BildungspatInnen für Schulkinder
Als Werner von dem Berge im Jahr 2010 das Projekt BildungspatInnen für GrundschülerInnen anstieß, warb die Caritas gerade mit ihrer damaligen Jahreskampagne "Experten fürs Leben" für Solidarität mit älteren Menschen. Renate Höink ist so eine Expertin mit viel Lebenserfahrung, und mit 85 Jahren ist sie die älteste Bildungspatin der Caritas in Marl. Aktuell betreut sie Lellin, deren Familie aus dem Irak stammt.
Sprachlich ist nicht die Spur eines Akzents zu hören, aber mit der deutschen Grammatik im Schriftlichen und mit bestimmten Begriffen tut sich Lellin noch schwer. Renate Höink bringt die Erfahrung mit ihren eigenen Kindern und zudem viel Gelassenheit ein, um ihr die Wortarten geduldig zu erklären und den Sprachschatz allmählich zu erweitern. Wie kam sie zu diesem Ehrenamt als Bildungspatin?
Tiefer liegende Lern-Defizite angehen
In der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche waren Werner von dem Berge, damals noch deren Leiter, häufig Kinder mit erheblichen Lernrückständen vorgestellt worden: "Ihnen drohte bereits frühzeitig ihr schulisches Scheitern und ein Leben ohne berufliche Perspektive." Als der Diözesan-Caritasverband Münster eine Förderung für innovative Projekte anbot, nutzte er die Chance. Die Idee: Vor Ort sollten Ehrenamtliche die Lücken schließen und Lernfreude zurückbringen.
Es gehe nicht um eine kurzfristige Hausaufgabenhilfe, erklärt Werner von dem Berge. Nach dem Wechsel in den Ruhestand begleitet er das Projekt seit rund zehn Jahren ehrenamtlich als Koordinator weiter. Vielmehr wollen die Bildungspatinnen und -paten grundlegendere Defizite ausgleichen, die den Übergang von der Grund- in eine weiterführende Schule schwierig machen könnten. Wenn in der vierten Klasse ein Schüler über die Zahl 20 nicht hinauskomme, sei das Scheitern abzusehen.
Spielerisch fördern wirkt
"Wir wollen die Kinder dort abholen, wo ihre Defizite begründet sind", sagt Werner von dem Berge. Und damit eine Erfolgsspirale in Gang setzen, die sie neu motiviert. Geduld und Einfühlungsvermögen sind da von den BildungspatInnen gefordert. Pragmatische Ansätze ebenso, wie Hannelore Hermanig berichtet. Die Begleitung eines syrischen Mädchens in der Schule - wie sonst üblich - ging nicht mehr. Aber jetzt geht Bildungspatin Hermanig zu ihr nach Hause und fördert sie dort "auf spielerische Art und Weise". Das Mädchen vergesse ganz schnell und kenne viele deutsche Begriffe nicht, die sie ihr dann erkläre, sagt Hannelore Hermanig.
In den gut zehn Jahren des Projekts haben 90 BildungspatInnen rund 150 Kinder für anderthalb bis zwei Jahre begleitet. Für die Beratungsstelle, so sieht es Werner von dem Berges Nachfolgerin Hildegard Schindler, ermöglichen die Ehrenamtlichen ein wertvolles Zusatzangebot, das mit den hauptamtlich Mitarbeitenden nicht zu leisten wäre. Häufig geht es um Kinder, deren Familien schon in ihrer Beratung sind. Empfohlen werden sie aber auch von den Schulen oder Stadtteilzentren. Schon nach wenigen Monaten beobachtet Hildegard Schindler "deutliche Verbesserungen in ihrem Arbeitsverhalten und bei den schulischen Leistungen".
Per Pressearbeit neue Bildungspaten finden
Derzeit sind noch 20 Bildungspatinnen und -paten im Einsatz. In der Coronazeit musste Werner von dem Berge einen Schwund von zehn Ehrenamtlichen hinnehmen. Ständig werden neue gesucht, wofür sich die Pressearbeit als das erfolgreichste Mittel herausstellt: "Einmal haben wir auf einen Artikel hin 13 Interessierte gewinnen können." Renate Höink ist eine von den Ehrenamtlichen, die sich davon angesprochen fühlten.
Was neue BildungspatInnen mitbringen sollten, kann Werner von dem Berge in wenigen Worten beschreiben: "Spaß an der Arbeit mit Kindern und Freude an ihrer Entwicklung." Bevor die erste Patenschaft angebahnt wird, vermittelt man den künftigen BildungspatInnen in einer Schulung Grundlagen zur Entwicklung von Kindern und zu Lernstörungen. Die Konzentrationsspanne der Kinder umfasst manchmal nur 20 Minuten. Dann müssen die Lernphasen durch Spiel unterbrochen werden. Ihre Erfahrungen können die BildungspatInnen in vierteljährlichen Treffen austauschen.
Ein- oder zweimal in der Woche sollen die BildungspatInnen "ihr" Kind treffen. In der Regel holen sie es aus der Offenen Ganztagsgrundschule ab, gehen in einen separaten Unterrichtsraum und können dort ungestört miteinander arbeiten. In der weitläufigen Stadt hat es sich bewährt, vor Ort zu gehen, um lange Anfahrtswege zu vermeiden. Elf von 13 Grundschulen in Marl nutzen das Angebot. Regelmäßig hält Werner von dem Berge Kontakt zu ihnen.
Ein vorzeitiger Ausstieg ist selten
Nicht immer gelingt die Förderung, bislang musste aber nur in ganz seltenen Fällen die Patenschaft vorzeitig beendet werden. "Entscheidend ist die Motivation der Kinder", sagt Ludger Müller. Wenn die stimme, könne viel erreicht werden. Dann sei es auch schon gelungen, dass ein Kind die Gymnasialreife erreicht habe, ergänzt Hannelore Hermanig.
Bildungspate Hubert Scheper kann ebenso wie sie von Erfolgserlebnissen berichten, aber einmal musste er auch eine Patenschaft abbrechen. Eines seiner Patenkinder war so wenig motiviert, dass er nicht weiterkam. Aber auch nach dem Ende der Förderung habe der Junge ihn noch jedes Mal freudig gegrüßt, wenn sie sich auf dem Schulhof begegnet seien.
Eigentlich endet eine Patenschaft immer geplant und dann mit einem schönen Abschluss. "Da geht man mal Eis essen oder fährt in die Unterwasserwelt nach Oberhausen", nennt Hubert Scheper Beispiele.
Übrigens, bei der Caritas in Marl gibt es für Kinder auch Gruppen für soziales Lernen und Hilfe bei Scheidung oder Trennung sowie bei emotionalen und sozialen Problemen.