Wer Angehörige pflegt, darf kein erhöhtes Risiko von Altersarmut haben
Häufig erfüllt die Rente ihre Funktion als Ersatz für Erwerbseinkommen, und die Abhängigkeit von Transferleistungen im Alter lässt sich so vermeiden. Dennoch ist in den letzten Jahren der Anteil der Menschen gestiegen, die im Alter Grundsicherungsleistungen beziehen. In den meisten Fällen haben die Versicherungsbiografien hier deutliche Lücken, die rentensenkend wirken, besonders wenn sie kumuliert auftreten, zum Beispiel durch längere Phasen der Arbeitslosigkeit, der Selbstständigkeit sowie durch familienbedingte Erwerbsreduzierung. Von Altersarmut betroffene Personen weisen durchschnittlich gerade einmal 15 Beitragsjahre in sozialversicherungspflichtiger Voll- oder Teilzeitbeschäftigung auf.1 Brettschneider und Klammer identifizieren als ein Altersarmutsrisiko die "Familienorientierung" von Frauen.2 In diesem Beitrag werden speziell die Lücken im Lebenslauf betrachtet, die durch die Pflege von Angehörigen entstehen.
2015 wurden 2,08 Millionen Pflegebedürftige zu Hause versorgt, davon 1,38 Millionen durch Angehörige ohne Hinzuziehung eines ambulanten Pflegedienstes.3 Eine Vielzahl von Studien belegen, dass die Pflege eines Angehörigen negative Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit haben kann. Insbesondere bei längerer und umfangreicher Pflegetätigkeit besteht ein hohes Risiko, dass wegen der Doppelbelastung die Arbeitszeit reduziert oder der Job ganz aufgegeben wird.4 Belegt ist auch, dass insbesondere Frauen mit schlechteren Arbeitsmarktchancen die Pflege selbst übernehmen, während Angehörige mit hohem Einkommen und beruflichem Status die Hauptpflegeverantwortung an professionelle Pflegedienste abgeben.5 Viele ältere pflegende Angehörige schaffen zudem nach der Pflegetätigkeit häufig den Einstieg ins Erwerbsleben nicht mehr, da es in Deutschland für ältere Menschen nach wie vor hohe Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt gibt.6
Pflegende Angehörige sind teilweise pflichtversichert
Durch Pflege entstandene Lücken in der Versicherungsbiografie der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) können teilweise geschlossen werden. Seit 1995 besteht Versicherungspflicht für Pflegende, wenn sie in häuslicher Umgebung mindestens 14 Stunden wöchentlich Angehörige betreuen. Mit dem Pflegestärkungsgesetz II wurden diese rentenrechtlichen Regelungen verändert. Ab dem 1. Januar 2017 sind Personen in der GRV pflichtversichert, wenn sie eine oder mehrere pflegebedürftige Person(en) mit mindestens Pflegegrad 2 nicht erwerbsmäßig wenigstens zehn Stunden wöchentlich in ihrer häuslichen Umgebung pflegen. Neben der Pflege dürfen nicht mehr als 30 Stunden pro Woche regelmäßig gearbeitet werden. Versicherungsfreiheit besteht, wenn die Regelaltersgrenze erreicht ist und eine Vollrente bezogen wird. Etwa 399.000 nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen sind gegenwärtig durch die GRV geschützt.7
Pflegeleistungen werden im Vergleich zu den Kindererziehungszeiten in der GRV in wesentlich geringerem Umfang berücksichtigt. Der Beitrag richtet sich nach dem pflegerischen und zeitlichen Umfang. Der Rentenanspruch, der aus Pflegearbeit erwächst, liegt "je nach Pflegegrad, Pflegeleistung und Region zwischen 5,18 Euro und 27,43 Euro pro Monat".8 Die Forschung zeigt, dass Beiträge aus der Pflegeversicherung für Geringverdienende eventuelle Einkommensausfälle kompensieren und Teilzeitbeschäftigte, die zusätzlich pflegen, sogar ",echte Gewinne‘ aus der gleichzeitigen Pflege- und Erwerbsarbeit"9 ableiten können.
Vereinbarkeit von Pflege und Beruf verbessern
Angesicht der hohen gesellschaftlichen Bedeutung der informellen Sorgearbeit ist zu überlegen, wie im Rentenrecht erreicht werden kann, dass Pflegezeiten besser honoriert werden. Analog zur Regelung bei der Anrechnung von Kindererziehungszeiten könnten Ansprüche zur sozialen Absicherung in der Rente auch bei vollzeitnaher oder Vollzeiterwerbstätigkeit der Personen, die nahe Angehörige pflegen, entstehen. Wichtig wäre es, dass auch Pflegende von Personen mit Pflegegrad 1 regelhaft in die soziale Sicherung einbezogen werden. Zu überdenken sind die Abschläge bei der Beitragsbemessung für die Rentenversicherung, die bei gleichzeitiger Inanspruchnahme von Pflegegeld und Pflegesachleistungen (in Höhe von 15 Prozent) beziehungsweise bei der Inanspruchnahme der reinen Pflegesachleistung (in Höhe von 30 Prozent) entstehen. Familiäre Pflege, die parallel zur Altersvollrente erbracht wird, sollte sich zukünftig auch bei Vollrente rentenanwartschaftssteigernd auswirken. Bisher ist die Weiterversicherung in der Rentenversicherung nur möglich, wenn die Vollrente auf eine Teilrente von 99 Prozent reduziert wird. Damit die bestehende Regelung besser genutzt wird, wäre zudem jetzt schon eine bessere Beratung erforderlich.10
Pflegezeiten besser zu honorieren kann dazu beitragen, Altersarmutsrisiken zu vermindern. Ergänzende arbeitsmarktpolitische Anstrengungen bleiben aber wichtig, damit insbesondere Frauen familiäre Pflege und Beruf besser vereinbaren können und nach der Sorgephase den Wiedereinstieg in den Beruf schaffen.
Anmerkungen
1. Brettschneider, A.; Klammer, U., zitiert aus Loose, B.: Aktuelle Befunde zur "Altersarmut" aus der Forschungsförderung des Forschungsnetzwerk Alterssicherung der Deutschen Rentenversicherung Bund. In: RVaktuell 2/2017, S. 45.
2. Brettschneider, A.; Klammer, U.: Lebenswege in die Altersarmut. Berlin, 2016, S. 145 ff.
3. Statistisches Bundesamt: Pflegestatistik 2015. Wiesbaden, 2017, S. 5.
4. Keck, W.: Was kommt nach der Pflege? In: Sozialer Fortschritt 5/2016, S. 112 ff.
5. Ebenda, S. 117. Hierzu auch Rothgang, H.; Unger, R.: Auswirkung einer informellen Pflegetätigkeit auf das Alterssicherungsniveau von Frauen. In: FNA Journal Heft 4/2013, S. 36.
6. Keck, W., S. 113.
7. Zahl aus https://bit.ly/2KSrLX2, S. 4 (Abruf: Mai 2018). Gute Übersicht zu den Detailregelungen.
8. Zahlen Deutsche Rentenversicherung, zitiert aus Klammer, U.: Alterssicherung von Frauen revisited. In: Sozialer Fortschritt Heft 66/2017, S. 369.
9. Czaplicki, C.: Pflege zahlt sich aus. In: Sozialer Fortschritt 3/2016, S. 111.
10. Klammer, U., 2017, S. 370.
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