Zuflucht und Zuversicht
Die Schläge gehörten zum Alltag und Esra* hat sie ertragen - aus Angst vor ihrer Familie und den Freunden: "Das war bereits mein dritter Mann. Wenn ich gegangen wäre, hätten alle mir die Schuld gegeben." So ließ sie mehrere Jahre die Gewaltausbrüche ihres Partners über sich ergehen. Mit den Kindern, zwei von jeweils anderen Männern und einem gemeinsamen, sei er immerhin liebevoll umgegangen. Bis auf das eine Mal. Da schlug er Esra, als sie den Jüngsten auf dem Arm hielt. Der Säugling fiel zu Boden. Für die Mutter war in dem Moment klar: So geht es nicht weiter. Sie nahm ihren Mut zusammen, rief die Polizei und lebte dann erst einmal ein paar Monate allein. "Ich hatte immer Angst, dass er zurück kommt." Deshalb packte Esra, die zu diesem Zeitpunkt in Süddeutschland lebte, schließlich die Koffer und fuhr mit ihren Kindern zu einer Freundin nach Berlin. Von hier aus versuchte sie, einen Platz im Frauenhaus zu bekommen. "Ich habe sehr oft da angerufen. Irgendwann hat es geklappt."
Höchstens fünf Minuten dauere es derzeit, einen frei gewordenen Platz wieder zu belegen, berichtet die Leiterin des Caritas-Frauenhauses, Gabriele Kriegs. Die Lage sei nicht nur in ihrer Einrichtung, sondern in allen sechs Berliner Frauenhäusern so stark angespannt. Das liege am aktuellen Wohnungsmarkt in der Hauptstadt, ist sie überzeugt. "Seit etwa drei Jahren beobachten wir diesen Trend. Davor war ein Platz bei uns für etwa eine Woche frei." Auch die Fluktuation sei höher gewesen. Wer früher zwei Monate geblieben sei, tue es derzeit etwa ein halbes Jahr. Eine maximale Verweildauer gibt es nicht: "Solange die Frau zeigt, dass sie auf der Suche nach einer alternativen Bleibe ist und sich an die Regeln hält."
Regeln gibt es im Haus einige. Sie dienen vor allem einem: der Sicherheit. Die sei so etwas wie ein Synonym für "Frauenhaus", sagt Gabriele Kriegs. Überwachungskameras, einen hohen Zaun oder Stacheldraht sucht man hier aber vergebens. "Wir arbeiten nach dem Prinzip ‚möglichst einfach‘.": Ein unauffälliges Grundstück irgendwo in der westlichen Mitte Berlins - die genaue Anschrift ist geheim - ein häufig wechselndes Kennwort, das Bewohnerinnen und Mitarbeiterinnen als Schlüssel dient, und die Fenster hinter den weißen Vorhängen der Pforte sind aus Panzerglas. Selbst das Grundstück verlassen kann nur, wer der Diensthabenden am Eingang ein Zeichen gibt. Tag und Nacht ist die Pforte besetzt. Die Zeiten dafür teilen sich die Bewohnerinnen. "Wir wollen, dass die Frauen so lernen, Verantwortung zu übernehmen", erklärt Gabriele Kriegs.
Der Leiterin und ihrem Team, zu dem vier Sozialarbeiterinnen gehören, geht es vor allem darum, die Frauen auf eine eigenständige Zukunft vorzubereiten. Sie erklären beispielsweise die Rechtslage oder helfen bei der Suche nach finanziellen Perspektiven. Die Hilfe ist sehr pragmatisch ausgerichtet. "Wir haben die Zukunft im Blick." Um psychologische Aufarbeitung der Vergangenheit gehe es dabei nicht, dafür seien im Haus keine personellen Kapazitäten vorhanden.
Ein besonderes Beratungsangebot hat es im Frauenhaus einmal gegeben. Im Rahmen des Projekts "Jetzt Mal Anders" konnten sich von Gewalt betroffene Paare gemeinsam beraten lassen - ohne dass eine Täter-Opfer-Perspektive eingenommen wurde. Das Angebot kam gut an, musste aber wieder eingestellt werden, weil der Senat dem Pilotprojekt eine Folgefinanzierung versagte. Hoffnung macht die kürzliche Würdigung durch die Landeskommission Berlin gegen Gewalt: Aufgrund der Projekterfahrungen wurde ein Curriculum veröffentlicht, das Fachpersonal in der Arbeit mit Paaren bei situativer Paargewalt schulen soll.
Einen Platz im Frauenhaus bekommt nur, wer explizit von häuslicher Gewalt betroffen ist und sich in einer "akuten Gefährdungssituation" befindet. Was genau passiert ist, wird im ersten Telefonat geklärt. Mit der Anruferin wird dann ein Treffpunkt vereinbart, von dem sie abholt wird. Im Haus angekommen, klärt eine Sozialarbeiterin erst einmal über Sicherheit und Hausregeln auf. "Das mag hart klingen", räumt Gabriele Kriegs ein, "aber das ist hier nun einmal das A und O." Natürlich werde auch ein Termin für eine ausführliche Beratung vereinbart, die dann in der Regel am nächsten Tag stattfindet.
50 Plätze hat das Caritas-Frauenhaus, von denen 22 für Frauen und 28 für deren Kinder bereit stehen. "Wir sind hier wie eine große Familie", sagt Esra. "Natürlich sind wir manchmal traurig, aber wir lachen auch viel zusammen." Vor allem sei sie froh, dass ihre Kinder hier Freunde gefunden haben. Denn die Schulkameraden können nicht zum Spielen mitgebracht werden. "Das ist ein echtes Problem für die Kinder", räumt auch Gabriele Kriegs ein. Zumal es häufig vorkomme, dass diese aus Sicherheitsgründen die Schule wechseln müssten und ohnehin niemandem sagen dürfen, wo sie wohnen. Toben, malen oder basteln können die Kinder im Souterrain des Hauses. Zwei Erzieherinnen betreuen hier die Kleinen, helfen den Älteren bei den Hausaufgaben und beim durch Spenden finanzierten Kinder-Mittagstisch bekommt der Nachwuchs täglich eine frisch zubereitete warme Mahlzeit.
Die Frauen, die in der Caritas-Einrichtung Zuflucht suchen, kommen aus allen sozialen Schichten. Wobei ein Großteil Arbeitslosengeld II beziehe. "Die Fitten versuchen wir vor allem für den Pflegebereich zu begeistern. Dort herrscht großer Bedarf", erklärt Gabriele Kriegs.
Wenn die Frauen die Einrichtung verlassen, müssen sie weitestgehend allein klar kommen. Eine geregelte Nachberatung gibt es im Land Berlin nicht. Das hält Gabriele Kriegs zwar für dringend erforderlich, sie macht sich aber keine große Hoffnung, dass sich daran etwas ändert. Positiver stimmt sie dagegen die gerade erfolgte Zusage vom Senat, 18 Trägerwohnungen zu finanzieren. Diese Wohnungen sind für Frauen gedacht, die nicht mehr als sicherheitsgefährdet gelten und nun auf eigenen Beinen stehen können.
So wie Esra. Sie wird sich morgen eine Wohnung anschauen. "Es ist schön hier, aber sechs Monate im Frauenhaus sind genug." Lange wird Esras Platz nicht frei bleiben.
*Name geändert
Kontakt:
Telefon: 030 / 851 10 18
frauenhaus@caritas-berlin.de
Spenden: www.caritas-berlin.de/frauenhaus