohn von 470 Euro im Monat.
- Jeder dritte Grieche kann seine Miete oder Hypothek nicht mehr bezahlen und sich nicht einmal alle zwei Tage eine Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder frischem Gemüse leisten.
- Jeder Dritte konnte es sich diesen Winter nicht leisten, seine Wohnung zu heizen.
- Über 23,7 Prozent der Kinder und 23,6 Prozent der alten Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze (offizielle Zahlen aus dem Jahr 2011).
Angaben aus der Privatwirtschaft:
- Jeder Dritte wird nicht pünktlich zum Monatsende bezahlt.
- Jeder Dritte bekommt nicht seinen gesamten gesetzlichen Lohn.
- Jeder Dritte hat keine Sozialversicherung.
Weitere Daten hat der griechische Handelsverband Ende 2012 erhoben:
- 93,1 Prozent der Haushalte spüren seit Beginn der Krise 2009 einen deutlichen Rückgang ihres Einkommens.
- 40 Prozent der Haushalte haben mindestens ein arbeitsloses Mitglied.
- 72 Prozent der Haushalte erwarten für 2013 weitere Einkommenseinbußen.
- 40 Prozent der Haushalte zahlen ihre Schulden verspätet zurück, um laufende Verpflichtungen erfüllen zu können.
- 50 Prozent der Haushalte können ihren wichtigsten finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen und müssen auf Ressourcen außerhalb ihres Einkommens zurückgreifen, wie zum Beispiel Leihgaben von Freunden und Verwandten, das Überziehen von Kreditkarten oder die eigenen Ersparnisse.
- 40 Prozent der Haushalte können nicht mehr alle laufenden Ausgaben für Strom und Wasser zahlen, 70 Prozent müssen beim Essen sparen, während 42 Prozent auf Produkte von geringerer Qualität zurückgreifen.
Die sozialen Folgen der Krise
OECD-Studien zeigen, dass erste deutliche Zeichen von Wirtschaftswachstum 2015 auftreten werden. Also müssen die Griechen zwei weitere schwere Jahre durchleben. Aber wir spüren schon die Folgen im Gesundheits- wie im Sozialbereich:
- Viele Griechen können sich keine Medikamente mehr leisten. Es gibt mehr Fälle von Depressionen. Die Selbstmordrate steigt spürbar.
- Die Abwanderung von Akademikern (Braindrain) nimmt zu, da die meisten qualifizierten Griechen unter 35 Jahren im Ausland Arbeit suchen.
- Es gibt mehr Kriminalität und Raubdelikte.
- Es gibt ständig Streiks und Demonstrationen.
- Es gibt mehr rechts- und linksextremistische Parteien. Die meisten dieser Parteien stimmen den Reformen im Zusammenhang mit den Rettungsaktionen nicht zu. Besonders gefährlich ist die rechtsextreme nationalistische Partei "Goldene Morgenröte", die im Parlament sitzt und gegen alle Migranten, die in Griechenland leben, besonders diejenigen ohne legalen Aufenthaltsstatus, ankämpft.
- Es gibt einen erheblichen Anstieg von Fremdenfeindlichkeit und viele rassistische Übergriffe.
Die griechische Caritas hält Kinder, ältere Menschen und Alleinerziehenden-Familien, die oft arbeitslos sind und wenig Sozialleistungen erhalten, für besonders gefährdet. Auch Migranten sind bedroht: Wenn sie ihre Arbeit verlieren, verlieren sie auch oft ihren Aufenthaltsstatus und ihre Arbeitserlaubnis und werden somit "illegal".
Positiv an der Krise ist nur die Solidarität mit den Leidenden: Viele Griechen spenden Lebensmittel, Medikamente, Geld, Spielzeug, Schulmaterial und anderes. Sowohl die orthodoxe als auch andere Kirchen, wie die katholische Kirche und ihre Caritas, helfen Menschen am Rande.
In Athen unterstützt das Caritas-Flüchtlingszentrum griechische Familien in der Krise mit Lebensmittelpaketen, dem Bezahlen der Miete und offenen Rechnungen, Medikamenten, Krankenhauskosten, mit Schulmaterialien, Milch und Windeln für Babys, mit Sozialberatung sowie Hilfe bei der Suche nach einer Kinderbetreuung und bei der Arbeitssuche. Im Flüchtlingszentrum werden mehr als 300 Migranten täglich mit einer warmen Mahlzeit versorgt, sie bekommen kostenlosen Englisch- und Griechisch-Unterricht, Kleidung und Lebensmittel, Impfungen, soziale und medizinische Beratung und jegliche verfügbare Unterstützung.
Es ist uns bewusst, dass die Arbeit in diesem Zentrum nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Doch dank der Hilfe der griechisch-katholischen Gemeinschaft, der europäischen Caritas-Familie, vielen großzügigen privaten Spendern einschließlich der Schulen und unserer kleinen Gruppe von Mitarbeitern (sechs Personen) und Freiwilligen (70 pro Woche) sind wir in der Lage, etwa 400 Menschen pro Tag zu helfen. Glücklicherweise unterstützen uns drei private griechische Stiftungen, den Bedürftigen in der Region Attika weiterhin beizustehen.