Pflege ist immer individuell
Wie funktioniert ein Hebelift? Wie lagere ich einen bettlägerigen Patienten um? Wie lässt sich einem Dekubitus vorbeugen? - Die Fragen pflegender Angehöriger sind so unterschiedlich wie die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen. Die Pflegewerkstatt in Borken gibt Antworten auf alle Fragen - und zwar so individuell wie möglich.
Hinter der Idee der Pflegewerkstatt steht der Gedanke, Patient(inn)en und deren Angehörige zur Pflege anzuleiten und ihnen so möglichst lange ein eigenständiges Leben in der häuslichen Umgebung zu ermöglichen.
Durch demografische Veränderungen der Bevölkerungsstruktur, die sich besonders auf das Gesundheitswesen auswirken, wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren rapide erhöhen. Der prozentuale Anstieg des Anteils der älteren Menschen an der Bevölkerung und die zunehmenden medizinischen Möglichkeiten erfordern einen vermehrten Betreuungsbedarf von gerontologischen Patient(inn)en, von Patient(inn)en mit Multimorbidität und Patient(inn)en mit chronischen Erkrankungen. Dabei haben ältere Menschen den Wunsch, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu verbleiben und dort versorgt zu werden. Die Versorgung in der eigenen Wohnung unter Kostengesichtspunkten "ambulant vor stationär" kann jedoch nicht allein durch professionelle Pflegeanbieter gewährleistet werden. Zahlreiche Angehörige haben bereits den Part der Pflege übernommen und ermöglichen es ihrem Partner oder den Eltern, zu Hause gepflegt zu werden.
Damit es durch die Pflege- und Betreuungsaufgaben nicht zu einer Überlastung kommt, bietet die Pflegewerkstatt professionelle fachliche Begleitung bei der individuellen Vorbereitung der Angehörigen auf die Pflege, Schulung und Anleitung zu pflegerischen Aufgaben, aber auch ein kontinuierliches Unterstützungsangebot während der Pflege im häuslichen Umfeld, das auf ihren individuellen Bedarf abgestimmt ist.
Der Fachbereich "Caritas Pflege & Gesundheit" in Borken hat ein Konzept speziell für pflegende Angehörige erarbeitet. Das Besondere: Es gibt keine Rundum-Pakete, in denen Allgemeines zur Pflege vermittelt wird, sondern genau die individuelle Beratung und Schulung, die für den Einzelnen in seiner speziellen Pflegesituation wichtig ist.
Ganz bewusst wurde die im Juni 2005 eröffnete Pflegewerkstatt im Borkener St. Marien Hospital untergebracht. Denn wenn Angehörige Patient(inn)en im Krankenhaus besuchen, können sie sich bei dieser Gelegenheit ohne Umwege kostenlos informieren. Schritt für Schritt nähern sie sich der zu erwartenden Pflegesituation gedanklich und praktisch an. Aber auch sehr viele Angehörige finden den direkten Weg - ohne die Anbindung über das Krankenhaus - in die Pflegewerkstatt. Im Jahr 2011 wurden auf diese Weise 314 Familien unterstützt.
Ein Lifter kann schon viel helfen
Die Fragen sind dabei so unterschiedlich wie Zustand und Krankheit der Patient(inn)en. Im Schulungsraum der Pflegewerkstatt steht eine Vielzahl verschiedener Pflegehilfsmittel bereit: vom höhenverstellbaren Bett über den Duschstuhl für immobile Menschen bis hin zu Rutschbrettern und Gleitmatten, die bewegungseingeschränkten Menschen den Transfer zum Beispiel vom Bett auf den Toilettenstuhl erleichtern. Alle gängigen Hilfsmittel sind dort vorhanden und können ausprobiert werden. Dies hilft vielen Angehören, den sicheren Umgang damit zu erlernen. Der Alltag wird dadurch erheblich erleichtert.
Menschen, die sich mit Pflegehilfsmitteln bisher noch nicht auseinandersetzen mussten, sind häufig überrascht, wie viele unterschiedliche Hilfen es für die ambulante Pflege gibt. Die Möglichkeit, einen Angehörigen mit Hilfe eines Badewannenlifters baden zu können, ist für viele Angehörige eine große Erleichterung, und der Umbau des Badezimmers in ein behindertengerechtes Bad kann so möglicherweise umgangen oder aufgeschoben werden.
Zusätzlich zur Vorstellung technischer Hilfen geben die Mitarbeiter(innen), die alle in erster Ausbildung Krankenpflege gelernt und ein pflegepädagogisches, -wissenschaftliches Studium oder gleichwertige Qualifikationen erworben haben, praktische Tipps. Eine Reihe von pflegerischen Grundkenntnissen wie beispielsweise rückenschonende Handgriffe bei Hilfestellungen, die Handhabung von Inkontinenzprodukten, Lagerungsmöglichkeiten im Bett zur Vermeidung eines Dekubitus oder Übungen zur Sturzprophylaxe werden vermittelt.
Viele Fragen tauchen erst auf, wenn die Patient(inn)en zu Hause sind. Manchmal ändert sich die Pflegesituation auch von einem auf den anderen Tag. Was gestern noch funktionierte, ist heute nicht mehr möglich. In der Pflegewerkstatt wird auf individuelle Unterstützung gesetzt, die schon im Krankenhaus beginnt und auf jeden Fall zu Hause so lange fortgesetzt wird, bis die Angehörigen sich sicher fühlen.
Nachbetreuung und Kurse: Pflegende sind nicht allein
Von wesentlicher Bedeutung ist der kontinuierliche Kontakt mit den Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen. In der Nachbetreuung wird der aktuelle Status der Versorgung und der erforderlichen Pflegetechniken befragt. Aufgrund des dynamischen Versorgungsprozesses werden tiefergreifende individuelle Schulungen angeboten: Um Angehörigen und Interessierten die Möglichkeit zu geben, sich auf die Pflege vorzubereiten oder sich über die momentane Pflegesituation hinweg weiter zu informieren, bieten die Mitarbeiter(innen) der Pflegewerkstatt seit einem Jahr Pflegekurse an. An drei Terminen über insgesamt zwölf Stunden werden allgemeine Grundlagen zur Pflege sowohl theoretisch als auch praktisch vermittelt. Dazu bietet der Schulungsraum der Pflegewerkstatt sehr gute Voraussetzungen.
Die Teilnehmerzahl wird gering gehalten (fünf bis acht Teilnehmer pro Kurs), damit die Teilnehmer(innen) sich kennenlernen und es zum Austausch in der Gruppe kommen kann. Darüber hinaus erhält dadurch jede(r) die Möglichkeit, Pflegefertigkeiten intensiv zu üben. Ganz wichtig ist in solchen Kursen auch die Erfahrung pflegender Angehöriger, mal in die Rolle eines Pflegebedürftigen zu schlüpfen. Sie spüren dabei am eigenen Leib, wie unangenehm oder auch angenehm verschiedene Pflegetätigkeiten sind und wie oft schon kleine Veränderungen im Handling oder das Hinzuziehen von Hilfsmitteln die Pflege erleichtern können.
Seit 2011 sind in der Pflegewerkstatt auch eine Ernährungsberaterin und Diätassistentinnen tätig. Die Ernährungsberaterin unterstützt im Wesentlichen die pflegerische Versorgung der Pflegebedürftigen und informiert und schult die Angehörigen in der häuslichen Situation.
Um Angehörigen die Möglichkeit zum Austausch zu geben, wird die Pflegewerkstatt ihr Angebot in diesem Jahr erweitern und Gesprächskreise für pflegende Angehörige anbieten. Dies rundet das schon umfassende Angebot der Pflegewerkstatt ab. Alle Angebote der Pflegewerkstatt sind kostenfrei. In der Pflegeversicherung ist für Angehörige die Möglichkeit vorgesehen, sich schulen und beraten zu lassen. So werden die Angebote finanziert.