Wie Alleinerziehende und ihre Kinder der Armutsfalle entgehen könnten
Kinder, die in einem Haushalt mit einer alleinerziehenden Mutter leben, sind erheblich größeren Armutsrisiken ausgesetzt als Kinder, die mit beiden Elternteilen zusammen wohnen. Laut Bertelsmann-Stiftung beziehen 37,6 Prozent der Einelternfamilien im Bundesdurchschnitt Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Damit sind sie fünfmal häufiger im SGB-II-Bezug als Paarfamilien (7,3 Prozent).1
Fast die Hälfte aller Kinder, die SGB-II-Leistungen erhalten, leben in Haushalten von Alleinerziehenden. Ein hohes Armutsrisiko haben junge alleinerziehende Mütter und ihre Kleinkinder, Alleinerziehende mit Kindern unter drei Jahren sowie mit mehreren Kindern und Alleinerziehende mit besonderen Belastungen wie eigener Erkrankung oder Behinderung beziehungsweise Erkrankung oder Behinderung eines Kindes.2
Warum sind viele Alleinerziehende arm?
Zentrale Ursachen der Armut von Alleinerziehenden und ihren Kindern sind:
- Fehlende Unterhaltszahlungen des barunterhaltspflichtigen Elternteils (in der Regel des Vaters). Nur 25 Prozent der Väter zahlen den Kindesunterhalt regelmäßig und in voller Höhe, 50 Prozent zahlen gar keinen und 25 Prozent nicht regelmäßig oder nur teilweise.
- Mit der Reform des Unterhaltsrechts im Jahr 2008 wurde auch der Betreuungsunterhalt zeitlich gekürzt und eine neue Rangfolge der Unterhaltsberechtigten eingeführt. Beides begründet gegebenenfalls geringere Unterhaltsansprüche der Alleinerziehenden und ihrer Kinder als noch vor 2008.
- Das erzielbare Erwerbseinkommen einer Alleinerziehenden reicht zur eigenständigen Existenzsicherung oft nicht aus. So fallen gut ein Drittel der ALG II beziehenden alleinerziehenden Mütter in die Kategorie der sogenannten „Aufstockerinnen”: Sie haben Anspruch auf SGB-II-Leistungen, obwohl 54 Prozent von ihnen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (19 Prozent davon sogar in Vollzeit) nachgehen. Diese Realität ist im Zusammenhang mit den Vereinbarkeitsproblemen und dem Ausbau des Niedriglohnsektors zu sehen, in dem viele Frauen beschäftigt sind.3
In eine Armutsfalle geraten Alleinerziehende dadurch, dass die Anforderungen des Erwerbslebens inkompatibel sind mit der Versorgung und Erziehung von (Klein-)Kindern. Weil sie Jahre auf eine Erwerbsarbeit beziehungsweise Teilzeitbeschäftigung zugunsten der familiären Verantwortung verzichtet haben, gelingt es ihnen oft nicht, danach wieder einen Arbeitsplatz beziehungsweise eine Vollzeitbeschäftigung zu finden, die ein existenzsicherndes Einkommen gewährleistet.
Wege aus der Armut
Die Armut vieler Alleinerziehender und ihrer Kinder ist folglich nur durch ein Bündel unterschiedlicher Strategien zu beheben. Erforderlich sind monetäre Hilfen für Familien und eine stärkere Vergesellschaftung kindbezogener Kosten. So würde eine Kindergrundsicherung in vielen Fällen zu einem deutlichen Rückgang finanzieller Nöte führen (siehe dazu den Beitrag von Irene Becker in diesem Heft).
Ebenso bedeutsam sind der Ausbau staatlicher Leistungen (wie Kindergeld, Wohngeld, Unterhaltsvorschuss) und die Förderung einer familienfreundlichen Infrastruktur zum Beispiel mit zeitlich flexibler, qualifizierter und beitragsfreier Kinderbetreuung.
Darüber hinaus ist es erforderlich, passgenaue Angebote zur Integration von Alleinerziehenden in den Arbeitsmarkt auszubauen- von (Teilzeit-)Qualifizierung über (Teilzeit-)Ausbildung bis hin zu einer stärkeren Bündelung der Angebote, um sie in existenzsichernde Stellen zu vermitteln. Doch können Alleinerziehende ihre Existenz durch Erwerbstätigkeit nur dann sichern, wenn parallel die Entlohnung in typischen Frauenberufen deutlich angehoben, Erwerbsarbeit sozialversicherungspflichtig ausgestaltet wird und Väter mehr konkrete Familienverantwortung im Alltag übernehmen als bisher.
Keine Ausbildung – kaum Perspektive
Alleinerziehende ohne Ausbildung – und das sind 26,3 Prozent aller Alleinerziehenden4 – haben kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Sie sind deshalb langfristig armutsgefährdet. Langfristige Armut wirkt sich auf die Gesundheit, die Lebenszufriedenheit und das allgemeine Wohlbefinden von Eltern und Kindern sehr negativ aus. Abgesehen von der finanziellen Not fehlt auch die durch Ausbildung und Erwerbstätigkeit vorgegebene Tagesstruktur und die Erfolgserlebnisse, die die Arbeit beziehungsweise der kollegiale Austausch bieten. Alleinerziehende ohne Ausbildung äußern deutlich größere Zukunftsängste als andere Mütter.
Der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) Würzburg fördert seit dem Jahr 2008 mit dem Projekt „Junge Eltern und Beruf” (JEB) die beruflichen Perspektiven junger alleinerziehender Mütter. Die Frauen erhalten auf dem Weg zur Ausbildung und während der Ausbildungszeit gezielte Unterstützung. Die drei Auftraggeber (die Agentur für Arbeit Würzburg, das Jobcenter im Landkreis und das Jobcenter der Stadt Würzburg) vermitteln junge Mütter, die die allgemeine Schulpflicht erfüllt haben, mindestens über einen Hauptschulabschluss verfügen und eine Grundmotivation in Richtung Ausbildung/Erwerbstätigkeit besitzen, an die Mitarbeiterinnen von JEB. Es wird innerhalb der Beratung angestrebt, Ausbildungsplätze zu finden, die ihren Möglichkeiten und Wünschen entsprechen. Die JEB-Mitarbeiterinnen wirken auf stabile Rahmenbedingungen hin, die es den Müttern ermöglichen, die Ausbildung durchzuhalten und anschließend eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Obwohl das Angebot sich nicht spezifisch an diese Zielgruppe richtet, sind mehr als drei Viertel der teilnehmenden jungen Mütter alleinerziehend.
„Die Ausbildungsplatzsuche erfordert von den jungen Müttern eine hohe Motivation, eine hohe Frustrationstoleranz, ein gutes Durchhaltevermögen und in einigen Fällen auch den Abschied vom Traumberuf”, so die verantwortliche Mitarbeiterin Bernadette Dick.5
Die am konkreten Einzelfall orientierte Hilfe (Case-Management) für die jungen Mütter gliedert sich in drei Phasen:
- Die Aktivierungsphase, das heißt die Zeit bis zur Ausbildungsaufnahme (bis zu zwölf Monate), in der die individuelle Motivation geklärt wird, Ressourcen und Probleme systematisch erfasst werden und in einem konkreten Förderplan festgelegt wird, welche Aufgaben jeweils in den nächsten vier Wochen zu bewältigen sind. Bedeutsame Schritte in dieser Zeit sind die Entscheidungsfindung für einen Ausbildungsberuf, der mit der Versorgung und Erziehung des Kindes zu vereinbaren ist, das Bewerbungsmanagement, die Ausbildungsstellensuche oder der Umgang mit steigenden Alltagsanforderungen.
- In der darauffolgenden Stabilisierungsphase (ab Beginn der Ausbildung für sechs bis maximal zwölf Monate) geht es unter anderem um die Existenzsicherung während der Ausbildung, die Bewältigung der neuen Situation und der neuen Aufgaben, das gegebenenfalls erforderliche Anpassen von Rahmenbedingungen oder das Krisenmanagement zum Beispiel bei schulischer Überforderung oder Erkrankung des Kindes.
- In der Sicherungsphase (ab dem zweiten Ausbildungsjahr) können die Mütter immer dann Hilfe in Anspruch nehmen, wenn sie Unterstützung benötigen, neue Situationen zu bewältigen haben (zum Beispiel einen Umzug oder einen Streit mit dem Vater des Kindes um Unterhalt) oder um im Anschluss an die Ausbildung eine Stelle zu suchen.
Aufgrund der gesetzlichen Grundlagen des Projektes im SGB II und SGB III finanzieren die Agentur für Arbeit Würzburg, das Jobcenter im Landkreis und das Jobcenter der Stadt Würzburg als Auftraggeber nur die Zeit bis zum Beginn der Ausbildung, also die Aktivierungsphase. Die Erweiterung des Angebotes (bei Bedarf bis zum Abschluss der Berufsausbildung oder bis zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit) finanziert der SkF über Spenden und Eigenleistungen - denn ohne diese Unterstützung in belastenden Situationen wären viele junge Mütter überfordert und würde manches Ausbildungsverhältnis wieder scheitern. Mit der ausbildungsbegleitenden Unterstützung steigt die Quote der Mütter, die die Ausbildung beenden und anschließend eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, erheblich.
Auf der Grundlage der positiven Würzburger Erfahrungen startete der SkF Landesverband Bayern im Frühjahr 2015 (gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration) an drei weiteren Standorten ähnliche Angebote: Das Projekt „Meine Chance – Teilzeitberufsausbildung mit dem SkF in Bayern”6 will insbesondere die Ausbildung in Teilzeit für alleinerziehende Frauen befördern. Denn obwohl ein gesetzlicher Anspruch darauf besteht, erschweren zahlreiche Hürden die Umsetzung in die schulische und betriebliche Realität. Dazu wird der Aufbau lokaler Netzwerke aller für die Teilzeitausbildung wichtigen Akteure angestrebt.
Das Fazit: Armut ist vermeidbar
Parallel zur Verbesserung der beruflichen Qualifikation und Integration in den Arbeitsmarkt sind weitere Angebote erforderlich, damit Alleinerziehende nicht in Armut leben (müssen). Dazu zählt eine qualifizierte und zeitlich flexible Kinderbetreuung ebenso wie die Eindämmung des Niedriglohnsektors und eine angemessenere Bezahlung in typischen Frauenberufen. Mit Blick auf die Kinder wäre eine Kindergrundsicherung wünschenswert beziehungsweise eine bessere Absicherung in den Fällen, in denen der Kindesunterhalt vom Unterhaltspflichtigen nicht bezahlt wird (oder werden kann), zum Beispiel durch den weiteren Ausbau der Leistungen des Unterhaltsvorschussgesetzes.
Dabei sollte nie übersehen werden, welche enormen Leistungen Alleinerziehende – trotz aller Belastungen – alltäglich erbringen und wie oft sie eigene Bedürfnisse und Interessen zugunsten der Kinder zurückstellen.
Anmerkungen
1. Bertelsmann-Stiftung: Factsheet "Daten zur Lebenslage von alleinerziehenden Familien in Deutschland", 2016: http://bit.ly/2agxZy9
2. Bundesagentur für Arbeit: Statistik Kinder in Bedarfsgemeinschaften, Dezember 2016: http://bit.ly/2t9gOs2
3. Lenze, A.; Funcke, A.: Alleinerziehende unter Druck. Bertelsmann-Stiftung, 2016: http://bit.ly/2pcQnTT
4. Statistisches Bundesamt: Mikrozensus 2015, Haushalte und Familien. Wiesbaden, 2016: http://bit.ly/2sSuWGl
5. Junge Eltern im Beruf im SkF - Gesamtbericht 1. November 2014 - 31. Oktober 2016: www.skf-wue.de/assets/einrichtungen/jeb/downloads/2016_Gesamtbericht_final_gesamt.pdf
6. www.skfbayern.de/aufgaben-projekte/projekt-meine-chance/projekt-meine-chance
Der Preis für die Reform ist zu hoch
Gegen Familienarmut – das Konzept der Kindergrundsicherung
Wir zählen Ehrenamt
Pflege braucht Spiritualität
Tarifpolitische Ziele der Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen
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