Embryonenwahl löst das Dilemma nicht
Seit Monaten wird in Deutschland intensiv über die Präimplantationsdiagnostik (PID) diskutiert. Mit ihr können Embryonen, die im Rahmen einer künstlichen Befruchtung im Reagenzglas erzeugt worden sind, auf Chromosomenstörungen und bestimmte genetische Anlagen untersucht werden.
Anlass für die aktuelle Diskussion war das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Juli 2010, das in der Anwendung der PID keinen Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz (ESchG) sah. Das Urteil führte dazu, dass von verschiedensten Seiten eine gesetzliche Regelung der PID gefordert wurde. Auch die katholische Kirche mit dem Deutschen Caritasverband und die evangelische Kirche forderten eine eindeutige gesetzliche Regelung. Drei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe werden derzeit im Bundestag und seinem Gesundheitsausschuss intensiv diskutiert.
Drei Gesetzentwürfe liegen vor
Der Bundestagsabgeordnete Günter Krings und andere verlangen ein uneingeschränktes Verbot der PID im Gendiagnostikgesetz (GenDG).1 Die Abgeordneten Ulrike Flach, Peter Hintze und andere schlagen vor, die Präimplantationsdiagnostik zuzulassen, wenn ein Elternteil die Veranlagung für eine schwerwiegende Erbkrankheit in sich trägt. Darüber hinaus gestattet dieser Entwurf auch das Screening der Embryonen auf eine "schwerwiegende Schädigung …, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen"2 würde.
Der nach dem Abgeordneten René Röspel benannte Röspel-Entwurf schließt eine Präimplantationsdiagnostik ohne festgestellte Disposition bei einem Elternteil aus. Eine PID soll nur dann nicht rechtswidrig sein, wenn eine Disposition diagnostiziert wurde, die "mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schädigung des Embryos, Fötus oder Kindes zur Folge hat, die zur Tot- oder Fehlgeburt oder zum Tod im ersten Lebensjahr führen kann"3.
Die bisherigen Beratungen im Bundestag und die Anhörung im Gesundheitsausschuss sind von großem Respekt für die unterschiedlichen Positionen gekennzeichnet. Die Debatten zeigen eine hohe Qualität der parlamentarischen Auseinandersetzung zu bioethischen Fragen. Polarisierungen werden vermieden und man ist um eine hohe Sachlichkeit bemüht. Eine Entscheidung soll noch vor der Sommerpause des Bundestages fallen.
Ethikrat gespalten wie die Gesellschaft
Es ist bislang nicht erkennbar, wie die Entscheidung ausfallen wird. Eine klare Mehrheit für eine Position ist noch nicht absehbar. Ähnlich knapp sah es auch in der Positionierung des Deutschen Ethikrates aus.4 Zwar sprach sich eine knappe Mehrheit der Ethikratsmitglieder für eine begrenzte Zulassung der PID aus. Fast genauso groß war jedoch die Gruppe, die gegen die Zulassung ist.
Dieses "Patt" ist sicherlich auch ein Spiegel der gesellschaftlichen Debatte zur PID. Beweggründe für die unterschiedlichen Positionen sind die Solidarität mit den betroffenen Paaren, der Wunsch, das Selbstbestimmungsrecht zu schützen, genauso aber die Sorge um den gesellschaftlichen Umgang mit Behinderung und der Schutz der Embryonen. Einigkeit besteht grundsätzlich auch bei den Befürworter(inne)n darüber, dass die PID in keinem Fall grundsätzlich für jede Situation zugelassen werden sollte, sondern nur, wenn das Risiko einer schweren Erkrankung oder Behinderung bestehen könnte.
Intensive Diskussionen in der Caritas
Auch in der verbandlichen Caritas gibt es intensive Diskussionen um die PID. Ein Verbot der PID aufgrund der Menschenwürde von Embryonen und der Auswirkungen auf Menschen mit Behinderung ist anscheinend folgerichtig. Aber es bleibt die Not von Paaren mit entsprechenden genetischen Dispositionen, die in der PID eine Möglichkeit sehen, ihren Kinderwunsch besser erfüllt zu bekommen. Die Diskussionen um die PID haben mich für die Situation von betroffenen Paaren sensibilisiert.
Denn die betroffenen Frauen beziehungsweise Paare befinden sich in einem äußerst belastenden Dilemma. Sie wissen, dass ihr Kind eine genetische Anlage haben könnte, die zu einer schweren Krankheit oder Behinderung führt beziehungsweise das Risiko einer Fehl- oder Totgeburt sehr hoch werden lässt. Um die Chancen auf ein gesundes Kind zu erhöhen, ist die PID ein Mittel, das die moderne Medizin anbietet. Allerdings setzt sie den körperlich und seelisch beschwerlichen Weg einer Befruchtung im Reagenzglas mit relativ geringer Erfolgschance voraus.
Alternativen für die Frauen oder Paare bestehen sonst nur im Verzicht auf eine Schwangerschaft beziehungsweise in der Akzeptanz eines Kindes, das eine schwere Erkrankung oder Behinderung haben kann. Keiner, der nicht betroffen ist, kann sich letztlich in die Situation der Frauen und Paare hineinfühlen.
Gründe gegen die PID
Nach Abwägung aller Argumente habe ich mich als Präsident des Deutschen Caritasverbandes trotz dieser denkbaren menschlich äußerst belastenden Konstellationen für eine Position gegen die PID entschieden und mich entsprechend öffentlich positioniert.5 Das mag für manche hart und unbarmherzig klingen. Meine Position ist jedoch nicht gegen die betroffenen Paare und Frauen gerichtet. Gleichwohl weiß ich, dass die möglichen Dilemmata damit nicht gelöst sind.
Die gesellschaftlichen Folgen und der Verstoß gegen die Menschenwürde von Embryonen sind für mich jedoch so gravierend, dass sie auch nicht durch das Leid der betroffenen Eltern aufgehoben werden können. Denn die PID bedeutet letztlich die Entscheidung über lebenswertes und nicht lebenswertes Leben. Embryonen werden aufgrund bestimmter genetischer Dispositionen ausgewählt. Für Menschen, die mit dieser genetischen Disposition und einer möglicherweise damit verbundenen Erkrankung oder Behinderung leben, bedeutet das jedoch, dass das Leben mit dieser Behinderung als nicht lebenswert betrachtet wird.
Auch der Vorschlag des Bundestagsabgeordneten René Röspel und anderer, die die PID nur zulassen wollen, wenn eine Fehl- beziehungsweise Totgeburt wahrscheinlich ist, ist nicht vertretbar. Denn hier stellt sich doch auch die Frage, ob das Leben eines Kindes, und sei es noch so kurz, nicht auch ein Wert an sich ist. Außerdem führt die moderne Frühgeburtenmedizin dazu, dass Kinder selbst mit schwersten Behinderungen oder Erkrankungen heute deutlich länger leben können. Eine Zulassung der PID kann zudem die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung und ihrer Angehörigen verstärken, weil Behinderung als zunehmend vermeidbar gelten würde. Schon jetzt stehen Eltern von Kindern mit Behinderung teilweise unter Rechtfertigungsdruck.
Die PID widerspricht auch grundsätzlich der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung, die jegliche Diskriminierung von Menschen mit Behinderung verbietet. Außerdem wird bei der PID gegen die Würde von ungeborenem Leben verstoßen. Denn die Menschenwürde gilt von Anfang an. Dieser Anfang ist die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Denn jeder andere spätere Zeitpunkt ist aus meiner Sicht eine künstliche Setzung und deshalb willkürlich.
Selbstbestimmte Teilhabe für Menschen mit Behinderung
Unter dem Motto "Kein Mensch ist perfekt. Behinderte Menschen - Menschen wie Du und ich" setzt sich der Deutsche Caritasverband für die selbstbestimmte Teilhabe behinderter Menschen ein. Diese fängt schon damit an, welche Rahmenbedingungen Eltern vorfinden, wenn es um die Betreuung eines Kindes mit Behinderung geht. Es geht darum, ob Menschen mit Behinderung wirklich am gesellschaftlichen Leben im vollen Umfang teilhaben können. Dazu gehören auch Kindertagesstätten und Schulen, in denen Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam groß werden. Ebenso zählen dazu die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die notwendigen materiellen, rechtlichen und medizinischen Voraussetzungen.
Solche Bedingungen heben nicht die Belastungen auf, vor denen Frauen und Paare stehen, wenn sie eine Entscheidung treffen müssen. Aber sie sind wichtige Bausteine und politische Signale, damit die Entscheidung für ein möglicherweise behindertes Kind leichter fällt. Die Caritas kann viel dazu beitragen. Unsere Kampagne ist dafür ein wichtiger Schritt, genauso die Arbeit in unseren Einrichtungen und Diensten. Für mich ist mein Einsatz für ein Verbot der PID deshalb letztlich auch ein Baustein für mehr selbstbestimmte Teilhabe!
Anmerkungen
1. Vgl. Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der Präimplantationsdiagnostik, Bundestagsdrucksache 17/5450 (Krings et al.).
2. Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (Präimplantationsdiagnostikgesetz - PräimpG), Bundestagsdrucksache 17/5451 (Flach et al.), hier: § 3a Abs. 2 S. 2 ESchG-E.
3. Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur begrenzten Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (Präimplantationsdiagnostikgesetz - PräimpG), Bundestagsdrucksache 17/5452 (Röspel et al.), hier: § 3a Abs. 2 S. 3 ESchG-E.
4. Vgl. Deutscher Ethikrat, Präimplantationsdiagnostik. Stellungnahme, am 8. März 2011.
5. Vgl. Stellungnahme des Deutschen Caritasverbandes "Werdende Eltern und Menschen mit Behinderung unterstützen, PID verbieten" vom 9.11.2010 und Gemeinsame Stellungnahme des Deutschen Caritasverbandes (DCV) und des Kommissariats der deutschen Bischöfe - Katholisches Büro in Berlin - zu den Gesetzentwürfen zur Präimplantationsdiagnostik vom 24.5.2011.