Struktur vor Vertrauen
Weniger Absprachen, weniger direktes Feedback, weniger Verbundenheit: Das orts- und zeitunabhängige Arbeiten bringt besondere Anforderungen an Führung mit sich. Seit der Coronapandemie hat sich "Remote Work" dennoch in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft etabliert und das Angebot an Arbeitsplätzen mit Homeoffice-Möglichkeit wächst weiter1.
Für remote arbeitende Teams ist es hilfreich, Führung als "erfolgreiche Einflussnahme in kritischen Momenten" zu betrachten, wie es eine Gruppe von Wissenschaftler:innen um die Organisationssoziologin Judith Muster vorschlägt.2 Aus dieser Perspektive wird Führung dann notwendig, wenn die vorgegebenen formalen Regeln und Vereinbarungen sowie die informellen Rituale, Muster und "kulturellen Trampelpfade" der Organisation nicht ausreichen, um Handlungssicherheit zu erzeugen. Daraus lassen sich verschiedene Handlungsempfehlungen für Führungskräfte ableiten.
Handlungsempfehlung I: Sicherheit durch Leitlinien
Kritische Momente lassen sich in Organisationen nicht vollständig eliminieren. Bei remote arbeitenden Teams fehlen jedoch die schnellen Absprachemöglichkeiten "zwischen Tür und Angel". Umso wichtiger ist es, Ziele, klare Regeln und Vereinbarungen zu treffen und auf deren Einhaltung zu achten, um kritische Momente in der Zusammenarbeit zu reduzieren.
Hilfreich ist die Entwicklung gemeinsamer Leitlinien ("How to work at ..."), in denen die Ziele sowie die Regeln und Vereinbarungen für die gemeinsame Zusammenarbeit im Team festgehalten werden. Gemeint sind zum Bespiel die Aufgabenbereiche der Teammitglieder, gemeinsame Teamzeiten, Ablageorte wichtiger Dokumente, einzuhaltende Prozesse und vieles mehr.
Handlungsempfehlung II: Verbundenheit durch Informales
Menschen brauchen neben Sicherheit auch Anerkennung, Autonomie, Fairness und Verbundenheit, um gut arbeiten zu können.3 Bei Verbundenheit geht es darum, ein möglichst starkes Gefühl der Zugehörigkeit zu einer (Arbeits-)Gruppe herzustellen. Denn ohne Verbundenheit wird ein Gefühl der Einsamkeit erzeugt.4 Führungskräfte müssen dafür Sorge tragen, dass Verbundenheit unter den erschwerten Bedingungen der orts- und zeitunabhängigen Arbeit erzeugt wird.
Hinzu kommt, dass Organisationen neben ihrer Außendarstellung (Schauseite) und der formalen Seite (Regeln, Verträge, formale Hierarchien etc.) immer auch eine informale Seite ausbilden, die verkürzt als "Organisationskultur" bezeichnet werden kann. Auf dieser informalen Seite entstehen nicht formal geregelte Erwartungen ("Dos and Don’ts"). Diese erwünschten oder unerwünschten Verhaltensweisen werden spätestens dann deutlich, wenn beispielsweise unwissentlich Tabus angesprochen werden oder wenn informale Erwartungen verletzt werden - etwa, wenn gegen die nicht geregelte, aber allgemein akzeptierte Kleiderordnung verstoßen wird.
Das "Erlernen des erwünschten Verhaltens" (der Kultur) in fast ausschließlich virtuellem Kontakt ist deutlich schwieriger. Es etablieren sich schnell unerwünschte informale Verhaltensweisen. Um dem zu begegnen, ist es hilfreich, zeit- und ortsunabhängige Arbeitskonzepte hybrid zu gestalten und verpflichtende Zeiten im Büro festzulegen. Außerdem sorgen Begegnungen und gemeinsame Feiern für den informalen Austausch.
Handlungsempfehlung III: Mentoring stärkt Kultur
Auch Mentoring-Konzepte helfen, die gewünschte Kultur und die Verbundenheit zu stärken. Etwa wenn erfahrene Mitarbeitende in kurzen, regelmäßigen Abständen (zum Beispiel wöchentlich) mit den neuen remote Mitarbeitenden im Gespräch sind. Dabei sollten weniger die Arbeitsinhalte fokussiert werden, sondern ebenfalls Informales im Vordergrund stehen. Die Gespräche brauchen keine Agenda oder konkreten Ziele. Es geht um persönlichen Austausch, darum, Fragen zu beantworten, das Miteinander zu stärken, im Team anzukommen und die Kultur kennenzulernen
Vertrauen in die Mitarbeitenden ist wichtig - unabhängig davon, ob die Zusammenarbeit in Präsenz, hybrid oder rein remote organisiert ist. Das Vertrauen darauf, dass die Mitarbeitenden ihre Arbeit "schon machen werden" und es ihnen dabei gut geht, greift jedoch zu kurz. Denn Organisationen verfolgen Ziele, für deren Erreichung die Führungskraft verantwortlich ist. Und Führungskräfte tragen Sorge dafür, dass getroffene Entscheidungen umgesetzt werden. Beides setzt - auch und gerade in remote arbeitenden Teams - neben Vertrauen auch Strukturen voraus, die das Erreichen von Zielen und das Umsetzen von Entscheidungen wahrscheinlicher machen.
Fazit: Unsicherheit reduzieren
Hinzu kommt, dass Vertrauensmissbrauch zu Konflikten zwischen den Mitarbeitenden und der Führungskraft und zu teaminternen Konflikten führt. Diese Konflikte bleiben gerade bei remote arbeitenden Teams oft lange Zeit unter der Oberfläche und damit unsichtbar. Das kann zu schwerwiegenden Problemen bis hin zur Kündigung einzelner Mitarbeitenden führen. Anstatt deshalb die Mitarbeitenden vorschnell wieder zurück ins Büro zu holen (wie es derzeit vermehrt zu beobachten ist5), lassen sich die Vorteile beider Welten - remote und Präsenz - kombinieren.
1. Bertelsmann Stiftung: Arbeitgeber locken Fachkräfte mit wachsendem Homeoffice-Angebot. Pressemitteilung, 2024; https://tinyurl.com/nc25-2-bertelsmann; Download am: 15.12.2024.
2. Muster, J. et al.: Führung als erfolgreiche Einflussnahme in kritischen Momenten. Grundlagen, Implikationen und Forschungsperspektiven. In: Barthel, C. (Hrsg.): Führungsmodi in der Verwaltung. Sinn und Unsinn. Wiesbaden: Springer Gabler, 2020. S. 285-305.
3. Vgl. Jeske, K.-J.: SCARF - ein Führungsansatz aus dem Bereich Neuroleadership. Roundtable-Vortrag, 2022;
https://tinyurl.com/nc25-02-CAS; Download am 15.12.2024.
4. Reinhardt, R.: Neuroleadership: Theoretische Grundlagen, empirische Befunde und kritische Perspektiven. 2015;
https://tinyurl.com/nc25-2-gfwm; Download am 15.12.2024.
5. Hinz, O.: homeoffice 2025 - zurück in die Zukunft? 2024; https://tinyurl.com/nc25-2-hinz; Download am: 15.12.2024.