Manns genug sein für Beratung
Der SKM versteht sich als Fachverband für die Jungen- und Männerarbeit in Deutschland. Er ist der einzige Akteur in der verbandlichen Caritas und in der Wohlfahrtspflege, der sich bundesweit strukturell, inhaltlich und fachlich des Männerthemas angenommen hat. Mittlerweile ist er bestens mit den kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Akteuren vernetzt, die im gleichen Feld versuchen, die Lebenswirklichkeit von Jungen und Männern zu gestalten und positiv zu verändern. In den klassischen Hilfsangeboten des SKM – Katholischer Verband für soziale Dienste in Deutschland sind Männer oftmals die Hauptklientel. Der SKM erweitert, unterstützt durch eine Förderung der Glücksspirale, nun sein Beratungsangebot speziell für Jungen und Männer.
Der erste katholische Männerfürsorgeverein wurde im Jahr 1912 gegründet. Den entscheidenden Anstoß gab die damalige Vorsitzende des heutigen Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF), Agnes Neuhaus. Schon damals gab es offensichtlich ein Bewusstsein dafür, dass die Geschlechtszugehörigkeit eine wichtige Rolle für die Gestaltung von Hilfs- und Beratungsangeboten spielt.
Der Verband arbeitet schwerpunktmäßig in Bereichen wie: rechtliche Betreuung, Wohnungslosenhilfe, Obdachlosenhilfe, Sucht- und Drogenhilfe, Straffälligenhilfe und Schuldnerberatung. Die Sozialarbeiter(innen) in diesen Bereichen teilen in der Regel zwei grundlegende Beobachtungen. Zum einen: Wer hierher kommt, hat lange gewartet, bis er sich an eine Einrichtung wendet, und hat Probleme bis zu diesem Punkt oft ausgeblendet oder versucht, sie alleine zu lösen. Zum anderen, dass es oft deutlich mehr Männer sind, die diese Hilfsangebote in Anspruch nehmen (müssen).
Im Rahmen männlicher Sozialisation gibt es bis heute Rollenbilder, die sich nur langsam verändern. Der Glaube vieler Männer, sich Hilfe zu holen sei ein Zeichen von Schwäche, ist immer noch weit verbreitet und hemmt diese, sich frühzeitig um Unterstützung zu kümmern. Insbesondere bei hoher emotionaler Belastung sind die Ventile, die Männer nutzen, oft zerstörerisch - entweder für sie selbst oder für andere.
Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Geschlechter werden seit langer Zeit diskutiert. Unstrittig ist, dass es Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Diese müssen daher auch im Kontext Sozialer Arbeit und von Beratungsangeboten Berücksichtigung finden.
Jungen konstruieren sich ihr Bild von Männlichkeit
Bis heute überwiegt der Frauenanteil in den sozialen und erzieherischen Berufen deutlich. So sind hauptsächlich Frauen die ersten wichtigen außerfamiliären Bezugspersonen für Kinder in Tagesgruppe, Kindergarten und Grundschule.
Schon in der Kinderzeit fehlen vielen Jungen männliche erwachsene Rollenvorbilder, die ihnen Orientierung bei der eigenen Identitätsfindung geben. In Filmen und Medien ist der Mann als Vorbild Einzelkämpfer, muskulös, stark, wenn nötig gewaltbereit und stets Herr der Situation. So haben Jungen Bilder von Mannsein und Männlichkeit im Kopf, die mit der Realität nur wenig zu tun haben.
Jungen werden als das Geschlecht wahrgenommen, das durch sein Verhalten eher Probleme macht. Sie sind meist lauter, wilder, körperbetonter und überschreiten häufiger die Grenzen anderer. Die Tatsache, dass sie selbst Sorgen und Probleme haben, gerät dadurch schnell in den Hintergrund. Der Ton zwischen Jungen ist oft rau und viele Jungen sind verunsichert, wo sie sich bei Problemen Unterstützung holen können. Parallel dazu sind sie Opfer von Mobbing und Gewalt anderer Jungen. Das Wahrnehmen und Zeigen eigener Gefühle wie Angst, Trauer oder Hilflosigkeit wird oft nicht zugelassen, da sie nicht als "Weicheier" dastehen wollen. So wird in der Kinder- und Jugendzeit der Grundstein einer Haltung gelegt, die viele Männer auch als Erwachsene begleitet.
Die Anforderungen an Männer in der heutigen Zeit sind vielfältig und komplex. Die verschiedenen Rollenzuschreibungen sind für viele eine Überforderung. So sollen Männer emotional offen und verständnisvoll sein und gleichzeitig eben stark und "männlich". Sie sollen die Familie ernähren, versorgen und beschützen. Sie sollen beruflich erfolgreich sein und zugleich aktiv am Familienleben teilnehmen und als liebevoller und fürsorglicher Vater ihren Erziehungsteil leisten.
Männer haben Lösungen, keine Probleme. Während Frauen weniger Hemmungen haben, sich mit anderen über ihre Sorgen und Nöte auszutauschen, und bereit sind, professionelle Hilfeeinrichtungen aufzusuchen, tun sich Männer oft schwer, sich Probleme einzugestehen und sich Hilfe zu suchen. In Beratungsstellen sind Männer somit deutlich seltener anzutreffen. Eigenständig suchen sie kaum Unterstützung auf. Männer unter sich teilen persönliche Probleme selten, und es herrscht weiterhin die Devise vor: Wer mit seinen Problemen als Mann nicht alleine zurechtkommt, ist ein Versager und kein richtiger Mann. Eine Ansicht, die besonders unter Männern selbst weiterhin sehr verbreitet ist.
Die Folgen dieser Haltung sind dramatisch. Männer machen Dinge mit sich selbst aus und kompensieren Probleme durch gefährdendes Verhalten wie Alkohol- und Drogenmissbrauch. Obdachlosigkeit, Straffälligkeit und Gewalttätigkeit sind weitere Auswirkungen, von denen in erster Linie Männer betroffen sind. Zwei Drittel aller Selbstmörder sind männlich. Ebenso kann man die Bereitschaft feststellen, dass Männer sich auf der Suche nach Gemeinschaft eher radikalen Gruppen anschließen. Dieses Verhalten ist nicht nur für die Männer selbst eine Belastung, sondern auch für ihre Familien, Freunde und Kolleg(inn)en.
Es braucht eine geschlechtsadäquate Ansprache
Fachkräfte aus der Praxis, die mit Jungen und Männern arbeiten, machen an einem bestimmten Punkt die Erfahrung, dass die Männer selbst unter ihrem Verhalten und ihrer Situation leiden und durchaus den Wunsch nach Unterstützung und Verständnis für ihre Situation haben. Dafür braucht es eine geschlechtsadäquate Ansprache und ein Beratungskonzept, die die Hemmungen der Männer, sich Unterstützung zu holen, entsprechend senken. Ein wichtiger Baustein dafür ist, dass Männer von Männern beraten werden.
Der Berater solidarisiert sich als Mann mit dem Klienten
Denn Männerberater arbeiten nicht als geschlechtsneutrale, distanzierte Fachkräfte mit geschlechtslosen Klienten, sondern als Männer mit Jungen und Männern. Der Berater solidarisiert sich als Mann mit dem Ratsuchenden und entsolidarisiert sich gleichzeitig von seinem grenzüberschreitenden Verhalten. Der Berater arbeitet mit der positiven Vision, das heißt, dass der Ratsuchende schon im Gespräch mit dem Berater erlebt, dass es eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Männern geben kann und wie viel es dort für ihn zu gewinnen gibt.1
Der SKM hat ein solches geschlechtsspezifisches Beratungskonzept für Männer entwickelt und beginnt nun mit dem Aufbau von Beratungsstellen. Das Angebot besteht aus den Bausteinen Jungenberatung, Männerberatung, Väterberatung und Gewaltberatung. Dies hat zum Ziel, dass Männer lernen, wertschätzend mit sich und anderen umzugehen und die Verantwortung für ihr Handeln und ihre Entscheidungen zu übernehmen. Aus der eigenen männlichen Sozialisation entstandene Selbst- und Rollenbilder werden reflektiert und hinterfragt. So finden sie als Mann eine Haltung, wie sie ihr Leben und wie sie Beziehungen zu ihren Partner(inne)n, Kindern, Freund(inn)en und Kolleg(inn)en gestalten wollen.
Dafür befinden sich zurzeit 13 Männer in Weiterbildung (die Weiterbildung von zehn Männern wird über das Projekt der Glücksspirale finanziert), die sich diese speziellen Beratungskompetenzen der Jungen- und Männerarbeit aneignen und sich daneben mit ihrem eigenen "Mann-Sein" auseinandersetzen. Die Praxis zeigt, dass Männer in die Beratung kommen, wenn sie die Sicherheit haben, dort auf gestandene Männer zu treffen, die sich ganz bewusst dazu bekennen, Fachmann für Männerfragen zu sein. Damit Männer Kontakt mit der Beratungsstelle aufnehmen, muss dies für sie schon in der Bewerbung des Angebotes deutlich sein. So erleben die Ratsuchenden die Beratung eher als Gespräche auf Augenhöhe zwischen Männern und weniger als Ausdruck von Schwäche, weil sie sich Unterstützung gesucht haben. Nur so lässt sich das Dilemma der Männer auflösen.
Einrichtungen in Trägerschaft des SKM oder unter dem Dach der verbandlichen Caritas, die sich bereits entschieden haben, geschlechtsspezifisch mit Männern zu arbeiten, erleben, dass die Zahl der Ratsuchenden steigt. Deutlich wird zudem, dass die Angebote zunehmend von jenen Männern in Anspruch genommen werden, die erkannt haben, dass sie durch ihr Verhalten Probleme haben oder Probleme verursachen.
Jungen und Männer brauchen solche Angebote
Bei der Etablierung von Beratungsstrukturen speziell für Jungen und Männer stößt man weiterhin vor Ort, in der verbandlichen Caritas und bei gesellschaftlichen, kirchlichen und politischen Entscheidern noch auf Skepsis. In der Debatte um Geschlechtergerechtigkeit gibt es oft den ersten Impuls, anzumerken, dass wir doch eher Unterstützung für die Frauen bräuchten. Oft sind es sogar die Männer selbst, die aus oben genannten Gründen bemüht sind, die Illusion, dass sie ihre Probleme immer alleine lösen könnten, aufrechtzuerhalten.
Die Erfahrung zeigt, dass die Etablierung von Beratungsstrukturen für Männer ein entscheidender Beitrag der Männer zur Geschlechtergerechtigkeit ist: sich die Tatsache einzugestehen, dass es normal ist, sich professionelle Unterstützung zu holen und Hilfe anzunehmen. So können Männer in Beratung lernen, verantwortungsvolle Entscheidungen für sich und andere zu treffen, und sich klarwerden, welche männlichen Rollenerwartungen sie erfüllen möchten und können und welche eben nicht. Um sich am Gleichstellungsprozess zu beteiligen, braucht es eine klare Haltung und die aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtlichkeit. In der Beratung unterstützen wir Jungen und Männer, eine eigene Haltung zu ihrer Rolle als Mann und ihren Bedürfnissen zu finden und so für den Dialog zur Geschlechtergerechtigkeit sprachfähig zu werden.
Wir laden alle interessierten Vereine dazu ein, sich gemeinsam mit uns in diesem spannenden und wichtigen Arbeitsfeld auf den Weg zu machen, denn vielerorts beginnt unsere Arbeit immer wieder mit derselben Frage: "Beratungs- und Hilfsangebote für Männer? Brauchen wir so was wirklich?"
Glauben Sie uns: ja! Wir brauchen sie wirklich!
Anmerkung
1. Oelemann, Burkhard/Lempert, Joachim: Gewaltberatung/Gewaltpädagogik mit Jungen, heranwachsenden Männern und Männern. Der Arbeitsansatz Deutschlands erster Gewaltberatungsstelle MÄNNER GEGEN MÄNNERGEWALT® Hamburg. In Möller, Kurt (Hrsg.): Nur Macher und Macho? Geschlechtsreflektierende Jungen und Männerarbeit, München, 1997, S. 273-299.
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