Willkommen bei Freunden
Weltweit gibt es nach derzeitigen Schätzungen über 50 Millionen Flüchtlinge. Ungefähr die Hälfte davon ist minderjährig, also Kinder und Jugendliche.1 Für das Jahr 2015 wird auch in Deutschland mit steigenden Flüchtlings- und Asylbewerberzahlen gerechnet. Nach den letzten statistischen Berechnungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) befanden sich zum Stichtag 30. April 2015 rund 38.000 Kinder bis zu sechs Jahren in einem Asylbewerbungsverfahren. Das entspricht einer Steigerung um 8000 Kinder in dieser Altersgruppe im Vergleich zum Jahresende 2014.2
Bisher treten diese Kinder nur wenig in Erscheinung. Dennoch ist die Frage, wie mit Flüchtlingskindern umgegangen werden soll, wichtig und drängend. Dieser Frage nahmen sich auch der Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) - Bundesverband und das Referat Migration und Integration des Deutschen Caritasverbandes (DCV) an. Gemeinsam veranstalteten sie Mitte Mai in Frankfurt am Main ein Forum zum Thema "Flüchtlingskinder in katholischen Kindertageseinrichtungen". Dazu waren Expert(inn)en aus den Bereichen Kita-Leitung, Fachberatung, Flüchtlings- und Migrationsdienst, Flüchtlingsbeauftragte, Familienberatung, Bedarfsplanung des Jugendamtes und Einrichtungsträger eingeladen. Sie diskutierten, welchen Rahmen Kindertageseinrichtungen, Politik und Gesellschaft schaffen müssen, damit Flüchtlingskindern der Zugang zur Kita erleichtert wird sowie welche konzeptionellen und strukturellen Handlungsbedarfe es gibt.
Dabei wurde immer wieder auf den unsicheren Aufenthaltsstatus von Flüchtlingskindern hingewiesen. Viele Leistungen, die Kindern nach dem achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII - Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe) zustehen, werden Flüchtlingskindern mit dem Verweis auf ihren noch nicht geklärten Aufenthaltsstatus vorenthalten. Erst wenn eine Duldung vorliegt, haben
sie Anspruch auf Leistungen nach § 6 SGB VIII.3 So werden sie aufgrund ihres Flüchtlingsdaseins stigmatisiert und erhalten kaum oder keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung, Angeboten der Jugendhilfe oder zu Bildung.
Auch Flüchtlingskinder lernen gern
Besonders der mangelhafte Zugang zu Bildung ist bedauerlich, da viele Flüchtlingskinder äußerst wissbegierig und lernfreudig sind. Zudem widerspricht diese ungleiche Behandlung der UN-Kinderrechtskonvention, die in Artikel 28 ein "Recht des Kindes auf Bildung"4 anerkennt und "die Verwirklichung dieses Rechtes auf der Grundlage der Chancengleichheit"5 fordert. Vor diesem Hintergrund sollte jedem Flüchtlingskind der Zugang zu einer Kindertageseinrichtung ermöglicht werden. Dafür setzt sich auch der KTK ein.6 Viele katholische, aber auch kommunale Kindertageseinrichtungen engagieren sich bereits auf diesem Gebiet. Dennoch besuchen Flüchtlingskinder eher selten eine Kindertageseinrichtung. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die Finanzierung des Kita-Platzes ist offen. Das Geld der Eltern reicht weder für den Rucksack noch für die obligatorische Brotdose. Die Kita ist zu weit von der Flüchtlingsunterkunft entfernt. In der Kita gibt es keinen freien Platz mehr. Da nicht klar ist, wie lange das Kind in Deutschland beziehungsweise vor Ort bleibt, stellt sich die Frage, ob sich eine Eingewöhnung überhaupt lohnt. Aber auch Unsicherheiten und Ängste erschweren Flüchtlingskindern den Zugang zu einer Kindertageseinrichtung. Vielen Eltern sind Institutionen wie Kindergärten oder Krippen aus ihren Heimatländern fremd und unbekannt, aber auch suspekt, da sie sich aus deren Perspektive in der Hand des Staates befinden.
Dabei ist es für Flüchtlingskinder von enormer Bedeutung, dass sie nach ihrer Fluchterfahrung wieder einen stabilen und regelmäßigen Alltag erhalten.7 Die Tagesstruktur einer Kindertageseinrichtung
bietet solch einen Alltag und eine Möglichkeit, aus der Isolation der Flüchtlingsunterkünfte herauszukommen, die in den meisten Fällen nicht kindgerecht sind. In der Kita kommen die Kinder mit anderen Kindern in Kontakt, lernen so Sprache und Kultur kennen und können sich in ihre neue Umgebung integrieren. Dadurch erleichtern sie auch ihren Eltern die Eingewöhnung in ein fremdes Land mit einer fremden Kultur und übernehmen die Funktion eines Brückenbauers.8
Um den Flüchtlingskindern das Ankommen zu erleichtern, ist eine Willkommenskultur sehr hilfreich. Sie zeigt dem Kind, aber auch dessen Eltern, dass es erwünscht und gerngesehen ist. Sie hilft aber auch den einheimischen Kindern, die bereits die Einrichtung besuchen, und deren Eltern, sich auf die "Neuen" einzulassen.
In der Kita erwünscht
Für Kinder mit einem Fluchthintergrund ist das Ankommen in Deutschland noch einmal ungleich schwieriger als für Kinder mit bloßem Migrationshintergrund. Zur fremden Kultur kommt noch die Fluchterfahrung hinzu, die vielen Kindern wie ein
Stigma anhaftet. Flucht wird häufig mit "Traumatisierung" und "Problembelastung" gleichgesetzt. Dass aber nicht alle Flüchtlinge automatisch traumatisiert sind, dass die Kinder häufig bereits mehrere Sprachen sprechen, wird dabei leicht übersehen. Flüchtlingskinder können für einheimische Kinder ein Türöffner in eine andere Kultur sein und einen Blick über den Tellerrand hinaus ermöglichen.9 Und es ist bedeutsam, dass Kinder mit der Tatsache von Flucht konfrontiert werden, denn es ist gegenwärtig davon auszugehen, dass die jetzt ankommenden Flüchtlinge hier heimisch werden. Die Kinder wachsen dadurch spielerisch in eine neue gesellschaftliche Situation hinein und lernen die Vorteile kultureller Vielfalt hautnah kennen.
Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) hat gemeinsam mit dem Land Sachsen ein Modellprojekt "Willkommenskitas" aufgelegt, bei dem sich vier Kindertageseinrichtungen unter Begleitung fit für Flüchtlingskinder in ihren Einrichtungen machen.10 Auch das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) hat Ende Mai in Zusammenarbeit mit der DKJS das Programm "Willkommen bei Freunden" präsentiert, bei dem jungen Flüchtlingen dabei geholfen werden soll, "ihr Grundrecht auf Bildung und Teilhabe wahrnehmen zu können"11. Auch Kindertageseinrichtungen können sich dafür bewerben.
Hinter der Aufnahme von Flüchtlingskindern in katholischen Kindertageseinrichtungen lässt sich auch ein christliches Werteideal erkennen: in jedem Menschen Christus sehen. Fluchtgeschichten und Fluchterfahrungen aus dem Alten und dem Neuen Testament nehmen die katholischen Kitas zum Anlass, sich für Flüchtlingskinder einzusetzen. Wichtig bei der Aufnahme von Flüchtlingskindern ist es, das Kind als das zu sehen, was es ist - nämlich ein Kind wie jedes andere, mit eigenen Bedürfnissen und Kompetenzen, das Schutz braucht und Geborgenheit sucht.
Anmerkungen
1. Vgl. Berthold, T.: In erster Linie Kinder. Flüchtlingskinder in Deutschland. Köln: Deutsches Komitee für UNICEF e.V., 2014, S. 10 ff.
2. Angeforderte statistische Auswertung aus dem Ausländerzentralregister des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Mai 2015.
3. Vgl. Berthold, T., 2014, S. 45.
4. Übereinkommen über die Rechte des Kindes, Art. 28 (1). Online verfügbar unter: www.national-coalition.de/pdf/UN-Kinderrechtskonvention.pdf
5. Übereinkommen über die Rechte des Kindes, Art. 28 (1).
6. Vgl. Jansen, F.: Kinderrechte sind die Rechte aller Kinder! In: Welt des Kindes Heft 4/2014, S. 25.
7. Vgl. Rothkegel, S.: Gemeinsam stark! In: Meine Kita Heft 2/2015, S. 5-8, hier S. 6/8.
8. Diese Funktion kann sich allerdings auch belastend auf das Kind auswirken, da bei den Eltern eine Erwartungshaltung entstehen kann, die das Kind überfordert.
9. Vgl. Fthenakis, W. E.: Unsere Gesellschaft braucht diese Kinder. In: Meine Kita Heft 2/2015, S. 14.
10. Vgl. Möller, A.: Mit offenen Armen. In: Meine Kita Heft 2/2015, S. 12-13; Heitkamp, S.: Willkommen im Spatzennest. In: Erziehung & Wissenschaft Heft 1/2015, S. 14.
11. Weitere Information zum Programm unter: www.dkjs.de/themen/alle-programme/willkommen-bei-freunden/
Und was bewirken Sie so?
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