Secondhand-Boutique gegen Wohnungsnot
Der Hut aus Luftpolsterfolie steht Renate Lepach ausgezeichnet. „Modell Audrey“, kommentiert sie lachend – und tatsächlich erinnert seine Form an Kopfbedeckungen von Audrey Hepburn. Die Folien-Regenhüte sind Unikate der „Boutique Le Sac“ in Freiburg. Sie werden eigens dort genäht und finden reißenden Absatz. Ebenso wie die selbst genähten Kissen oder die Kleider und Röcke aus gespendeten Krawatten. Doch was sich anhört wie ein Designer-Laden, ist in Wirklichkeit eine Secondhand-Boutique mit allem, was das Herz begehrt: Kleidung, Schuhe, Geschirr und Gläser, Lampen, Bilder, Nippes und Kitsch bis hin zu Kleinmöbeln, Toastern oder mancher Waschmaschine … In den Kellerräumen der Sedanstraße 22 ist noch Raum für gespendete Sachen, die, noch gut erhalten, zum Wegwerfen zu schade wären.
Weibliche Armut schämt sich mehr
Zahlreiche Kundinnen stöbern im Sammelsurium. Zwei probieren Schuhe, eine hält ein T-Shirt am Bügel hoch, wieder eine zieht ein Sommerkleid über. Dazwischen einige ehrenamtliche Mitarbeiterinnen, mit Namensschild erkennbar. Die Kundinnen der Boutique sind nicht alle wohnungslos oder arm, viele sind einfach an Secondhand-Mode interessiert. Für die Kleidung spenden sie einen moderaten Betrag, der Gewinn läppert sich. Zweimal pro Woche öffnet das Geschäft, und OFF-Vorsitzende Renate Lepach (77) und Vorstandsfrau Veronika Lehmann (65) sind fast immer dabei. „20 Frauen arbeiten hier ehrenamtlich mit“, sagt Lehmann. Einige von ihnen sind ehemalige Obdachlose, manch eine arbeitet hier auch den Kleinkredit ab, den sie vom Verein zinslos bekommen hat.
Obdachlosigkeit ist auch weiblich. „Sie ist nur verschämter und nicht so erkennbar“, sagt Renate Lepach. Vor 20 Jahren haben engagierte Frauen beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen. Eine Studie der Evangelischen Hochschule Freiburg hatte ergeben, dass 30 Prozent aller Obdachlosen Frauen sind. Das Diakonische Werk Freiburg öffnete daraufhin die Beratungsstelle für wohnungslose Frauen „Freiraum“ mit Aufnahmehaus und begleitetem Wohnen, die Freiburger Frauen gründeten flankierend den Förderverein OFF. Die Zusammenarbeit ist bis heute fruchtbar: Wenn eine wohnungslose Frau Hilfe sucht, wird sie immer auch zu „Freiraum“ in die Beratung gelotst. Dort klären Sozialarbeiterinnen deren Situation ab und versuchen, ihr Wohnraum zu vermitteln.
„Allerdings ist unser Name ,Obdach für Frauen‘ fast schon ein Fluch“, meint die Vorsitzende. Denn wenn auch anfangs der Schwerpunkt ihrer Arbeit darin bestand, für Frauen Wohnungen zu suchen, ist das heute kaum noch möglich. Die Wohnungsnot in Freiburg trifft die Menschen am Rande der Gesellschaft umso härter. „Es ist uns immer weniger gelungen, die Wohnungslosigkeit zu beheben“, bedauert die 77-Jährige. Doch inzwischen ist der Name zur Marke geworden, das Ziel immer noch das gleiche: Frauen zu helfen, von der Straße in eine Wohnung zu kommen. „Wir bieten Mietgarantien, Bürgschaften, strecken Kautionen oder Provisionen vor, fangen Schulden auf und vergeben zinslose Kleinkredite“, beschreibt Renate Lepach ihre Tätigkeit.
Mittel zum Zweck: Frauen helfen
Finanziert wird das alles ausschließlich durch Spenden, Mitgliedsbeiträge – und den Gewinn aus der „Boutique Le Sac“. Durch sie ist der Verein in Freiburg richtig bekannt geworden. Beim Marketing sind die Vereinsfrauen erfinderisch: Einmal im Jahr findet eine große Modenschau mit gespendeter Kleidung statt. Die Halle ist mit 200 Besucherinnen regelmäßig ausverkauft. Bei Banken, Sparkassen und Freiburger Unternehmen geht der Vorstand außerdem Klinken putzen. Spender werden immer wieder informiert und angeschrieben.
„Wir sind eine kleine Geldbeschaffungsorganisation“, sagt Renate Lepach lächelnd. „Unsere Stärke ist, dass wir unbürokratisch und schnell auf Notlagen reagieren können.“ Da war zum Beispiel die Frau mit drei Kindern. Ihr Mann musste ins Gefängnis, sein kleiner Handwerksbetrieb, in dem die Frau mitgearbeitet hatte, machte dicht – und sie stand vor dem Nichts. Kein Geld mehr für Strom und Miete. „Es war klar, dass sie irgendwann vom Jobcenter Geld bekommen würde – doch bis dahin hätte sie ihre Wohnung verloren“, so Lepach. Der Verein streckte die Miete vor, zahlte die Stromrechnung und vereinbarte mit ihr ein Überbrückungsgeld. In einem Kreditvertrag wurde geregelt, wie sie das zinslose Darlehen in kleinen Raten zurückzahlen kann.
Auch andere existenzielle Nöte fängt der Verein auf. Ein Führerschein wird auf Kredit finanziert, wenn frau diesen für eine neue Arbeitsstelle braucht, ebenso manche Weiterbildung. Örtliche Organisationen werden in der Arbeit für Frauen in Not finanziell unterstützt. Und das Waschmaschinen-Projekt war der Renner, berichtet Veronika Lehmann. Bei einem Händler wurde Geld hinterlegt. Bedürftige Frauen konnten sich dann für einen Fixbetrag eine Waschmaschine aussuchen. Ein Prinzip: „Wir zahlen immer direkt an die Unternehmen.“
Altersarmut ist ein Problem
Was die Frauen sehr umtreibt, ist die Altersarmut: „Da ist eine Frau, die hat ein Leben lang geputzt, Kinder großgezogen, kriegt eine Kleinstrente. Und dann fallen ihr die Zähne aus oder die Brille runter, und niemand kommt dafür auf“, bringt es die Vorsitzende auf den Punkt. Oder: Eine ältere Frau muss ins Heim, hat aber kein Geld für den Umzug. Dann beauftragt und bezahlt OFF den Verein „Brotzeit“, ein Transportunternehmen, das Entrümpelungen und Umzüge anbietet und auch mal eine Küche aufbaut.
Bei all ihrem Engagement: Den Button „Mildtätigkeit“ heften sie sich ungern an. Ihr Credo: „Frauen, wir tun uns zusammen und machen was!“, so Renate Lepach. „Unser Schwerpunkt ist wirklich: Wir helfen schnell und unbürokratisch.“