Gekommen, um zu bleiben
Es ist unbestritten, dass die Profession Pflege eine zentrale Säule im Gesundheitswesen darstellt. Die Sicherheit der Pflegeempfänger:innen und die Steigerung der Pflegequalität erfordern gut ausgebildete Pflegefachpersonen, die über umfassende fachbereichsübergreifende Kenntnisse und Kompetenzen verfügen. Die generalistische Ausbildung ist der richtige Weg, um den vielfältigen Anforderungen in den unterschiedlichen Versorgungssettings gerecht zu werden.
Die dreijährige EU-weit anerkannte Ausbildung ist eine Basisqualifikation, die eine Vielzahl von Handlungskompetenzen vermittelt und die Pflegeprofession insbesondere über die vorbehaltenen Tätigkeiten stärkt. Eine an die Ausbildung unmittelbar anschließende Expertenqualifizierung muss dabei konsequent mitgedacht werden. Hier sind passgenaue Einarbeitungskonzepte und/oder das Anschlusslernen für das jeweilige Setting vielversprechende Möglichkeiten, um die Anforderungen der Praxis zu erfüllen. Berufsanfänger:innen finden so eine gute Einmündung in eine langfristige pflegerische Berufskarriere. "Lebenslanges Lernen" soll von Anfang an positiv erlebbar sein.
Die Intention der generalistischen Pflegeausbildung muss verstanden werden. Das Sprichwort "Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen" ist hier genau passend. Die Ausbildung ist zu einer Zeit gestartet, als die Welt vor der großen Herausforderung der Coronapandemie stand. Das Gesundheitssystem war maximal belastet, die Praxisanleiter:innen hatten keine Zeit für Ausbildung und waren mit der "unbekannten Ausbildung" beziehungsweise mit neuen Auszubildenden überfordert. In der Theorie war die Vermittlung von Handlungskompetenzen im Onlineunterricht so gut wie unmöglich.
Es gibt kritische Stimmen, die dieses Modell der generalistischen Ausbildung als nicht erfolgreich ansehen und als Ursache für den zunehmenden Mangel an Pflegefachkräften, die Steigerung der Ausbildungsabbrüche, die schlechte Bewerber:innenlage oder fehlende Praxistauglichkeit betrachten. Dazu kommen noch lobbygetriggerte Argumente aus den Bereichen Pädiatrie und stationäre Langzeitpflege, wie zum Beispiel "nicht ausreichende Vermittlung von pädiatrischen Inhalten" oder "Abwanderung in andere Versorgungsbereiche".
Die Zahl der Berufseinsteiger ist gestiegen
Erstmals sind 2023 Absolvent:innen mit der Berufsbezeichnung "Pflegefachmann/Pflegefachfrau" in das Berufsfeld gestartet. Die in diesem Jahr veröffentlichten Zahlen sprechen für sich und geben ein Statement ab für die Attraktivität der Profession Pflege. Ergebnisse der "Ausbildungsoffensive Pflege zweiter Bericht" zeigen, dass fast 60 Prozent der Auszubildenden die
Ausbildung mit einer sehr guten oder guten Note bewerten. Mehr als 80 Prozent würden sich erneut für eine Ausbildung als Pflegefachperson entscheiden. Das Statistische Bundesamt berichtete von einem Anstieg der Ausbildungszahlen gegenüber dem Vorjahr um drei Prozent. Zum Ende des Jahres 2023 befanden sich rund 110.000 Pflegefachfrauen und 37.000 Pflegefachmänner in Ausbildung. Seit 2015 ist ein Anstieg der Berufseinsteiger um 17,76 Prozent zu verzeichnen.
Solche Zahlen sind ermutigend und deuten darauf hin, dass die generalistische Ausbildung, obwohl sie auf Kritik stößt, für viele Auszubildende attraktiv zu sein scheint.
Ungeachtet dieser positiven Tendenzen dürfen Theorie und Praxis die bestehenden Herausforderungen nicht unbeantwortet lassen. Auszubildende berichten in ihren Praxisreflexionen über den "Praxisschock" und äußern in diesem Zusammenhang Abbruchgedanken. Theorie und Praxis werden als Spannungsfeld empfunden. Diese Schwierigkeiten werden in den externen Einsätzen häufig verstärkt erlebt.
Übrigens entscheidet sich nur ein kleiner Teil der Auszubildenden für einen gesonderten Abschluss in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege oder Altenpflege. Dies kann als weiterer Hinweis gedeutet werden, dass die generalistische Ausbildung in ihrer Reinform insgesamt passend ist und den frisch Examinierten vielfältige Einsatz- und Karrieremöglichkeiten bietet.
Von exorbitant steigenden Abbruchquoten ist die Rede, und die Generalistik sei schuld!? Die Abbruchquoten lassen sich unterschiedlich kategorisieren.
Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) hat diese als demografische, kognitive sowie persönliche und verhaltensbezogene Gründe eingeordnet. Zu den häufigsten persönlichen Gründen zählen finanzielle Belastungen, familiäre Verpflichtungen, die Vereinbarkeit von Ausbildung und Privatleben und Enttäuschungen über Diskrepanzen zwischen Erwartungen und der Realität des Berufes. Identitätskrisen, ein negatives Berufsbild sowie psychische und physische Gesundheitsprobleme spielen ebenfalls eine Rolle. Ausbildungsbedingte Gründe umfassen negative Erfahrungen in der theoretischen und/oder praktischen Ausbildung, fehlende Unterstützung und unzureichende Anleitung.
Lösungsansätze müssen praxistauglich umgesetzt werden
Demnach besteht ein großes Potenzial zur Optimierung. Auszubildende müssen optimal begleitet und unterstützt werden - was übrigens kein pflegespezifisches Thema ist. Mitarbeiter:innenbindung ergibt sich bei guten Ausbildungsbedingungen fast von selbst. Das BIBB hat zu Ausbildungsabbrüchen in der Pflege im Jahr 2021 ein integratives Review mit Lösungsansätzen veröffentlicht, die auch heute Gültigkeit haben. Sie müssen für Pflegeschulen und Praxisträger praxistauglich umgesetzt werden, um den Herausforderungen in der Pflegeausbildung begegnen zu können. Dabei kann und darf es regionale Unterschiede geben, die Ansätze müssen der Logik der Herausforderungen folgen.
Es müssen Konzepte für die Bedürfnisse der Auszubildenden entwickelt werden. Berufsstarter sollten strukturierte Einarbeitungskonzepte, Weiterqualifizierungs- und kompetenzfördernde Angebote an den Praxisorten vorfinden. Die Arbeitgeber sind gefordert, die Ausbildungsbedingungen zu verbessern und den frisch examinierten Pflegefachpersonen je nach Erfordernis angemessene Impulse oder auch engmaschige Begleitung zu bieten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Arbeitszeitgestaltung. Viele Auszubildende beklagen sich über unflexible Dienstpläne und lange Arbeitszeiten, die eine Vereinbarkeit von Ausbildung und Privatleben erschweren. Hier sind die Unternehmen gefordert, Lösungen zu finden, um die Attraktivität des Berufs weiter zu steigern und die Bindung der Auszubildenden an die Einrichtung zu fördern.
Die mit Vorurteilen behaftete "Generation Z" ist häufig Diskussionsthema unter den Trägern der praktischen Ausbildung und den Pädagog:innen. Die Auseinandersetzung mit generationsspezifischen Themen sollte immer lösungsorientiert sein und dazu dienen, die Rahmenbedingungen für die Pflegeausbildung auch im Sinne der Generation Z zu verbessern. Hier sind zum Beispiel Work-Life-Balance, abwechslungsreiche Tätigkeiten, gute Karriere- und Verdienstmöglichkeiten und nicht zuletzt Wertschätzung zu nennen. Das Recruiting von potenziellen Auszubildenden wird dadurch sicherlich auch optimiert.
Ein Blick in die Zukunft
Die Pflege steht vor großen Herausforderungen und die generalistische Ausbildung bietet Chancen, diesen mit Fachkompetenz zu begegnen. Sie ist nicht nur eine Übergangslösung, sondern bietet langfristige Perspektiven für die Pflege.
Die Verantwortung für eine qualitativ hochwertige Ausbildung liegt insbesondere bei den Führungskräften der Einrichtungen und Pflegeschulen. Nur durch ein systematisches Kompetenzmanagement und eine enge Zusammenarbeit zwischen Theorie und Praxis kann die Qualität der Pflege nachhaltig gesichert werden. Ein zukunftsweisendes Konzept kommt aus dem Forschungsprojekt des BIBB1. Das "Haus der guten Ausbildung und sein Umfeld" zielt darauf ab, eine qualitativ hochwertige Ausbildung zu gewährleisten, die den Bedürfnissen der Auszubildenden und der Einrichtungen gleichermaßen gerecht wird. Durch die Schaffung von Netzwerken zwischen Pflegeschulen und Praxiseinrichtungen können Synergien genutzt und die Ausbildungsqualität erhöht werden.
Mit dem Pflegeberufegesetz wurde der wesentliche Grundstein gelegt, um die Pflegeprofession weiterzuentwickeln. Der Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der Pflegekompetenz lässt hoffen, dass in der Pflege Weiterentwicklung politisch gewollt und für zukünftige Generationen von Pflegeexperten Normalität wird.
Die weitere Entwicklung der Pflegeausbildung sollte ein gemeinsames Anliegen sein, das von allen Akteuren im Gesundheitswesen unterstützt wird. Die enge Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen, Unternehmen, Verbänden und der Politik kann die zukunftsfähige Pflegeausbildung sicherstellen.
Der Blick muss sich auf die Verbesserung der Kontextfaktoren und Rahmenbedingungen richten und nicht immer wieder die generalistische Ausbildung an sich infrage stellen. Die generalistische Pflegeausbildung ist gekommen, um zu bleiben.
1. Das Konzept wurde beim Fachtag "Generalistik ist Chef:innensache – mit guten Ausbildungskonzepten fit für die Zukunft" von KKVD und VKAD am 10. April 2024 in Frankfurt vorgestellt.