Diskriminierung – (k)ein Thema für die Caritas?
Bei uns wird niemand diskriminiert! Wir behandeln Frauen und Männer gleich und gerecht!" Davon sind viele Personalverantwortliche, Führungskräfte und Beschäftigte in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst überzeugt. Möglicherweise auch bei der Caritas. Andere Personalverantwortliche und Führungskräfte sind davon jedoch weniger überzeugt. Und manche Beschäftigte fühlen sich benachteiligt beim beruflichen Aufstieg, bei der Vergütung oder bei der Gestaltung der Arbeitszeit, sei es aufgrund des Geschlechts oder anderer Diskriminierungsmerkmale des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG, s. Kasten rechts). Möglicherweise auch bei der Caritas.
Doch was stimmt? Wie kann festgestellt werden, ob Diskriminierung vorliegt? Und was bedeutet Diskriminierung oder Benachteiligung eigentlich konkret? Denn das Vertrauen in neutrale Regelungen, die nicht nach Geschlecht unterscheiden, wie die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR), ist leider trügerisch. Auch sie können Diskriminierungspotenzial enthalten, wie bereits die juristischen Definitionen im folgenden Abschnitt zeigen.
Was bedeutet Diskriminierung?
Unter Diskriminierung wird im deutschen Sprachraum zumeist die Herab- oder Zurücksetzung, Verunglimpfung und Benachteiligung einzelner Personen oder sozialer Gruppen aufgrund bestimmter Merkmale (Diskriminierungsmerkmale) verstanden. Da das Wort Diskriminierung in der Sprache mancher Wissenschaften oder Fachgebiete aber auch neutral als "Differenzierung" oder "Unterscheidung" genutzt wird, verwendet das AGG den Begriff "Benachteiligung", um deutlich zu machen, dass nicht jede Ungleichbehandlung eine unzulässige Diskriminierung darstellen muss. Der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes beinhaltet ohnehin, dass Gleiches gleich, Ungleiches aber ungleich behandelt werden muss.
Darüber hinaus erlaubt auch das AGG in engen Grenzen eine unterschiedliche Behandlung im Arbeitsleben. So sieht beispielsweise § 9 AGG vor, dass bei der Beschäftigung "durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen" (§ 9 Abs. 1 AGG), Beschäftigte wegen der Religion unterschiedlich behandelt werden dürfen. Außerdem dürfen diese Arbeitgeber "von ihren Beschäftigten ein loyales und
aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen" (§ 9 Abs. 2 AGG). Insofern wäre es kein Verstoß gegen das AGG und keine unzulässige Diskriminierung, wenn die Caritas Bewerber(innen) oder Beschäftigte wegen ihrer Religion unterschiedlich behandelt, falls die Religion bei der jeweiligen Tätigkeit "eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte Anforderung angesichts des Ethos der Organisation" darstellt - so der Europäische Gerichtshof in einem aktuellen Urteil vom 17. April 2018.
Die Ausnahmen des § 9 AGG beziehen sich allerdings nur auf die Religionszugehörigkeit. Alle anderen Benachteiligungsverbote sind auch durch die Caritas zu beachten. Dabei unterscheidet das AGG (gleichlautend mit europäischem Recht) zwei mögliche Formen der Benachteiligung:
1. Unmittelbare Benachteiligung
Sie "liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde" (§ 3 Abs. 1 AGG). Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn eine Bewerberin nur deshalb nicht eingestellt oder befördert wird, weil sie eine Frau ist und ihr deshalb Erfolg auf der Position nicht zugetraut wird. Oder dann, wenn eine Frau eine Weiterbildungsmaßnahme nicht genehmigt bekommt, weil unterstellt wird, dass sie bald eine familiäre Auszeit nehmen wird. Im Bereich der Vergütung würde man von unmittelbarer Benachteiligung sprechen, wenn eine Frau als Nachfolgerin eine geringere Vergütung erhält als ihr (männlicher) Vorgänger, bei ansonsten gleichbleibenden Aufgaben.
2. Mittelbare Benachteiligung
Eine mittelbare Benachteiligung ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen, denn sie "liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich" (§ 3 Abs. 2 AGG). Eine mittelbare Benachteiligung läge beispielsweise vor, wenn eine Vorschrift bestimmte Beschäftigtengruppen von der Zahlung des Weihnachtsgeldes oder der Jubiläumszuwendung ausnimmt und diese Beschäftigtengruppen überwiegend weiblich (oder männlich) sind. Können bestimmte Weiterbildungsangebote nur von Vollzeitbeschäftigten wahrgenommen werden, liegt ebenfalls eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn und solange Teilzeitarbeit überwiegend von Frauen ausgeübt wird. Mittelbar benachteiligend ist es auch, wenn Anforderungen und Belastungen, die an überwiegend von Angehörigen eines Geschlechts besetzten Arbeitsplätzen auftreten, bei der Vergütung nicht berücksichtigt werden.
Wie kann festgestellt werden, ob benachteiligt wird?
Wenn geprüft werden soll, ob in einem Unternehmen oder einem Verband wie der Caritas unbeabsichtigt Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts entstanden sind oder entstehen können, stehen zwei Prüfinstrumentarien zur Verfügung, die hierauf sowohl klare Antworten als auch konkrete Hinweise für Veränderungen geben. Es handelt sich um das Instrumentarium eg-check.de zur Prüfung der Entgeltgleichheit und das Instrumentarium gb-check zur Prüfung der Gleichbehandlung von Frauen und Männern im Arbeitsleben. Mit diesen Instrumentarien kann für verschiedene Entgeltbestandteile und Erwerbsbedingungen überprüft werden, ob die geltenden Regelungen und die Praxis ihrer Anwendung Diskriminierungsfreiheit gewährleisten oder ob und, wenn ja, wo gleichstellungspolitischer Handlungsbedarf besteht. Hierfür halten die beiden Instrumentarien unterschiedliche Arten von Instrumenten bereit: Vorlagen für Statistiken, Regelungschecks beziehungsweise Verfahrensanalysen zur Prüfung der Regelungen und Verfahren sowie Paarvergleiche für individuelle Prüfungen. Die Werkzeuge stehen kostenfrei zum Download im Internet unter: www.eg-check.de oder www.gb-check.de. Die Internetseite und auch die Anwendung der Instrumentarien werden von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gefördert. Die Tabelle unten zeigt, welche Entgeltbestandteile und Prüfbereiche von den beiden Instrumentarien abgedeckt werden.
Warum die Diskriminierungsfreiheit überprüfen?
Ein Dienstgeber der Caritas hat durch eine Überprüfung zunächst einmal Sicherheit darüber gewonnen, ob Regelungen zu verschiedenen personalpolitischen Bereichen und die Praxis ihrer Anwendung frei von Diskriminierungen sind. Bei einem entsprechenden Prüfergebnis beruht die Aussage "Bei uns wird niemand diskriminiert!" nicht mehr auf Überzeugungen und Vermutungen, sondern auf Prüfergebnissen. Gleichzeitig macht die Prüfung transparent, wo das Unternehmen beziehungsweise der Verband in Fragen der Gleichstellung von Frauen und Männern steht. Beides zusammen - Sicherheit und Transparenz - macht Handlungsfelder sichtbar und ermöglicht konkrete und zielgerichtete Maßnahmen, um die Gleichstellung der Geschlechter zu verbessern.
Darüber hinaus motiviert es weibliche wie männliche Beschäftigte und steigert ihre Zufriedenheit, wenn sie feststellen, dass ihr Arbeitgeber die Gleichstellung von Frau und Mann am Arbeitsplatz als personalpolitisches Ziel formuliert und entsprechende Maßnahmen ergriffen hat. Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsplatz, zu der im Übrigen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als ein Teil gehört, steigert die Attraktivität eines Arbeitgebers nach innen, aber auch am Arbeitsmarkt. Und dies ist angesichts der Knappheit am Arbeitsmarkt für immer mehr Berufe und Qualifikationen ein zunehmend wichtiger Faktor bei der Bindung und Gewinnung von qualifizierten und motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
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