Regenwald-Retter mit Schwerstbehinderung
Benni Over hat einen starken Willen. So stark, dass er seine körperlichen Grenzen ignoriert. Auf der Weltkarte in seinem Büro zeugen zahlreiche Fähnchen von seinen Reisen. Leicht sind diese Touren nicht zu machen. Der 28-Jährige hat Muskelschwund, genauer: Muskeldystrophie Duchenne. Täglich kommen ein bis zwei Therapeutinnen ins Haus. „Alles Frauen – andere Männer verirren sich nicht hierher“, scherzt er. Er sitzt im Rollstuhl, wird über ein Tracheostoma beatmet und kann nur seine Finger bewegen. Doch wer ihn trifft, spürt, dass dies für ihn nur unangenehme Begleiterscheinungen sind. Nicht die Krankheit, sondern seine Lebensaufgabe steht für ihn im Mittelpunkt: „Ich möchte auf die Regenwaldzerstörung und die Folgen für das Klima aufmerksam machen.“
Mit einem Zoobesuch fing alles an
Begonnen hat diese Mission im Berliner Zoo vor fünf Jahren. Dort hat er zum ersten Mal Orang-Utans gesehen: „Ihre Augen … Sie sehen wie Menschen aus.“ Benni Over recherchierte über die Lebensbedingungen der Menschenaffen auf Borneo und Sumatra. Er erfuhr, dass sie vertrieben, gejagt und getötet werden, weil ihr Lebensraum, der Regenwald, für die Palmölgewinnung abgeholzt wird. Eines Abends sagte er zu seinem Vater: „Ich möchte ein Buch für Kinder machen.“
Die Idee zum Kinderbuch „Henry rettet den Regenwald“ war geboren. Ein gleichnamiger Trickfilm entstand parallel. Die Geschichte haben er und sein Vater entwickelt, die Bilder wurden von Heilerziehungspflegerin Kathrin Britscho vorgezeichnet und von Benni Over coloriert. Die Orang-Utans ließen den jungen Mann aus dem rheinland-pfälzischen Niederbreitbach nicht mehr los.
Im Fernsehen erfuhr Benni Over von Willie Smits, Tierschützer und Gründer der Stiftung „Borneo Orangutan Survival Foundation“ (BOS) und der Masarang-Stiftung gegen die Entwaldung und die Ausrottung der Wildtiere. „Da wollte ich mal live sehen, wie es dort aussieht“, erzählt er. Die Reise nach Indonesien im Jahr 2016 ist für die ganze Familie noch heute ein Erlebnis.
Zwei Wochen verbrachten Benni Over, sein Bruder Florian (26) und seine Eltern auf Borneo und besuchten dort unter anderem Orang-Utan-Camps, wie das Sintang-Orang-Utan-Center.
Hilfe für Affenbabys
Hier werden Affenwaisen aufgepäppelt, deren Mütter getötet wurden. „Da geht man runter und ist direkt im Regenwald“, erinnert Benni Over sich. Übernachtet haben sie bei dem Besuch in einem Longhouse der einheimischen Dajak, ohne Strom. Damals brauchte er nur nachts ein Beatmungsgerät. „Wir haben genügend Batterien mitgenommen“, erzählt seine Mutter Connie Over (57).
Drei Jahre später. Benni Over sitzt in seinem Büro an seinem Laptop. Nach einem Herzstillstand im Jahr 2016 lag er 37 Tage auf der Intensivstation, davon mehrere Tage im Koma. Nun wird er überwiegend über eine Maschine beatmet.
Das hindert ihn aber nicht an seinem Vorhaben. Mit Willie Smits ist er in gutem E-Mail-Kontakt. In den letzten Wochen hat er 4183 Adressen von Schulen in Bayern recherchiert, um sie anzuschreiben. Denn nach der Reise ist ihm eine neue Aufgabe erwachsen. „Wir drei gehen in Schulen“, erklärt er und meint seinen Vater, seine Mutter und sich selbst. Dort erzählen sie, wie der Lebensraum der Orang-Utans durch die Palmölindustrie zerstört wird – und was das mit ihrem Leben hier zu tun hat. „Sehr aufmerksam sind die“, sagt Benni über die Kinder.
In den beiden Schulstunden hören sie, dass Palmöl in fast jedem zweiten Produkt aus dem Supermarkt steckt: in Fertigpizza, Margarine, Süßigkeiten, in Kosmetikartikeln oder in Putzmitteln. Und im Biosprit. Sie sehen eine Powerpoint-Präsentation und den Trickfilm.
„Die Kinder sind dann ganz aufgebracht. ,Das darf doch nicht sein‘, ist immer die Reaktion“, erzählt Vater Klaus Over (59). Und: „Was können wir dagegen tun?“ Sie erfahren, dass sie palmölhaltige Produkte vermeiden können, indem sie auf die Inhaltstoffe schauen. „Wichtig ist, dass zu Hause frisch gekocht wird, ohne Zusatzstoffe“, ergänzt Benni Over.
Inzwischen arbeiten sie auch mit Schülerinnen und Schülern der Oberstufe. Vor kurzem besuchte Willie Smits mit ihnen ein Gymnasium in der Nähe. Dort landet man dann in der Diskussion schnell beim Klimaschutz und den Menschenrechten.
Großes Projekt: Spende einen Baum
Die Sache „Regenwald“ ist zur Familienangelegenheit geworden: Eltern, Bruder, dessen Partnerin und seine Therapeutinnen unterstützen Benni Over beim Recherchieren, Filmen und Synchronisieren. Zurzeit arbeitet er mit seinem Team am zweiten Teil des Buches. Außerdem hilft er mit, den Regenwald wieder aufzuforsten: Für sein Projekt „Spende einen Baum“ sammelt er. Sein Ziel: 100.000 Euro. Dafür knüpft er ständig Kontakte, zum Beispiel mit dem Fußballverein Hertha BSC, dessen VIP-Magazin nun über ihn berichten will. Termine in Buchhandlungen, Bibliotheken, an Universitäten und mit den Medien … Wird ihm das nicht mal zu viel? „Das ist okay“, sagt er. „Okay“ heißt bei ihm eigentlich „super“.
Woher nimmt er die Energie, was treibt ihn an? – Der junge Mann schaut verständnislos, als wäre die Frage überflüssig. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ – „Benni ist der Motor, er treibt uns an“, sagt sein Vater. Ausreden gibt es nicht. Denn: „Jeder kann was machen“, findet Benni Over. Sein größter Wunsch: wieder reisen – nach Australien. Doch das ständige Beatmetwerden erhöht die Infektionsgefahr. Seine Eltern sind dagegen. Dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, ahnt man, wenn man in Benni Overs blitzende Augen schaut.
„SPENDE EINEN BAUM“ – WIEDERAUFFORSTUNGSPROJEKT IN INDONESIEN – EIN PROJEKT IN KOOPERATION VON BENNI OVER, DER MASARANG-STIFTUNG (NIEDERLANDE) UND DEM VEREIN LEBENSRAUM REGENWALD (NÜRNBERG).
INFO: WWW.HENRY-RETTET-DEN-REGENWALD.BILDUNGSBLOGS.NET