Die „Schwarmintelligenz“ des Verbandes nutzen
Was meint ihr denn mit ‚Digitaler Agenda‘?" Und: "Brauchen wir das?" - Das sind die typischen Fragen bei den Veranstaltungen, zu denen wir eingeladen werden1, oder auch einfach an der Kaffeemaschine im Büro. Spätestens mit dem Start der Jahreskampagne 2019 "Sozial braucht digital" wächst im Verband die Neugierde, zu erfahren, was der Koordinator Digitale Agenda eigentlich macht.2 Bei der Delegiertenversammlung 2018, die im Oktober das Schwerpunktthema "Digitale Agenda" hatte, haben wir die Aufgaben so erklärt: Es geht darum,
- wahrzunehmen und sichtbar zu machen, was sich an digitalen Aktivitäten und damit verbundenen Neuerungen im Verband alles tut;
- digitale Pionier(inn)e(n) im Verband zu unterstützen, Experimentierfreunde zu motivieren, Pilotprojekte zu begleiten und
- zu vermeiden, dass sich die einzelnen Stränge, Projekte und Ideen im digitalen Wandel der Caritas gegenseitig blockieren und miteinander konkurrieren, sondern dafür zu sorgen, dass sich die Energien gegenseitig verstärken und wir "verbandlich lernen".
Die Caritas ist - auch in ihrer verbandlichen Struktur - kein Tanker, sondern ein Fischschwarm. Es gilt, die Beweglichkeit der vielen Akteure als "Schwarmintelligenz" zu nutzen und neue Governance-Modelle für die digitalen (Gemeinschafts-)Aufgaben zu finden (nach und nach, für die einzelnen Aufgaben die je passenden), um gemeinsam nah bei den Nächsten zu bleiben: Das ist das Programm und Ziel der Digitalen Agenda.
Wir wollen, dass alle "Digital-Energien" ihren "Entwicklungsraum" haben. Die Redaktionsgruppe der Orts-Caritasverbände (OCV), die ein Positionspapier zur digitalen Transformation erarbeitet und bei der Delegiertenversammlung vorgestellt hat, die Kommissionen der Delegiertenversammlung, die aus ihrem jeweiligen Fokus zentrale Fragen für die digitale Transformation im Caritasverband formuliert haben, und die vielen großen und kleinen Einzelvorhaben, die in den Diözesan- und Orts-Caritasverbänden ebenso wie in den Fachverbänden und bei den Trägern gestartet wurden, sind Beispiele solcher Energieräume. Dabei haben wir nach Kräften das "Voneinanderlernen" gefördert. Dieses ist einer der Schätze eines großen Verbandes wie der Caritas. Es ist zentraler Bestandteil einer Wissensgesellschaft, und es kann unglaublich inspirierend sein - also Spaß machen. Es schont auch Ressourcen, wenn wir miteinander aus Fehlern lernen. In den Treffen der gemeinsam mit der Bundesdirektorenkonferenz eingerichteten "Steuerungsgruppe" zur Digitalen Agenda ist der Best-Practice-Austausch zwischen den Diözesan-Caritasverbänden (DiCV) stets ein besonderes Element. Das #Sozialcamp in Siegburg, das einige DiCV im Jahr 2016 initiiert haben, ist ein offener Lernort digitaler Innovation, der seit 2018 vom Deutschen Caritasverband (DCV) mitgetragen wird. Das "Tandem 4.0"-Projekt, das alle Ost-Diözesan-Caritasverbände im Sommer 2018 zusammen mit dem DCV als ESF/"Rückenwind"-gefördertes Programm auf den Weg gebracht haben, ist dieser Leitidee umfassend verpflichtet. Wir wollen helfen, dass die Schnellen die Langsamen, die Starken die Schwachen mitnehmen und wir uns als Verband gerade angesichts der Herausforderungen der digitalen Transformation bewähren (bewähren! Das ist mehr als bewahren).
Mit Analyse zu neuen Aufgaben und Ausblicken
Um die Koordination der digitalen Projekte, die mit vielen Gesprächen, mit Befragungen und Vorträgen begonnen hat, in die nächste Phase zu führen, bedarf es - natürlich - einer analytischen Dimension. Wir müssen verstehen, wie die einzelnen Bausteine zusammenpassen, die uns aus den "Innovationslaboren" überall im Verband angeboten werden, und wie sich die einzelnen Transformationsgeschichten gegenseitig optimal bestärken können. Dabei hilft uns auch die praktische Erfahrung mit dem Relaunch der Online-Beratung. Sie wird zu einer Beratungsplattform erweitert, über die analoge und Online-Beratung, Chat und Mail zu einem crossmedialen "Blended Counseling" verknüpft werden, so dass die einzelnen Ratsuchenden optimal zu dem Angebot gelangen, das sie brauchen. Damit wird das Vorhaben zu einem der verbandlichen Leuchtturmprojekte, in denen unsere gemeinsamen Herausforderungen, aber auch die neuen Möglichkeiten für die Caritas sichtbar werden.
Wir sehen, dass die Leuchttürme der Digitalen Agenda Gemeinschaftsaufgaben sind, die von einer verbindlich-verbandlichen Governance-Struktur getragen sein müssen. Und wir sollten unsere Angebote und Aufgaben auch technisch optimal vernetzt gestalten. Beides bildet den Ermöglichungskern, damit die Caritas auch in der digitalen Welt nah bei den Menschen wirksam sein kann. Mit dem dazugehörigen Datenmanagement und Datenpooling meinen wir, dass wichtige Daten aus dem Verband für unsere Systeme zugänglich sind und wir daraus neue Erkenntnisse für unsere Arbeit ziehen können. Datenpooling ist keine neue Idee in der verbandlichen Caritas. Schon Lorenz Werthmann errichtete bereits vor der Gründung des Caritasverbandes eine Bibliothek mit wissenschaftlicher und grauer Literatur3 und mit Praxisberichten - einen analogen "Datenpool" für die verbandliche Caritas, zur Förderung des Voneinanderlernens. So unterstützte er die Stabilität und Qualität des wachsenden Netzwerks.
Datensouveränität wahren
Wir kommen um die Frage nicht herum: Wie organisieren wir gemeinsam in der verbandlichen Caritas heute und morgen unsere Einrichtungs- und Kunden-, unsere Prozess- und Bestandsdaten? Wir wollen unsere Daten und die unserer Nutzer(innen) nicht externen Datenkraken übergeben. Und auch von unseren staatlichen Partnern fordern wir Datensparsamkeit ein, so wie dies unserem Verständnis als sozialem Intermediär, als Anwalt der Hilfebedürftigen entspricht. Das Wissen um die Nöte der Menschen, das sich aus unserer Arbeit zusammenträgt, muss, bereinigt von persönlichen Daten, der nutzergerechten Weiterentwicklung unserer Dienste und Einrichtungen dienen. Und wir sollten es für unser anwaltschaftliches und solidaritätsstiftendes Handeln nutzen - Open Data auch zusammen mit anderen.
Die digitale Transformation braucht Orientierung im Handeln und erfordert Handeln auch da, wo die Unsicherheiten (noch) groß sind. Nur ein Beispiel: Wenn Jugendliche in der offenen Jugendarbeit über sichere Messenger wie Threema und Wire nicht erreichbar sind, dann wahrt ein Verbot von Whatsapp auf Caritas-Diensthandys zwar sauber die Datensouveränität der Jugendlichen, erscheint aber als einseitige Lösung. Erst recht, wenn wir gar nicht versuchen, sichere Alternativen zu nutzen und anzubieten. Im Lichte der Online-Befragung zur sozialräumlichen Arbeit der Caritas 20184 kommen weitere Zweifel: Mehr als zwei Drittel der befragten Mitarbeitenden gaben an, in der Quartiersarbeit keine digitalen Tools zu verwenden. Erreichbarkeit im hybriden Sozialraum 2019 muss anders aussehen. Netzpolitische Kompetenz zu entwickeln gehört ins Zentrum der Digitalen Agenda der Caritas.
Unübersehbar ist: Kontakt zu den Menschen organisiert sich in der digitalen Welt über "Plattformen": "Anbahnungsplattformen", Beratungsplattformen, Austauschplattformen. Der zwischen Airbnb, Uber und Helpling.de schillernde Plattformbegriff5 macht es nötig, hier noch gründlicher zu analysieren, wie nutzerorientierte Plattformlösungen für die Angebote der Caritas tatsächlich aussehen können und sollen. Die Hoheit über die (Prozess-)Daten der Plattform-Kontakte muss durch ein geeignetes Zugriffsrechtesystem in jedem Fall bei uns bleiben. Datensouveränität zu achten gehört zum Selbstverständnis der Caritas unabdingbar dazu.
Verloren gegangene Fäden zur Wissenschaft aufgreifen
Eine weitere Lerngeschichte der Digitalen Agenda: Der Kooperation mit Hochschulen und Wissenschaft kommt zur Bewältigung der digitalen Transformation in der Wohlfahrtspflege herausragende Bedeutung zu. Es müssen Fäden wieder aufgegriffen werden, die hier und da verloren gingen. Auch die Hochschulen selbst stecken im Wandel und fragen sich, welche Kompetenzen es braucht, um die digital erweiterte Welt menschlich zu gestalten.
"Last but not least" speisen sich die Aufgaben der Digitalen Agenda des DCV aus der Digitalstrategie der öffentlichen Hände. E-Government ist einer der Haupttreiber der digitalen Transformation für die freie Wohlfahrtspflege. Wenn eine Kommune die Kita-Anmeldungen über ihre städtische Jugendhilfe-Plattform organisiert oder wenn ein Landkreis von Altenheimträgern die Übermittlung von Belegungszahlen quartalsweise in elektronischer, spezifisch aufbereiteter Form erwartet, dann sind dies Vorgaben, denen wir uns nicht entziehen können. Wichtig ist es, dass wir jetzt aktiv die E-Government-Strategien mitgestalten, um Versuchungen von Scoring und Rating und damit verbundene Diskriminierungsgefahren zu bekämpfen.
Der Auftrag der Delegiertenversammlung an ihre Kommissionen und den Vorstand des Deutschen Caritasverbandes ist eindeutig: Die Digitale Agenda muss mit den nötigen Energien und passenden Strukturen fortgeführt werden. Eine mandatierte Expertengruppe zu bilden, die den Vorstand dabei unterstützt, ist ein nächster Schritt. Dem Caritasrat 1/2019 wird der Vorstand aus der Arbeit der Expertengruppe erstmals berichten.
Anmerkungen
1. Vorträge von Eva M. Welskop-Deffaa sind in der Regel zu finden unter www.caritas.de/welskop-deffaa; Carinet-Nutzer(innen) können die Vorträge von Johannes Landstorfer im CariNet finden unter: Arbeitsgruppen/ Caritas Deutschland/Infos/Digitale Agenda/
Eine weitere Quelle für Artikel verschiedener Autoren ist www.caritas-digital.de
2. Johannes Landstorfer bekleidet seit Februar 2018 die Projektstelle des "Koordinators Digitale Agenda", angesiedelt beim Vorstand Sozial- und Fachpolitik.
3. Als graue Literatur werden Publikationen bezeichnet, die nicht durch einen Verlag veröffentlicht wurden und nicht im Buchhandel erhältlich sind wie Firmenschriften, Kongressberichte oder Privatdrucke.
4. Die Online-Erhebung "Caritas im Quartier" wurde vom Referat Sozialraum, Engagement, Besondere Lebenslagen des DCV an alle OCV verschickt. Die Ergebnisse werden Anfang 2019 in der neuen caritas veröffentlicht.
5. Vgl. Gillespie, T.: The Platform Metaphor Revisited. In: encore, Vol 2017, www.hiig.de/encore
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