Gute Arbeit – schlecht bezahlt
Frau K. leidet unter einer manisch-depressiven Störung. Im Jahr 2010 wurde ein Mitarbeiter des Betreuungsvereins des SKFM Rhein-Erft zum Betreuer bestellt, da sie nach einer akuten Psychose und stationärem Klinikaufenthalt Hilfestellung benötigte. Zu dem Zeitpunkt war sie obdachlos, verschuldet und nicht in der Lage, ihre Geschäftsangelegenheiten selbstständig zu regeln. Nach dem Klinikaufenthalt konnte der Betreuer ihr über das Betreute Wohnen einen Platz in einer Wohngemeinschaft vermitteln. Ein Pflegedienst wurde beauftragt, ihr die Medikamente zu verabreichen. Arztbesuche nahm sie schließlich wieder selbstständig wahr. Allmählich überwand sie ihre depressive Phase, und es ging ihr besser.
Es folgten sieben stabile Jahre. Sie zog in eine eigene Wohnung und kündigte den Pflegedienst. Die Betreuung ließ sie auf eigenen Wunsch verlängern. Im Juli dieses Jahres teilte sie dann mit, dass es ihr nicht gut gehe. Sie habe sich auf eigenen Wunsch in eine psychiatrische Klinik begeben. Zunächst war sie freiwillig im geschlossenen Bereich, doch auf ihr zunehmendes Drängen wurde sie schließlich auf eine offene Station verlegt. Nach dem ersten Ausgang kam sie nicht wieder, sondern kehrte in ihre Wohnung zurück.
Frau K. hatte in dieser Zeit ihre Finanzen nicht unter Kontrolle, Miet- und weitere Schulden waren die Folge. Anfang August erhielt der Betreuer die Nachricht, dass Frau K. wieder in der Klinik sei. Dieses Mal wurde sie zwangsweise über das Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) eingewiesen. Nach einem Aufenthalt von 14 Tagen wurde eine Verlängerung der geschlossenen Unterbringung beantragt. Dagegen legte sie Beschwerde ein. Nachdem dieser stattgegeben worden war, bezog sie wieder ihre Wohnung. Diesmal jedoch, ohne die Hilfe von Ärzt(inn)en oder vom Pflegedienst in Anspruch nehmen zu wollen.
Probleme mit Konto und Krankenkasse
Eine Woche später reiste Frau K. ohne Vorankündigung oder Absprache nach Bayern, prellte Hoteliers und versuchte, sich selbst in eine psychosomatische Klinik einzuweisen. Diese nahm sie ebenso wenig auf wie eine psychiatrische Klinik. Einige Tage schien Frau K. verschollen, es gab keinen Kontakt. Schließlich meldete sie sich: Ein Freund hatte sie mittlerweile wieder in die Psychiatrie gefahren, wo sie sich freiwillig aufhielt. Darüber hinaus gab es einige Probleme, wie sie berichtete: Das Schloss zu ihrer Wohnung sei ausgetauscht worden, ihr Konto leer und sie habe ihren Rucksack samt Ausweis und Schlüssel verloren. Den Rucksack konnte der Betreuer (wenn auch ohne Pass und Schlüssel) wiederfinden. Nachforschungen ergaben, dass Angehörige aus Sorge um Frau K. bei der Feuerwehr das Aufbrechen der Wohnung veranlasst hatten. Ihr Konto - und auch ihre Krankenkasse - hatte sie während des Urlaubs des Betreuers gekündigt. Ein neues Konto konnte sie ohne Zustimmung des Betreuers nicht eröffnen, was zur Folge hatte, dass Strom und Nebenkosten nicht abgebucht sowie Rente und Sozialhilfe nicht überwiesen werden konnten. Die Miete wurde direkt vom Sozialamt bezahlt. Nach Rückkehr des Betreuers aus seinem Urlaub machte Frau K. ihn verantwortlich, ohne Konto und Geld dazustehen.
Als sie nach einigen Tagen Klinikaufenthalt wieder nach Hause wollte, hat der Betreuer schlussendlich einen Antrag auf geschlossene Unterbringung beim Betreuungsgericht gestellt. Dem Antrag wurde nicht stattgegeben, da die Klientin sich freiwillig auf einen weiteren Klinikaufenthalt einließ. Nach diesem - bisher - letzten Aufenthalt ist sie nun wieder in ihrer Wohnung, ein Konto konnte der Betreuer - dank einer Kopie ihres Ausweises - wieder für sie eröffnen. Auch konnte die Kündigung der Krankenkasse rückgängig gemacht werden. Nach dem Klinikaufenthalt übergab sie dem Betreuer 35 Briefe, die überwiegend mit dem Fahren ohne Fahrerlaubnis zusammenhingen. Langsam geht es ihr wieder besser, und sie ist froh, einen Betreuer zu haben.
Die - sehr verkürzt - dargestellten Ereignisse erstreckten sich auf einen Zeitraum von vier Monaten. Der gesetzliche Betreuer hat in dieser Zeit etwa 38 Arbeitsstunden in diesen Fall investiert. Frau K. wird zurzeit mit einem pauschalen Stundensatz von 3,5 monatlich abgerechnet, wobei die Stunde gemäß Vormünder-Betreuungsvergütungsgesetz (VBVG) mit 44 Euro entlohnt wird. Das entspricht einer Vergütung von 616 Euro in vier Monaten. Der finanzielle Aufwand des SKFM Rhein-Erft für die Betreuung von Frau K. in diesen vier Monaten lag jedoch bei 1995 Euro.
Die Betreuungsfälle sind oft sehr zeitintensiv
Das Fallbeispiel zeigt, dass für eine gute Betreuung, die überdies den Willen des Betreuten angemessen berücksichtigt, hinreichend Zeit zur Verfügung stehen muss. Der sogenannte Fallmix, den der Gesetzgeber vor zwölf Jahren mit Einführung der Fallpauschalen angenommen hat, ließ sich von Anfang an nicht realisieren. Die Betreuungsvereine werden immer häufiger mit sehr aufwendigen und zeitintensiven Betreuungsfällen konfrontiert, die oftmals von freiberuflichen Betreuer(inne)n abgelehnt oder nach kurzer Zeit wieder abgegeben werden. Der gesetzliche Betreuer von Frau K. hat bei einem Stellenumfang von 29,75 Wochenstunden insgesamt 39 Fälle zu bearbeiten. Davon sind viele ähnlich arbeits- und zeitintensiv wie die Betreuung von Frau K.
Gesetzliche Stundensätze decken nicht die Kosten
Im Jahr 2005 wurde das pauschalierte Vergütungssystem eingeführt. Die Stundensätze der Pauschalvergütung für die beruflich geführten Betreuungen im Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG) sind seit damals unverändert. Im SKFM Rhein-Erft arbeiten zur Sicherung der Qualität der Betreuungsführung ausschließlich Sozialarbeiter(innen), Sozialpädagog(inn)en und Jurist(inn)en. In den letzten Jahren musste der SKFM Rhein-Erft eine über 20-prozentige Personalkostenerhöhung in Kauf nehmen. Darüber hinaus ist die Dynamisierung der allgemeinen Kostenentwicklung zu berücksichtigen. Das Finanzierungsmodell deckt schon seit mehreren Jahren nicht mehr die tatsächlichen Kosten in der rechtlichen Betreuung.
Der deutsche Bundestag hat am 18. Mai 2017 mit dem Gesetz zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenheiten auch eine Erhöhung der Vergütung der beruflich geführten Betreuung nach VBVG beschlossen. Diese sollte zum 1. Oktober 2017 in Kraft treten, wofür jedoch die Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist. Der Bundesrat hat die Erhöhung bisher nicht beraten. Der SKFM Rhein-Erft unterstützt daher die Forderung der BAGFW, die Betreuungsvereine durch eine unverzügliche Anpassung der Höhe der Vergütungssätze für berufliche rechtliche Betreuer(innen) zu stärken.
Querschnittsarbeit: nicht verlässlich finanziert
Die Betreuungsvereine sind durch entsprechende bundesgesetzliche Bestimmungen verpflichtet, Leistungen zur Gewinnung, Einführung und Begleitung von ehrenamtlichen rechtlichen Betreuer(inne)n zu erbringen und über Vorsorgevollmachten zu informieren. Die jeweiligen Regelungen hierzu - auch die der Finanzierung - fallen jedoch in die Zuständigkeit der Länder. Die Folge ist eine völlig unterschiedliche Finanzierung dieser Querschnittsarbeit durch die Länder. Zwar wurde im Jahr 2017 die Landesförderung in Nordrhein-Westfalen angehoben, aber auch eine Anrechnung mit einer eventuellen kommunalen Förderung eingezogen. Beim Betreuungsverein des SKFM Rhein-Erft führte dies leider nicht dazu, dass die Finanzierung der Querschnittsarbeit verbessert wurde. Im Gegensatz zu den Vorjahren hat sich diese sogar noch verschlechtert. Der SKFM Rhein-Erft hält es für dringend erforderlich, die Förderrichtlinien in Nordrhein-Westfalen anzupassen und dabei die Beratungen zu Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen, die weiterhin steigen, mit einer angemessenen Finanzierung abzusichern. Der Verein regt weiterhin an, mittelfristig eine bundeseinheitliche Förderung der Querschnittsarbeit in Erwägung zu ziehen.
Studie kritisiert Pauschalen
In den vergangenen zwölf Jahren haben sich die Rahmenbedingungen für die Betreuungsvereine unter anderem durch die Auswirkungen des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes aus dem Jahr 2005 und einer deutlichen Veränderung der Klientel erheblich gewandelt. Ein vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) in Auftrag gegebenes Forschungsvorhaben "Qualität in der rechtlichen Betreuung"1 hat unter anderem die Wirkungen des mit dem Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes eingeführten pauschalierten Vergütungssystems untersucht. Hinsichtlich der zentralen Ergebnisse und Handlungsempfehlungen zur Strukturqualität sieht sich der Betreuungsverein des SKFM Rhein-Erft - ebenso wie andere Betreuungsvereine im Verbandsbereich der Caritas auch - gut aufgestellt. Die Qualifikation der Betreuer(innen) und ihre Fachkenntnisse, die Vernetzung und der fachliche Austausch mit Kolleg(inn)en sowie die Teilnahme an Fort- und Weiterbildung und Supervision tragen zu einer sehr guten Strukturqualität bei.
Ähnlich verhält es sich mit dem Grundsatz, dass die Betreuung persönlich zu führen ist und den Willen der/des Betreuten zu berücksichtigen hat. Die Notwendigkeit, Konzepte und Methoden zur unterstützten Entscheidungsfindung zu entwickeln und vorzuhalten, wird bekräftigt. Dabei ist der Hinweis, dass dafür die Stundensätze zu erhöhen sind, nur folgerichtig.
Die Handlungsempfehlung zur besseren Aufklärung der Ärzt(inn)e(n) sowie des Krankenhaus- und Pflegepersonals darüber, welche Aufgaben ein(e) rechtliche(r) Betreuer(in) hat, ist sicherlich wünschenswert, aber möglicherweise nur mit großen Schwierigkeiten umsetzbar. Informationsveranstaltungen für Führungskräfte allein führen sicherlich nicht zum Ziel.
Keine Überraschung ist für den Betreuungsverein des SKFM Rhein-Erft die Handlungsempfehlung, die pauschalen Stundensätze zu erhöhen. Die Aussage bestätigt die seit langem geäußerte Wahrnehmung der Vereine, dass die hinterlegten Stundensätze nicht für eine qualitativ gute Betreuungsführung ausreichen. Ebenso bestätigt sehen sich die Betreuungsvereine in der Feststellung der Studie, dass die Vergütungen von Sozialpädagog(inn)en im Zeitraum von 2005 (dem Jahr der Einführung des neuen Vergütungssystems für Betreuer(innen)) bis 2016 um 29,2 Prozent gestiegen sind. Auch wenn die Einnahmen-Ausgaben-Erhebung im Forschungsvorhaben aufgrund der geringen Beteiligung nicht als repräsentativ gewertet und mit weitreichenden Schlussfolgerungen belastet werden kann, belegt der unter Heranziehung des TVÖD festgestellte Vergütungsanstieg von Sozialpädagog(inn)en die Notwendigkeit der Erhöhung der Vergütungssätze.
Für die Betreuungsvereine zählen die Feststellungen zur Einnahmen-Ausgaben-Erhebung und die Handlungsempfehlung, die pauschalen Stundensätze zu erhöhen, zu den zentralen Aussagen des Forschungsvorhabens. Beide untermauern die seit langem aufgestellten Forderungen der Betreuungsvereine. Nunmehr ist die Politik am Zug - damit die Betreuungsvereine nicht schon bald sagen müssen: "Time to say good-bye."
Anmerkung
1. ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik: Qualität in der rechtlichen Betreuung. Zweiter Zwischenbericht. Köln, 2017:
Wir müssen den Betreuungsverein neu erfinden
37.000 junge Menschen ohne Zuhause
Ein Menschenrecht drängt zur Umsetzung
Eine gute Tagesordnung ist die halbe Sitzung
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