„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 17. April 2018 zu der Frage Stellung genommen, ob und inwieweit Religionsgemeinschaften bei der Personalauswahl darauf bestehen dürfen, dass Stellenbewerber(innen) Mitglieder ihrer Religionsgemeinschaft sind (siehe neue caritas Heft 8/2018, S. 5). Nach dem vorhergehenden Votum des Generalanwalts kam für die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände das Urteil nicht völlig überraschend.
Positiv ist, dass in diesem Urteil das kirchliche Selbstbestimmungsrecht grundsätzlich bestätigt wird. Caritative Träger haben also weiterhin das Recht, festzulegen, ob die Konfessionszugehörigkeit einer Bewerberin oder eines Bewerbers eine berufliche Anforderung für eine bestimmte Stelle darstellt. Nicht nur für die christlichen Kirchen, sondern für alle Religionsgemeinschaften muss es möglich sein, sich im Rahmen der allgemeinen Gesetze nach ihren eigenen Werten zu organisieren. Dazu gehört auch, eigenständig entscheiden zu können, welche beruflichen Tätigkeiten religionsbezogene Anforderungen stellen. Allerdings kann dies nach dem Urteil des EuGH künftig von weltlichen Gerichten überprüft werden. Unabhängig von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs werden Einrichtungen und Dienste der Caritas weiterhin ihre Identität als kirchliche Einrichtung gestalten. Entscheidend für den Deutschen Caritasverband ist, dass der kirchliche Charakter und die christlichen Werte der Einrichtungen und Dienste erkennbar bleiben.
Es dürfte überaus spannend werden zu verfolgen, ob jeweils die kirchlichen Arbeitgeber und die staatlichen Richter hier immer zu derselben Auffassung gelangen. Konkrete Folgerungen aus dem EuGH-Urteil sind also erst möglich, wenn es erste Rechtsprechungen - wie etwa durch das Bundesarbeitsgericht - gibt und wenn die Bischöfe sich zum Urteil positioniert haben.
Derweil müssen die Personalbeauftragten in den Diensten und Einrichtungen der Caritas einen Modus finden, wie sie die neuen Anforderungen konkret in ihrer Personalarbeit anwenden können. Was Gretchen dereinst von Faust mit der Frage "Wie hast du’s mit der Religion?" unverblümt wissen wollte, erfordert künftig in den Bewerbungsverfahren eine zurückhaltende Herangehensweise. Diese soll hier mit einigen Überlegungen und Empfehlungen unterstützt werden.
Passgerechte Stellenausschreibungen
Kirchliche Einrichtungen können von ihren Stellenbewerbern künftig nicht mehr pauschal eine bestimmte Religionszugehörigkeit verlangen. Man wird in Zukunft bei jeder Stellenausschreibung genau prüfen müssen, ob im konkreten Fall - abhängig von der Art der Tätigkeit und den Umständen ihrer Ausübung - die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft verlangt werden kann.
a) Der EuGH verlangt einen objektiv überprüfbaren direkten Zusammenhang zwischen der Religionszugehörigkeit und der fraglichen Tätigkeit. Ein solcher Zusammenhang kann sich entweder aus der Art der Tätigkeit ergeben, wenn sie beispielsweise mit der Mitwirkung an der Bestimmung des Ethos der Kirche oder einem Beitrag zu deren Verkündigungsauftrag verbunden ist. Darunter fallen alle Aufgaben der Verkündigung, aber auch alle inhaltlich-programmatischen Tätigkeiten, die eine Verankerung des Stellenbewerbers im christlichen Glaubens- und Wertefundament voraussetzen und das christliche Profil der Einrichtung prägend mitgestalten. Ein solcher Zusammenhang kann sich nach dem EuGH auch aus den Umständen ihrer Ausübung ergeben, so aus der Notwendigkeit, für eine glaubwürdige Vertretung der Kirche nach außen zu sorgen. Darunter fallen insbesondere Leitungspositionen in der Kirche. Leitende Mitarbeitende vertreten und verkörpern die Kirche nach außen und tragen in besonderer Weise für das Ansehen und Glaubwürdigkeit der Kirche Verantwortung.
b) Bisher regelt die kirchliche Grundordnung (Art. 3 Abs. 2 GrO), dass "pastorale und katechetische sowie in der Regel erzieherische und leitende Aufgaben nur einer Person übertragen werden können, die der katholischen Kirche angehört". Für alle anderen Berufe - somit für die überwältigende Mehrzahl der Beschäftigungsverhältnisse im kirchlichen Dienst - war die Katholizität in der Grundordnung nicht explizit gefordert. In der Praxis wurden oftmals alle Bewerber systematisch nach ihrer Religionszugehörigkeit gefragt. Künftig darf die Religionszugehörigkeit nicht routinemäßig und systematisch bei allen Stellenausschreibungen abgefragt werden. Bei Tätigkeiten, bei denen sich kein objektiv überprüfbarer direkter Zusammenhang zwischen der Religionszugehörigkeit und der fraglichen Tätigkeit begründen und/oder vor einem staatlichen Gericht rechtfertigen lässt, kann bereits die Frage nach der Religionszugehörigkeit als ein Indiz für eine unzulässige Benachteiligung aufgrund der Religion gedeutet werden.
c) Wir gehen derzeit davon aus, dass bei den oben genannten Berufen des Art. 3 Abs. 2 GrO grundsätzlich weiterhin nach der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche gefragt werden darf und katholische Bewerber bei entsprechender Eignung Vorrang genießen. Völlig unproblematisch dürfte das Erfordernis der Religionszugehörigkeit allerdings nur bei pastoralen und katechetischen Berufen sein. Erzieherische Tätigkeiten in katholischen Kitas und Schulen tragen nach kirchlichem Selbstverständnis in der Regel auch zur Verkündigung bei. In diesen Einrichtungen werden religiöse Rituale (Gottesdienste, Gebete, Andachten), Symbole und Hochfeste tradiert, gelebt und gefeiert. Sie sind kindgerechte Orte des Glaubens und der christlichen Wertevermittlung. Mit dieser Begründung wird man deshalb auch in Zukunft in der Regel die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche als Anforderung für den Beruf verlangen können. Allerdings wurden in der Vergangenheit in Einzelfällen Christen anderer Konfessionen oder nichtchristliche Mitarbeitende in einer katholischen Einrichtung der Elementarerziehung oder Bildung beschäftigt. Dies war der Fall, wenn keine geeigneten katholischen Bewerber gefunden werden konnten oder wenn ein großer Bedarf an Integrationsförderung von Migrantenkindern erkennbar war. Es wird abzuwarten sein, ob die staatlichen Arbeitsgerichte bei erzieherischen Berufen eine generelle Zugehörigkeit zur katholischen Kirche als notwendige berufliche Anforderung akzeptieren oder ob sie hier weitere Differenzierungen vornehmen werden. Bei leitenden Tätigkeiten wird die Religionszugehörigkeit dann als Einstellungsvoraussetzung anzuerkennen sein, wenn die exponierte berufliche Stellung in der Außenwahrnehmung besonders eng mit der Kirche und ihrem Auftrag identifiziert wird. Das ist insbesondere anzunehmen, wenn leitende Mitarbeitende inhaltlich-programmatisch im Sinne einer religiösen Profilierung der Einrichtung den Sendungsauftrag der Kirche mitgestalten und wenn sie in der Außenwahrnehmung mit der Kirche als Institution gewissermaßen gleichgesetzt werden.
Keine "Gretchenfrage"
Bei allen Berufsgruppen, die nicht in Art. 3 Abs. 2 GrO aufgezählt sind, ist zur Vermeidung von etwaigen AGG-Klagen bis auf Weiteres zu empfehlen, auf die Einstellungsvoraussetzung "Religionszugehörigkeit" sowohl im Anforderungsprofil der Stellenausschreibung als auch in den Bewerbungsgesprächen zu verzichten. Stattdessen sollte von allen Stellenbewerbern im Stellenprofil die "Identifikation mit den Aufgaben, Zielen und Werten der katholischen Einrichtung" verlangt werden. Diese Vorgabe gilt auch für Zweifelsfälle, bei denen sich der kirchliche Arbeitgeber nicht sicher sein kann, ob staatliche Gerichte die Religionszugehörigkeit als objektiv notwendige Voraussetzung für die Tätigkeit anerkennen werden.
Werte und Ziele der Kirche teilen
Das bedeutet keinesfalls, dass die Personalauswahl künftig "religionsblind" zu erfolgen hat. Die christliche Prägung der Arbeit hängt ganz maßgeblich an den Personen, die ihren Glauben und ihre Haltung in das Wirken der Einrichtung und Unternehmen von Kirche und ihrer Caritas einbringen. Aufgaben im kirchlichen Dienst können nur von Mitarbeitenden wahrgenommen werden, die die zentralen Glaubensüberzeugungen, Werte und Ziele der Kirche teilen und sie in ihrem beruflichen Handeln zu eigen machen. Diese Anforderung sollte in den Anforderungsprofilen aber nicht mehr durch die formale Voraussetzung der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft, sondern durch das Erfordernis der Identifikation mit den christlichen Aufgaben, Zielen und Werten der Einrichtungen zum Ausdruck gebracht werden. Diese Formulierung ist etwas offener gehalten und schließt nichtkatholische Stellenbewerber nicht prinzipiell aus.
Spezifischere Fragen stellen
Um festzustellen, ob der Stellenbewerber sich mit den Aufgaben, Werten und Zielen der katholischen Einrichtung identifiziert, wird man sich in Bewerbungsgesprächen etwas anders verhalten müssen als in der Vergangenheit. Wurde die christliche Sozialisation und die Verbundenheit des Bewerbers mit der Kirche früher oft durch die bloße Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu der Religionsgemeinschaft ermittelt, wird man in Zukunft die "Zugehörigkeitsfrage" bei den meisten Stellen in der Caritas nicht mehr stellen dürfen. Stattdessen kann der Grad der Identifikation mit den Aufgaben, Zielen und Werten der katholischen Einrichtung durch eine Vielzahl anderer Fragen ermittelt werden. Zulässig wären zum Beispiel folgende Fragen: Was verbinden Sie mit christlichen Werten? Wie kommt die Identifikation mit diesen Werten in Ihrem Alltag zum Ausdruck? Welche spezifischen Erwartungen haben sie an einen kirchlichen Arbeitgeber? Welche positiven beziehungsweise negativen Assoziationen verbinden Sie mit der katholischen Kirche? Wenn die Bewerber(innen) von sich aus ihre Kirchenzugehörigkeit mitteilen, ist das arbeitsrechtlich unschädlich. Regelmäßig unzulässig ist lediglich die Frage nach der Religionszugehörigkeit durch den Arbeitgeber und eine etwaige Benachteiligung von Bewerbern aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit.
Das eigene Profil herausstellen
Dienstgeber der Caritas werden sich künftig noch stärker mit dem spezifisch religiösen Profil ihrer Einrichtung auseinandersetzen müssen; sie werden stärker die spezifisch religiöse Dimension der konkreten beruflichen Tätigkeit herausarbeiten müssen, um im Hinblick auf die konkreten Verhaltensanforderungen und -erwartungen an die Stellenbewerber Auskunft geben zu können. Das stellt höhere Anforderungen an die Personalverantwortlichen. Es gilt, diejenigen Bewerber zu finden, die neben der fachlichen Eignung auch eine erkennbar religiöse Sozialisation aufweisen, die aus dem Glauben leben und handeln und deren christliche Prägung in ihrem Alltag zum Ausdruck kommt. Ob ein Bewerber den christlichen Hintergrund der Arbeit anerkennt und bereit ist, den Sendungsauftrag der Kirche durch seine Arbeit zu fördern, kann auch künftig durch entsprechende Fragen ermittelt werden, sofern die Fragen die Motivation für die Mitarbeit im kirchlichen Dienst und die religiöse weltanschauliche Prägung des Stellenbewerbers betreffen und sofern die Anforderungen prinzipiell auch von nichtkatholischen beziehungsweise nichtchristlichen Bewerbern erfüllt werden können. Die formale Kirchenzugehörigkeit wird bei der Auswahlentscheidung jedenfalls erheblich an Bedeutung verlieren.
Frage nach Kirchenaustritt
Die Frage nach einem etwaigen Austritt aus der katholischen Kirche ist weiterhin zulässig. Allerdings wird man diesbezüglich die weitere Rechtsprechungsentwicklung abwarten müssen. Die Frage nach dem
Kirchenaustritt ist keine unzulässige Frage nach der Kirchenzugehörigkeit, sondern dient dazu, eine Mindestidentifikation mit der Kirche sicherzustellen. Der Kirchenaustritt ist eine willentliche und wissentliche Distanzierung von der Kirche. Wer sich so verhält, kann nicht gleichzeitig widerspruchsfrei beteuern, sich mit den Werten und Zielen einer katholischen Einrichtung zu identifizieren.
Welche Frage im Bewerbungsverfahren zulässig ist und welche nicht, hängt maßgeblich davon ab, in welchem Stadium des Bewerbungsverfahrens die Frage gestellt wird. Generell gilt: Vor Abschluss des Arbeitsvertrages ist das Fragerecht des Arbeitgebers stärker beschränkt als nach Vertragsschluss.
Es ist zu unterscheiden zwischen Fragen vor und nach Abschluss des Arbeitsvertrages. Fragen, die in der Anbahnungssituation in der Regel unzulässig sind (zum Beispiel nach der Schwerbehinderung oder künftig bei vielen Tätigkeiten nach der Religionszugehörigkeit), können nach Abschluss des Arbeitsvertrages gerechtfertigt und rechtmäßig sein.
Innerkirchlicher Beratungsprozess
In der Arbeitsgruppe der Bischöfe zum Kirchlichen Arbeitsrecht unter Vorsitz von Kardinal Rainer Maria Woelki und insbesondere in der dieser AG zugeordneten "Begleitgruppe Arbeitsrecht" wird unter dem Vorsitz von Generalvikar Peter Beer aus der Erzdiözese München und Freising zu prüfen sein, welche Folgerungen sich aus dieser EuGH-Entscheidung ergeben. Diese Begleitgruppe wurde im Zuge der letzten Grundordnungsänderung von der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands VDD beauftragt, zu prüfen, wie das kirchliche Arbeitsrecht stärker institutionell ausgerichtet werden kann. Für den Deutschen Caritasverband arbeitet Heinz-Josef Kessmann, Vizepräsident und Vorsitzender der Arbeitsrechtlichen Kommission, in der Begleitgruppe mit. Letztlich wird die Deutsche Bischofskonferenz diese Beratungsergebnisse bewerten und zu Entscheidungen kommen.
„Offen und dialogbereit in die Zukunft“
Die Qualität der Pflege ist eine Frage von persönlichen Werten
Zufriedenheit der Mitarbeitenden hängt sehr von den Führungskräften ab
Keine Vorfahrt für Rechts
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}