Oberstes Ziel ist, die Daseinsvorsorge zu sichern
In der Pandemie waren die Klinikteams teilweise über die Belastungsgrenze hinaus gefordert. Gleichzeitig mussten planbare medizinische Behandlungen immer wieder aufgeschoben werden, was den Patient:innen viel Geduld abverlangte. Mit dem Abklingen der Pandemie erreichten die Folgen des Ukraine-Krieges auch die Kliniken. Steigende Kosten für Energie, Waren und Dienstleistungen stellen die Häuser vor große Herausforderungen. Zwar gibt es für die Energiekosten einen gesetzlichen Deckel, doch werden die Kostensteigerungen durch die Inflation bislang nicht adäquat ausgeglichen. An die Patient:innen können sie auch nicht weitergegeben werden. Viele Krankenhäuser drohen somit in diesem Jahr in wirtschaftliche Schieflage zu rutschen.
Ende Dezember 2022 hat die "Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung" von Gesundheitsminister Karl Lauterbach ihre Empfehlungen für eine grundlegende Reform der Klinikvergütung vorgelegt. Das Finanzierungssystem weiterzuentwickeln ist überfällig, doch das Kommissionskonzept geht deutlich darüber hinaus. So sollen bundeseinheitliche Vorgaben für Versorgungsstufen ("Level") und für Leistungsgruppen kommen. Die Level entscheiden über den Fortbestand eines Krankenhauses und darüber, welche Leistungen es künftig erbringen darf.
Kliniken des Levels 3 wären laut Konzept Uniklinika und Maximalversorger, dem Level 2 würden Kliniken der Regel- und Schwerpunktversorgung zugewiesen. Für die Grundversorgung ist Level 1 mit zwei Typen vorgesehen: "Level 1n" für Krankenhäuser, die an der Notfallversorgung mitwirken, und "Level 1i" für Einrichtungen, die eine integrierte ambulant-stationäre Versorgung anbieten.
Was würde die Umsetzung des Kommissionskonzepts für die Versorgungsangebote und für die Patient:innen bedeuten? Eine Auswirkungsanalyse der Deutschen Krankenhausgesellschaft zeigt, dass 57 Prozent der Klinikstandorte in Deutschland zu lokalen Gesundheitszentren heruntergestuft würden. Maßgeblich dafür ist ein Kriterium, laut dem Level 1n nur zuerkannt wird, wenn mindestens 30 Minuten Fahrzeit zum nächsten Haus mit Level 2 oder 3 besteht. Im Level 1i dürften sie faktisch keine Krankenhausleistung mehr erbringen. Bei den freigemeinnützigen Häusern wären dies sogar knapp 70 Prozent der Standorte.
Verwerfungen in der Versorgung befürchtet
Das Kommissionskonzept legt außerdem fest, welche Leistungen in den Leveln angeboten werden dürfen. Laut Analyse würde damit mehr als die Hälfte der bisherigen Geburtshilfe-Plätze wegfallen. Auch die bundesweit geburtenstärkste Einzelklinik, das katholische St. Joseph Krankenhaus in Berlin, müsste die Geburtshilfe schließen. Das zeigt: Der Kommission sind Strukturvorgaben also wichtiger als die medizinische Expertise eines Hauses.
Die vorgeschlagenen bundeseinheitlichen Level werden zu großen Verwerfungen in der Krankenhausversorgung führen. Zudem ist das Strukturmodell nicht von den Patient:innen und ihrem Versorgungsbedarf her gedacht. Nicht nur in der Geburtshilfe, sondern auch bei der Urologie oder der im Notfall zeitkritischen Herzkatheter-Untersuchung müsste sich rund die Hälfte der Patient:innen einen neuen, wohl weiter entfernten Versorger suchen. Daher lehnt der Katholische Krankenhausverband Deutschlands (kkvd) die Einführung solcher Level ab.
Anders ist es mit den Leistungsgruppen. Sie bilden medizinische Fachgebiete ab, beispielsweise die Chirurgie, die Innere Medizin oder die Intensivmedizin. Hier Schwerpunkte zu bilden dient der bedarfsgerechten Versorgung und damit direkt den Patient:innen.
NRW stellt auf Leistungsgruppen-Modell um
Nordrhein-Westfalen stellt seine Krankenhausplanung aktuell auf ein Leistungsgruppen-Modell um. Knapp die Hälfte aller katholischen Krankenhäuser liegen in diesem Bundesland und haben daher erste Erfahrungen mit dieser Systematik. Auch hier ist nicht alles optimal, es besteht Anpassungsbedarf und erst in ein paar Monaten wird klar sein, wer welche Leistungen erbringen wird. Doch die Landesregierung hat einen anderen Weg gewählt als Bundesgesundheitsminister Lauterbach. Bei der Ausarbeitung der neuen Planung wurden in Nordrhein-Westfalen alle betroffenen Akteure mit an den Tisch geholt.
Minister Lauterbach rühmt sich damit, die Verbände von Krankenkassen und Krankenhäusern nicht aktiv in den Prozess einzubinden. Sie werden angehört, dürfen aber nicht mitberaten. Gleichzeitig sind die Empfehlungen der Regierungskommission sehr stark aus dem Blickwinkel der Universitätsmedizin formuliert, da der Großteil der Kommissionsmitglieder aus dem universitären Kontext kommt. Die Expertise der flächendeckenden Basisversorgung ist nicht vertreten. So bleiben viele drängende Fragen zur regionalen Daseinsvorsorge unbeantwortet.
Die Länder wurden nicht eingebunden
Auch die Bundesländer wurden beim Kommissionskonzept nicht eingebunden. Und dies, obwohl die Krankenhausplanung in ihrer Hoheit liegt, während der Bund nur für Finanzierungsfragen zuständig ist. Die Länder haben die Planungshoheit, da Bedarf und Versorgungssituationen regional sehr unterschiedlich sind. So gibt es beispielsweise in Niedersachsen weniger große Klinikstandorte als im Bundesschnitt, so dass eine Zentralisierung an Großstandorten einen enormen Strukturumbau erfordern würde. In den östlichen Bundesländern, wo es nach der Wende umfassende Strukturveränderungen gab, ist die Kliniklandschaft vielerorts so ausgedünnt, dass jede weitere Schließung die Versorgungssicherheit der Menschen stark gefährden würde.
Folgerichtig haben die Länder darauf bestanden, bei der Ausformulierung des Reformgesetzes eng eingebunden zu werden. Gleichzeitig haben sie wesentliche Elemente des Kommissionskonzepts infrage gestellt. Bei einem ersten Bund-Länder-Treffen Ende Februar wurde nun vereinbart, insbesondere bei den Leveln Öffnungsklauseln und Ausnahmen einzuplanen. Bis zum Sommer werden Bund und Länder Eckpunkte für ein Reformgesetz erarbeiten und im Herbst soll das parlamentarische Verfahren beginnen.
Zentraler Ansatzpunkt der Reform muss letztlich die Krankenhausvergütung sein. Das vor 20 Jahren eingeführte DRG-System hat die Kliniken sprichwörtlich ins Hamsterrad gesetzt. Da pro Patient:in unabhängig vom tatsächlichen Versorgungsaufwand nur ein diagnosebezogener Pauschalbetrag vergütet wird, gingen manche Krankenhäuser dazu über, beim Personal zu sparen und einseitig auf hohe Fallzahlen zu setzen. Die Ausgliederung der Pflegekosten aus dem DRG-System war ein erster Schritt, diesen Fehlanreizen entgegenzuwirken. Zusätzlich angetrieben wird der Hamsterradeffekt dadurch, dass die Länder ihrer Pflicht zur Investitionsförderung nur unzureichend nachkommen. Allein der bestandserhaltende Investitionsbedarf der Kliniken belief sich im Jahr 2021 auf rund 6,7 Milliarden Euro. Die Länder finanzieren davon aber nur die Hälfte.
Vier Säulen einer praxistauglichen Reform
Eine versorgungsorientierte und praxistaugliche Krankenhausreform muss daher auf vier Säulen gründen:
Zum Ersten ist das DRG-System um die Erstattung von Vorhaltepauschalen zu ergänzen. Insbesondere Notaufnahmen und Kinderkliniken sind nicht wirtschaftlich zu betreiben, aber sie sind ganz wichtig für die Versorgung der Menschen. Das Gleiche gilt für wohnortnahe Krankenhäuser der Basisversorgung in dünn besiedelten Regionen. Diesen Gedanken hat die Kommission bereits aufgegriffen, sie berücksichtigt jedoch nicht, dass die Kliniken, bis diese neue Finanzierung greift, sofort auf finanzielle Hilfen angewiesen sind. Angesichts der Inflationskosten drohen sie sonst vorzeitig dem kalten Strukturwandel zum Opfer zu fallen.
Zweitens muss unsere Krankenhausstruktur resilient bleiben. Unwetter, Cyberattacken oder die Pandemie haben gezeigt, dass immer wieder ganze Klinikstandorte plötzlich ausfallen können. Nur wenn es dann genügend dezentrale Ressourcen gibt, die einspringen können, ist die Versorgung der Menschen gesichert.
Zum Dritten sind gezielte Förderprogramme notwendig, um den Krankenhäusern zu ermöglichen, die Digitalisierung voranzutreiben und wirksame Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Angesichts ihrer ohnehin angespannten finanziellen Lage und der unzureichenden Investitionsförderung können sie das nicht allein stemmen. Bund und Länder müssen die reformbedingte Transformation der Kliniklandschaft mit ausreichend Finanzmitteln unterlegen und zudem im Blick haben, dass die Kliniken aufgrund von Demografie und Praxissterben bei Haus- und Fachärzten künftig auch mehr bei ambulanten Leistungen gefordert sind.
Und viertens ist die Definition von Leistungsgruppen ein geeignetes Mittel, um den regionalen Versorgungsbedarf zielgenau zu erheben und zu planen. Sie dürfen sich aber nicht aus abstrakten Bezugsgrößen ableiten, sondern müssen medizinisch-pflegerisch stimmig sein. Für die Kliniken ist wichtig, dass die Kombination der Leistungsgruppen ein sinnvolles medizinisches Leistungskonzept an den einzelnen Klinikstandorten ermöglicht. Nur so kann die Krankenhausorganisation auch zukünftig wirtschaftlich tragfähig geführt werden.
Über allem steht das Ziel, die regionale Daseinsvorsorge flächendeckend zu sichern und die Bedarfe der Patient:innen passend zu decken. Dafür machen sich die katholischen Krankenhäuser in der weiteren Reformdebatte stark.
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