Die Zukunft der Kirche muss eine diakonische sein
Die Kirche muss und sollte …" So beginnende Analysen genießen derzeit Hochkonjunktur. Dass auch die Überschrift dieses Texts nicht ohne ein "muss" auskommt, erscheint da wahlweise konsequent oder ironisch. Dabei wächst der Beratungsbedarf stetig: zu Missbrauch und Vertuschung, Synodalem Weg und Weltsynode gesellten sich im November die desaströsen Befunde der sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung dazu. Im Kontrast zum fortdauernden Krisennarrativ erlebt die diakonische Säule der Kirche - konkret in Form der Caritas - viel positive Wahrnehmung und eine klare Relevanzzuschreibung. Der Umgang mit Missbrauch ist ein wichtiger, aber eben auch nur ein Faktor, an dem sich die Reform- und Zukunftsfähigkeit der katholischen Kirche messen lassen muss. Gleichsam muss es ihr gelingen, als einladende Kirche wahrgenommen zu werden.
Bei ihrer Rede zum Caritas-Jubiläum 2023 führte die Autorin Tsitsi Dangarembga in das Konzept von Ubuntu ein:1 "In my part of the world, the response to ‘How are you?’ is ‘I am well, if you are well, too." Dangarembgas kontraktualistisches Ubuntu-Angebot - das eigene Empfinden wird zum Wohlergehen des Gegenübers in Abhängigkeit gesetzt - kann in diesem Zusammenhang als kluges Bild für eine diakonische Kirche begriffen werden. Es sollte Auftrag aller Katholik:innen sein, die Kirche in eine einladende und sich bewegende Institution zu transformieren. Dies gelingt, wenn die Kirche alle drei Glaubensvollzüge - Diakonie, Zeugnis und Gottesdienst - gleichermaßen würdigt und ebenso mit ihnen identifiziert wird. Übersetzt ins Diakonische heißt das, dass die Caritas in der Kirche sein muss, genauso wie die Kirche Caritas sein muss - ein derzeit als defizitär wahrgenommenes Verhältnis. Vier Aufgaben könnten reparierende Wirkung entfalten:
Antworten auf Säkularisierung und Vertrauensverlust
Die Kirche muss sich für die Zukunft breit aufstellen
Die Binnenkirchendebatte ist klar vorperforiert: Augenblicklich wird ein Synodaler Rat vorbereitet, der ab 2026 über alle Themen beraten und entscheiden soll, die von überdiözesaner Relevanz sind. Es wird dann nicht mehr nur im Sinne von "Umkehr und Erneuerung" (vgl. Präambel des Synodalen Wegs) um die Konsequenzen aus Missbrauch und Vertuschung gehen. Schon jetzt sehen wir, wie Kirche sprachunfähiger wird. Sie bietet unzureichende Antworten auf Säkularisierung, Individualisierung und ihren eigenen Vertrauensverlust. Zu großen politischen und gesellschaftlichen Linien wird sie nicht oder nur unzureichend gehört. Das kann nicht mit dem Adjektiv "synodal" abgehandelt werden, das oftmals als Methode, nicht aber als ein Demokratiemerkmal sui generis verstanden wird. In diesem Sinne gilt es, für die eigene Zukunft die Erfahrungen von Pluralisierung und Demokratisierung nachzuholen. Dafür sind Reformen erforderlich, für die alle Katholik:innen gemeinsam Verantwortung übernehmen.
Kirche als katholische Sozialfabrik, die sich einen demokratischen Maschinenraum aneignet
Durch die diakonische Tätigkeit der Kirche wird das sichtbar, was in der Liturgie abstrakt vermittelt wird: Die Caritas wird zum Erfahrungs- und Erkenntnisort für die Botschaft Jesu Christi. Als Expertinnenstimme wird sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen, weil sie durch ihre gelebte Nächstenliebe Authentizität erlangt. Die diakonische Kirche wird beispielhaft von Benedikt XVI. in dessen erster Enzyklika vorgedacht: Wenn Gott Liebe ist, dann kann Kirche sich gar nicht anders als in der Caritas selbst ausdrücken. An anderer Stelle formuliert er klar, dass der Liebesdienst für die Kirche ein unverzichtbarer Wesensausdruck ihrer selbst ist (Deus caritas est, Nr. 25). Dafür muss (sich) die Diakonia als Glaubensvollzug stärker entwickeln und entwickelt werden. Dafür muss die Kirche ein demokratischer Ort, frei von realer und gefühlter Diskriminierung, werden. Denn Glaubwürdigkeit erlangt die Kirche nur dadurch zurück, dass ihre Antworten auf politische und gesellschaftliche Herausforderungen demokratisch entwickelt wurden.
Die Kirche braucht die Caritas
Das diakonische Verständnis muss in seiner Relevanz anerkannt werden
Wir erleben allerorten Polarisierungen. Auch innerhalb der Kirche gibt es diverse Konfliktherde. Das Diakonische ist davon selbst betroffen, denn einerseits ringt die Kirche angesichts des Veränderungsdrucks um ihre eigenen Prioritäten und andererseits geht es um kirchenpolitische Reformfragen. Hier muss deutlich formuliert werden, dass die Kirche die Caritas braucht, um die eigene Daseinsberechtigung zu unterstreichen. Für alle muss gelten: Die Tat und das Greifbare machen den Glauben anders, weil konkret erfahrbar. Und deshalb ist es wichtig, die Diakonia zu stärken.
Der Mensch im Mittelpunkt
Eine konkrete Lernerfahrung des Synodalen Wegs war der direkte Austausch mit den Betroffenen sexualisierter Gewalt. Das war eine sehr späte Erfahrung. Dabei ist es ein Wesensmerkmal der diakonischen Kirche, sich Betroffenen grundsätzlich zuzuwenden: In der diakonischen Kirche bekommen sozialpolitische Reformprojekte ein Gesicht, einen Namen und eine ganz konkrete Unterstützung und Sichtbarkeit. Es gilt aber auch, die Begabungen aller Getauften zu würdigen, um den Glaubensvollzug zu gestalten. Die Reform der Grundordnung kann als positives Signal in diesem Zusammenhang gewertet werden. Offen bleiben viele weitere Themen, wie die Forderung von Frauenverbänden und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) nach einem Diakonat der Frau. Der überproportional hohe Frauenanteil im Haupt- und Ehrenamt dient dabei als Platzhalter für die vielen Argumente, die für diesen überfälligen Schritt stehen.
Den Vorbehalten zwischen Kirche und Caritas begegnen
Als Katholik:innen sind wir alle aufgefordert, an einer Kirche mitzubauen, die nicht nur offen ist, sondern selbst den Weg dorthin findet, wo Not besteht und an ihrer Relevanz gezweifelt wird. Tomáš Halík sieht eine "Zeit der leeren Kirche" als Gegenmodell der Ansprüche von Papst Franziskus, der am Vorabend seiner Papstwahl ein warnendes Bild skizzierte: "Christus steht an der Tür und klopft an. Heute jedoch (…) klopft Jesus von innen an die Kirchentür und will hinausgehen - und wir müssen ihm folgen." Halík visioniert von einer Kirche als "Sauerteig der Welt" und schließt mit der Frage: "Ist das gegenwärtige Christentum bereit, diesen Schritt zu tun, hat es dazu genug Mut und Vitalität?"2 Dem Fragezeichen sollten alle Katholik:innen kollektiv mit einem Ausrufezeichen begegnen, hinterlegt mit der diakonischen Energie, die sich aus den kirchlichen Angeboten und Potenzialen speist. Dies erfordert indes Mut zur ehrlichen Debatte, um wechselseitigen Vorbehalten zwischen der Kirche und ihrer Caritas zu begegnen. Der eingangs erwähnte Synodale Rat kann hierfür eine geeignete Plattform sein, da hier Vertreter:innen des katholischen Lebens zusammenkommen, um übergeordnete Aufgaben gemeinsam und demokratisch zu beraten.
1. Dangarembga, T: Ubuntu is Dead, Long live Ubuntu. Berlin, 26. Januar 2023, Kurzlink: https://bit.ly/3S6pCeB
2. Halík, T.: Die Zeit der leeren Kirchen. Von der Krise zur Vertiefung der Kirche. Vortrag bei der (digitalen) ZdK-Vollversammlung am 23. April 2021.
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