Ohne Abschluss kein Anschluss
Der Deutsche Caritasverband (DCV) weist schon seit langem darauf hin, dass die Lebens- und Teilhabechancen von Menschen stark von Schul- und Berufsabschlüssen abhängig sind. Sie beeinflussen die Weichenstellung für einen Zugang zu einer Erwerbstätigkeit.
Die Allgemeine Sozialberatung ist der Grunddienst der Caritas, in dem als Erstanlaufstelle oder für eine längerfristige Unterstützung alle Menschen mit ihren Sorgen und Nöten willkommen sind. Aus diesem Grund sind die Problemlagen in der Allgemeinen Sozialberatung sehr unterschiedlich: persönliche Konflikte, finanzielle Schwierigkeiten, gesundheitliche Beeinträchtigungen, Wohnungslosigkeit, Probleme im Umgang mit Behörden. In einer Stichtagserhebung werden jedes Jahr im September Daten über die sozioökonomische Situation und Problemlagen der Klient(inn)en erfasst und mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf Bundes-, Landes- und Diözesanebene ausgewertet. Daraus ergeben sich Hinweise für die Bedarfe und damit für die Entwicklung der Arbeit der Einrichtungen und auf Bundesebene.
Die Resonanz war mit 3562 Rückmeldungen auch im Jahr 2011 sehr gut. Schwerpunkt der Auswertung waren Schul- und Berufsabschlüsse. Alle Klient(inn)en wurden gebeten, ihren höchsten Schul- oder Berufsabschluss anzugeben. Insgesamt haben 84,8 Prozent aller Klient(inn)en diese Frage beantwortet (3021). Davon gaben 871 Klient(inn)en (28,8 Prozent) an, einen Schulabschluss zu haben, 1171 (38,8 Prozent) eine abgeschlossene Berufsausbildung und 133 (4,4 Prozent) einen Studienabschluss.
Erschreckend hoch ist mit 846 Klient(inn)en (28 Prozent) die Zahl der Menschen ohne Schulabschluss, die in die Allgemeine Sozialberatung kommen. Auch wenn man die unter 25-Jährigen herausnimmt - in der Annahme, dass sie noch einen Schulabschluss machen könnten -, sind immer noch 26,9 Prozent (2574) der Menschen in der Beratung ohne Schulabschluss1.
Laut Bertelsmann-Stiftung verließen 2008 deutschlandweit etwa 65.000 junge Menschen die allgemeinbildenden Schulen ohne Hauptschulabschluss. Das entspricht 7,5 Prozent der Bevölkerung der gleichen Altersgruppe.2 Das Bundesamt für Statistik gibt die Zahl der Menschen über 15 Jahren ohne Hauptschulabschluss für 2011 mit 4,1 Prozent an.3
Entsprechende Konsequenzen hat der fehlende Schulabschluss auf die Erwerbstätigkeit. Von allen Teilnehmer(inne)n der Erhebung geben 46,3 Prozent an, ALG II zu beziehen. Bei den Hilfesuchenden ohne Schulabschluss steigt der Bezug von ALG II auf 60,7 Prozent.
Bei den Menschen mit Migrationshintergrund sieht es im Bildungsbereich noch schwieriger aus. Sie machen seit Jahren rund 35 Prozent der Klient(inn)en der Allgemeinen Sozialberatung aus. 52,4 Prozent davon gaben 2011 an, dass sie keinen Schulabschluss haben. Diese Tendenz stimmt mit den Daten des Statistischen Bundesamts überein. Dort wird für 2010 festgestellt, dass 2,6 Prozent der deutschen Bevölkerung über 15 Jahre keinen Schulabschluss haben, aber 19,9 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund.4
"Die Ursachen dafür sind vielfältig und zumeist in Armut und Benachteiligung begründet. Die Risiken sind langfristig Arbeitslosigkeit und soziale Benachteiligung. Investitionen in Bildungsgerechtigkeit sind eine Investition auch in die Finanzierungssysteme des Gesundheitswesens", schreibt Ulrike Kostka, Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin.5
Teilhabepaket wird kaum in Anspruch genommen
2011 wurde in der Stichtagserhebung erstmals eine "wechselnde Frage" aufgenommen, die Inanspruchnahme der Bildungs- und Teilhabeleistungen, die seit 1. April 2011 von Eltern, die Grundsicherungsleistungen erhalten, für ihre Kinder beantragt werden können. Zum Stichtag 29. September 2011 waren die Rückmeldungen ernüchternd. Nur 45,8 Prozent der Berechtigten im ALG-II-Bezug und gar nur 39,7 Prozent im SGB-XII-Bezug (Sozialhilfe) haben Leistungen dieses Pakets in Anspruch genommen. Dabei wurde am häufigsten der Mittagessenszuschuss in der Schule oder Kita genutzt (s. auch neue caritas Heft 10/2012, S. 15 ff.), von rund 82 Prozent derjenigen, die Leistungen in Anspruch genommen haben.
Hier muss die Allgemeine Sozialberatung weiterhin und verstärkt Aufklärungsarbeit leisten, damit die Menschen, diese Möglichkeiten auch angemessen nutzen können.
Die hohe Anzahl von Menschen mit Migrationshintergrund und/oder im ALG-II-Bezug in der Allgemeinen Sozialberatung zeigt, dass diese Beratung gerade auch von denen angenommen wird, deren Integration und Teilhabe von der Caritas gefordert wird. Für die Träger und Mitarbeiter(innen) der Beratung bedeutet dies, dass sie einerseits in der Arbeit mit den Klient(inn)en die notwendigen Kompetenzen und Ressourcen benötigen, um professionelle Arbeit auch zukünftig leisten zu können. Andererseits müssen sie ihre Wahrnehmungen und Informationen in die (Fach-)Öffentlichkeit tragen und in den Diskussionen nachhaltig vertreten. Sie müssen Inhalte kompetent weiterentwickeln, um beispielsweise die interkulturelle Kompetenz und Öffnung in den Einrichtungen zu leben. Es bedeutet aber auch, dass die Einrichtungen sich im sozialen Raum engagieren, um die Lebenslagen der Klient(inn)en auch mit anderen Partnern zusammen zu verbessern.
Für die Caritas heißt dies, dass sie die Allgemeine Sozialberatung stärken und mit Ressourcen ausstatten muss, um auch weiterhin die Benachteiligten in unserer Gesellschaft zu erreichen und ihre Lebenslagen zu verbessern.
Anmerkungen
1. neue caritas spezial 1/2012, "Studie zu Bildungschancen - Was wirklich zählt", die Heft 12/2012 beiliegt.
2. www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_32343_32344_2.pdf
3. Bundesamt für Statistik: Bildungsstand der Bevölkerung 2011. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/BildungForschungKultur/Bildungsstand/Tabellen/Bildungsabschluss.html)-
4. Ebd.
5. Kostka, Ulrike: Menschen mit Migrationshintergrund sind Patienten wie andere auch. In: neue caritas, Migration und Integration - Info 1/2012, S. 5.