NesT nimmt Geflüchtete in die Gesellschaft auf
Mit dem staatlich-gesellschaftlichen Aufnahmeprogramm "Neustart im Team" (NesT) erhalten besonders schutzbedürftige Flüchtlinge neben einem Aufenthaltstitel die Chance auf ein sicheres und würdevolles Leben in Deutschland. Aus ihrem Heimatland Geflüchtete, deren Freiheit, Sicherheit und Grundrechte auch in ihrem Erstzufluchtsstaat gefährdet sind, werden durch UNHCR (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen) für das Aufnahmeprogramm NesT vorgeschlagen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge organisiert im zweiten Schritt die Auswahl und Aufnahme. Findet sich eine NesT-Mentoring-Gruppe mit mindestens vier Mitgliedern zusammen, kann die Einreise im dritten Schritt stattfinden.
Der zentrale Hebel bei NesT ist die Einbeziehung der Gesellschaft: Als sogenanntes Community-Sponsorship-Programm ist es in Deutschland einzigartig. Hierüber können Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen, Gemeinden sowie Privatpersonen die Aufnahme von Schutzsuchenden finanziell und ideell unterstützen. Dabei übernehmen die Engagierten eine aktive Schlüsselrolle in der Gestaltung der Integration. Die Mentor:innen müssen keine Vorerfahrung in der Flüchtlingshilfe mitbringen, da sie von Anfang an von Expert:innen der Zivilgesellschaftlichen Kontaktstelle (ZKS) begleitet und beraten werden.
Die Mentor:innen verteilen die Verantwortung auf mehrere Schultern. So kann sich jede:r mit individuellen Kompetenzen einbringen: von der Begleitung bei Behördengängen oder Arztbesuchen über die gemeinsame Suche nach geeigneten Integrationskursen, Schulen sowie Ausbildungen und Jobs bis hin zur Unterstützung beim Eingliedern in die örtliche Gemeinschaft.
NesT hat sich mehrere Ziele auf die Fahne geschrieben. Das wohl größte ist die Unterstützung bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, die sich an den Fähigkeiten und den Bedürfnissen der Schutzbedürftigen orientieren sollte.
Seit Programmbeginn konnten bereits 172 Flüchtlinge aus verschiedensten Ländern einreisen. Die meisten kamen aus Syrien, Somalia und dem Südsudan. Für diese Schutzbedürftigen haben sich über 250 Mentor:innen erfolgreich eingesetzt und ihnen Perspektiven eröffnet. Die Mentoring-Gruppe wurde für sie wie ein Teil ihrer Familie.
In diesem Jahr ist eine zusätzliche Aufnahme von bis zu 240 Schutzbedürftigen möglich, im nächsten Jahr erhöht sich die Zahl auf 260 Personen.
Erlebnisbericht eines Geflüchteten
Es ist ein Montagmorgen im August. Baluu Wol Makuach wartet darauf, erzählen zu können: wie es vor zweieinhalb Jahren war, über das NesT-Programm in Deutschland als Resettlement-Geflüchteter anzukommen. Welche Herausforderungen es bei der Integration gab. Welche Macht die Sprache besitzt. Makuach lebt mit Frau und Kindern in Dinslaken. Das folgende Interview mit ihm führte Aron Farkas auf Englisch und übersetzte es ins Deutsche.
Aron Farkas: Herr Makuach, wie geht es Ihnen heute?
Baluu Wol Makuach: Heute ist ein sehr guter Tag. Ich werde direkt im Anschluss an dieses Interview ein kostenfreies [Werbe-]Video für ein lokales Repair-Café drehen. Dort reparieren Ehrenamtliche defekte Gegenstände. So kann ich der Gesellschaft etwas zurückgeben, auch wenn ich aktuell keine [bezahlte] Arbeit habe. Auch für andere Organisationen habe ich bereits unentgeltlich Videos produziert.
Vergleichen Sie Ihre Situation heute mit der bei Ihrer Ankunft: Welche Hoffnungen haben sich für Sie und Ihre Familie erfüllt?
Meine Kinder haben hier hervorragende Zukunftsaussichten. Sie haben sehr früh die Sprache erlernt. Für uns Erwachsene ist es etwas schwieriger. Deutsch ist entscheidend, um auch beruflich an das Gelernte anzuknüpfen [Makuach hat in seiner Heimat Journalismus studiert]. Ich habe mir vorgenommen, meinen Kindern die bestmögliche Zukunft zu bieten. Am besten wäre ein Ausbildungsplatz in der Medienbranche im Bereich Film. Aber auch hier gibt es aktuell Herausforderungen.
Kommen wir auf das NesT-Programm zu sprechen. Wie wurden Sie von den Mentor:innen empfangen?
Hervorragend. Ich hätte nie geglaubt, dass ich so einfach in Deutschland Fuß fassen würde. Die Mentor:innen haben unsere Integration in die Gemeinschaft ermöglicht. Sie haben uns bei Behördengängen begleitet und Einkaufsmöglichkeiten aufgezeigt. Sie sind Teil unserer Familie geworden. Darüber sind wir sehr glücklich.
Wie ist Ihr Kontakt heute?
Wir sehen uns regelmäßig und können uns auf sie verlassen. Beispielsweise, wenn es darum geht, uns in alltäglichen Angelegenheiten zu entlasten. Ich kann behaupten, dass 50 Prozent von dem, was wir erreicht haben, ohne sie kaum möglich gewesen wäre.
Worauf sollten NesT-Einreisende nach ihrer Ankunft einen besonderen Fokus legen?
Das Wichtigste: Nehmt die [deutsche] Sprache an, akzeptiert sie als eure neue Sprache und gebt nicht auf, sie zu erlernen. Sorgt zudem dafür, dass Kinder alle Bildungsmöglichkeiten wahrnehmen können. Wenn die Schule Empfehlungen für die Kinder ausspricht, nehmt diese an und handelt entsprechend. Integration ist nicht einfach, aber wenn ihr die Herausforderung annehmt und Hand in Hand mit eurer NesT-Familie diesen Weg beschreitet, dann könnt ihr sie meistern.
Haben Sie noch Kontakt in Ihre Heimat?
Meine Frau und ich kommunizieren regelmäßig mit meinen Eltern und Geschwistern. Ich habe zudem viel Kontakt nach Kenia, wo ich über 26 Jahre lang als Flüchtling gelebt habe. Meine Kinder haben nicht mehr diese starke Verbindung nach Hause, da sie viel stärker in Deutschland verwurzelt sind. Sie wachsen hier auf, sie haben hier ihre Freunde und empfinden kaum Heimweh, wenn es um Afrika geht. Wir [Erwachsene] hingegen kennen dieses Gefühl durchaus und versuchen entsprechend im engen Austausch mit den Verwandten dort zu sein.
Wo sehen Sie sich und Ihre Familie in den nächsten Jahren, und in welcher Weise hat NesT Ihnen ermöglicht, Ihren Zielen näherzukommen?
Ich wäre gerne mit meiner Ausbildung fertig, um unabhängig zu sein, arbeiten, für meine Familie aufkommen und die deutsche Sprache beherrschen. Integration geschieht insbesondere durch Sprache. Ich sehe mich aber auch gemeinsam mit meiner Frau [und Kindern] auf diesem Weg. Wenn wir uns die Hände reichen und diesen Weg gemeinsam gehen, dann können wir zusammen Großes erreichen.
Ich wünschte, dass Geflüchtete aus der ganzen Welt von dem NesT-Programm profitieren könnten. Ich bin so glücklich, dass meine Familie durch NesT aufgenommen worden ist, insbesondere weil ich weiß, wie herausfordernd Integration für Geflüchtete sein kann. Es ist so großartig, wie die Mentor:innen uns unterstützen. Sie haben immer Zeit für uns. Sie sind unsere Familie.
Vielen Dank für das Gespräch. Ihnen und Ihrer Familie wünsche ich weiterhin alles Gute.
Vielen Dank und bis bald!