Zwei Paar Stiefel: Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft
In zahlreichen Einrichtungen der Caritas müssen auch außerhalb der regulären Arbeitszeit Menschen mit Behinderung betreut, kranke Menschen versorgt und technische Einrichtungen aufrechterhalten werden. Um diese Leistungen sicherzustellen, kann der Dienstgeber anordnen, dass sich die Mitarbeiter(innen) im Rahmen eines Bereitschaftsdienstes oder einer Rufbereitschaft bereithalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen. Die "Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes" (AVR) enthalten in der Anlage 5 (Arbeitszeitregelungen) sowie in den Anlagen 30 bis 33 (Sonderregelungen für Ärzte, Mitarbeiter im Pflegedienst sowie im Sozial- und Erziehungsdienst) rechtliche Vorgaben, unter welchen Voraussetzungen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft angeordnet werden dürfen und wie diese Dienste zu vergüten sind.
Ort und Intensität der Arbeit machen den Unterschied aus
Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft unterscheiden sich nach der Örtlichkeit, an der sich der Mitarbeitende während des Dienstes aufhält, sowie der Intensität der zu erwartenden Arbeitsleistung.
Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit
Während des Bereitschaftsdienstes muss sich der Mitarbeiter an einer "vom Dienstgeber bestimmten Stelle" aufhalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen. Aufenthaltsort und Arbeit sind in der Regel in der Einrichtung selbst. Nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ist der Bereitschaftsdienst mit der Gesamtdauer der Anwesenheit in der Einrichtung der Arbeitszeit zuzurechnen.1
Bereitschaftsdienst darf nur angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. Die Arbeitsbelastung innerhalb des Bereitschaftsdienstes muss somit durchschnittlich bei weniger als 50 Prozent liegen. Unerheblich ist dabei, wenn der überwiegende Teil der innerhalb eines Bereitschaftsdienstes zu leistenden Arbeit in einem festen Block, beispielsweise in unmittelbarem Anschluss an die regelmäßige Arbeitszeit, anfällt.2
Praxistipp:
Setzt der Mitarbeitende seine Arbeitsleistung nach dem Regeldienst fort, arbeitet er also in den Bereitschaftsdienst hinein, so kann der Dienstgeber dies als Arbeitsleistung während des Bereitschaftsdienstes werten. Der Dienstgeber ist nicht verpflichtet, insoweit Überstunden anzuordnen. Eine Zäsur der Arbeit ist nicht erforderlich.3 Die Arbeitsbelastung während des Bereitschaftsdienstes wird in der Regel durch Aufschriebe während eines repräsentativen Zeitraums, zum Beispiel innerhalb von drei Monaten, ermittelt.
Rufbereitschaft gehört zur Ruhezeit
Bei Rufbereitschaft hält sich der Mitarbeitende an einem von ihm selbst gewählten, also dem Privatbereich zuzuordnenden Ort auf, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Die Rufbereitschaft gehört zur Ruhezeit. Nur die tatsächliche Arbeitsleistung innerhalb der Rufbereitschaft gilt als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG.
Praxistipp:
Der Mitarbeitende ist in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht völlig frei. Er muss seinen Aufenthaltsort so wählen, dass der Einsatz im Bedarfsfall nicht gefährdet ist. Er muss die Arbeitsstelle "in angemessen kurzer Zeit" erreichen können. Genaue zeitliche Vorgaben des Dienstgebers, innerhalb welcher Zeitspanne der Mitarbeitende seine Arbeitsstelle erreichen können muss, sind kritisch zu betrachten. So hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) das Vorliegen von Rufbereitschaft verneint, wenn eine Rettungswache anordnet, die Mitarbeiter(innen) müssten innerhalb von zehn Minuten ihren Dienst in der Rettungswache aufnehmen können.4 Gleiches gilt, wenn einem Oberarzt für die anästhesiologische Betreuung der Geburtshilfeabteilung eines Krankenhauses eine zeitliche Vorgabe von 15 bis 20 Minuten gegeben wird.5
Rufbereitschaft darf in Krankenhäusern sowie Pflegeeinrichtungen und Heimen nur angeordnet werden, wenn lediglich "in Ausnahmefällen" Arbeit anfällt. Damit darf Arbeit zwar gelegentlich anfallen, die Zeiten ohne Arbeitsanfall müssen jedoch die Regel sein. Die Häufigkeit der Einsätze ist entscheidend.6
Praxisbeispiel:
Bei circa sechs Prozent Arbeitsleistung innerhalb der Rufbereitschaft und einem Einsatz etwa an jedem zweiten Tag der Rufbereitschaft liegt Arbeit "in Ausnahmefällen" vor.7
In sonstigen Einrichtungen darf Rufbereitschaft angeordnet werden, wenn innerhalb eines Zeitraums von sechs Kalendermonaten im Durchschnitt weniger als ein Achtel der Zeit der Rufbereitschaft mit Arbeitsleistung belegt ist. Damit dürfen beispielsweise bei einer 24-stündigen Rufbereitschaft maximal drei Stunden Arbeit anfallen.
Das Bereitschaftsdienstentgelt
Die AVR sieht hinsichtlich des Bereitschaftsdienstentgelts, der Zuschläge sowie der Möglichkeit, Bereitschaftsdienst durch Freizeit abzugelten, für die verschiedenen Mitarbeitergruppen unterschiedliche Regelungen vor. Diese können nachfolgend nur exemplarisch und im Überblick dargestellt werden.
Bereitschaftsdienstentgelt im Krankenhaus
Mitarbeitende im Pflegedienst (Anlage 31 § 7)
Der Bereitschaftsdienst (BD) wird entsprechend der durchschnittlich anfallenden Arbeitsleistung einer Stufe zugeordnet und als Arbeitszeit gewertet. Zusätzlich wird die Anzahl der im Kalendermonat geleisteten Bereitschaftsdienste berücksichtigt (siehe Tabelle). Leistet ein Mitarbeiter beispielsweise acht Bereitschaftsdienste der Stufe B im Kalendermonat, so wird der Bereitschaftsdienst mit 50 Prozent als Arbeitszeit gewertet und mit Überstundenvergütung bezahlt. Die errechnete Arbeitszeit kann nach Aufrundung auf eine halbe Stunde durch Freizeit abgegolten werden.
Der Zeitzuschlag von 15 Prozent der Stundenvergütung für Bereitschaftsdienste in den Nachtstunden wird hier bereits ab 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr gewährt (Anlage 5 § 9).
Bereitschaftsdienstentgelt in Pflegeeinrichtungen und Heimen
Für Pflegeeinrichtungen und Heime sieht die AVR ähnlich komplexe Regelungen vor.
- Für Pflegekräfte zum Beispiel in Altenpflegeeinrichtungen entspricht das Bereitschaftsdienstentgelt den in der Tabelle dargestellten Regelungen (vgl. Anlage 32 § 7).
- In Kinderheimen oder Behinderteneinrichtungen wird der Bereitschaftsdienst mit 25 Prozent, ab dem neunten Bereitschaftsdienst zusätzlich mit 15 Prozent gewertet (Anlage 32 § 7 Abs. 3 sowie Anlage 5 § 9).
Das Rufbereitschaftsentgelt
Die Rufbereitschaft wird mit einer Pauschale vergütet. Daneben besteht Anspruch auf Entgelt für die tatsächliche Arbeitsleistung während der Rufbereitschaft. Die Regelungen zum Rufbereitschaftsentgelt sind wie folgt festgelegt:
- für die Mitarbeitenden im Pflegedienst in den Anlagen 31, 32 § 6 Abs. 3, für Ärzte in Anlage 30 § 7 Abs. 3; Arbeitseinsätze in der Einrichtung werden auf die nächste volle Stunde aufgerundet,
- für die übrigen Mitarbeiter in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, Heimen in Anlage 5 § 9 Abs. 5 (Drei-Stunden-Garantie) sowie
- für sonstige Einrichtungen in Anlage 5 § 7 Abs. 6 (Drei-Stunden-Garantie).
Anmerkungen
1. Europäischer Gerichtshof, Urteil v. 3. Oktober 2000 - Rs. C-303/98 (SIMAP); 9. September 2003 - Rs. C-151/02 (Jaeger).
2. BAG, Urteil v. 12. Februar 1992 - 4 AZR 314/91.
3. BAG, Urteil v. 25. April 2007 - 6 AZR 799/06. Zur Anordnung von Überstunden und zu der darin liegenden Aufhebung einer vorher angeordneten Rufbereitschaft vgl. BAG, Urteil v. 26. November 1992 - 6 AZR 455/91.
4. BAG, Urteil v. 19. Dezember 1991 - 6 AZR 592/89.
5. Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil v. 20. September 2012 - 11 Sa 81/12 zum TVöD.
6. BAG, Urteil v. 4. Dezember 1986 - 6 AZR 123/84.
7. Landesarbeitsgericht Frankfurt a.M., Urteil v. 28. Juli 1988 - 9 Sa 977/87.
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