Bleiben oder gehen?
Bleiben oder gehen - zwischen diesen Polen bewegt sich der künftige Lebensweg von ratsuchenden Frauen, die in den Projekten "EVA" und "Magdalena" des Caritasverbandes Wuppertal/Solingen betreut werden. Seit einigen Jahren kümmern sich die Mitarbeiterinnen um Frauen, die Opfer von Menschenhandel, Zwangsprostitution und Arbeitsausbeutung wurden. Manche wurden zwangsverheiratet oder in binationalen Partnerschaften oder Ehen Opfer von Gewalt. Neben der Hilfe in der aktuellen Krisensituation geht es darum, eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. Die Projekte "EVA" (für Frauen aus Drittstaaten) und "Magdalena" (für EU-Angehörige) umfassen einen großen Aktionsraum, der von einem enormen bürokratischen Aufwand bestimmt wird. Jeder einzelne Fall erfordert eine einfühlsame und sorgende Betrachtung.
20 Jahre, zwangsverheiratet, zur Prostitution gezwungen
Danitza war erst 20. Aus einer Zigarettenschachtel zog sie ein Faltblättchen und hielt es der Caritas-Mitarbeiterin am Schreibtisch hin. Der mehrsprachige Infoflyer von "EVA" ist zum Verstecken extra klein. Irgendwer hatte Danitza das Papier zugesteckt. Glück im Unglück und der Anfang vom Ende einer langen Leidensgeschichte. Die junge Romni war vor Jahren als Flüchtling mit ihrer Familie aus Serbien nach Deutschland gekommen. Der wesentlich ältere Mann, mit dem sie verheiratet wurde, entpuppte sich als gewalttätiger Tyrann. Er zwang sie unter Todesdrohungen zur Prostitution, bis ihr die Flucht gelang. Völlig mittellos stand sie eines Morgens vor Elisabeth Cleary, Projektleiterin von "EVA". Im Gästeappartement im Internationalen Begegnungszentrum der Wuppertaler Caritas fand Danitza zunächst einen geschützten Unterschlupf.
Bei den ersten Gesprächen wurde schnell klar, dass die junge, gedemütigte und traumatisierte Frau nicht in der Lage war, Perspektiven für ihre Zukunft zu entwickeln. Die Frage nach dem "Bleiben oder Gehen" schien ihr in jeder Hinsicht hoffnungslos. Ohne Schulbildung glaubte sie, auch in Serbien nur von der Prostitution leben zu können. Nach drei Tagen verschwand Danitza zu einer Bekannten. Würde die junge Frau wiederkommen? Elisabeth Cleary leitete trotzdem alle Formalitäten zur Beschaffung von Ersatzpapieren ein. Sie nahm Kontakt mit der Caritas in Belgrad auf, um für Danitza eine Anlaufstelle und Unterstützung für den Neustart in Serbien zu sichern. Anträge wurden vorbereitet, um bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM) finanzielle Hilfen für eine Rückkehr zu mobilisieren.1
Mit der Rückreise bricht der Kontakt zu den Frauen ab
Eine Woche später tauchte Danitza wieder auf. Sie hatte selbst Kontakt zu einer Tante in Serbien hergestellt, die bereit war, sie aufzunehmen. Danitza unterschrieb die bereitliegenden Formulare. Drei Wochen später war die Unterstützung der IOM da. Die Organisation zahlte die Busfahrt und eine Reisebeihilfe. Außerdem wurde eine finanzielle Starthilfe zugebilligt, da Serbien als "migrationspolitisch bedeutsames Herkunftsland" gilt. Kurz darauf trat Danitza tatsächlich die Rückreise an. Später meldete die Caritas Belgrad, dass man die junge Frau am Busbahnhof abgeholt und sie bei der Weiterfahrt zu ihrer Tante unterstützt habe. "Leider hören wir von den meisten Frauen nach ihrer Rückreise nie wieder", bedauert Elisabeth Cleary.
Von 136 Frauen, die in den Jahren 2011 bis 2013 über das Projekt "EVA" betreut wurden, entschieden sich 26 für eine freiwillige Rückkehr. Ihre Geschichte in der Projektdokumentation endet mit dem Tag der Ausreise. Für die 24-jährige Anandi dagegen wäre eine Rückkehr in die Heimat lebensgefährlich. Dabei hatte sich ihr Leben dort zunächst vielversprechend entwickelt. Die junge Afrikanerin hatte die Schule absolviert, durfte sogar ein Studium anschließen. Als sie einen Job im Nachbarland annehmen wollte, zog ihre Familie die Notbremse. Anandi war "versprochen" und außerhalb der Landesgrenze wäre sie nicht mehr greifbar gewesen. Als sie sich zu widersetzen versuchte, ging alles ganz schnell. Sie wurde eingesperrt, gequält, geschlagen und "stellvertretend" mit dem Bruder ihres zukünftigen Ehemanns verheiratet.
Die Familie besorgte ein Visum und schon wenige Tage später saß die Studentin in einem Flugzeug Richtung Deutschland. In Düsseldorf wurde sie von ihrem ihr bis dahin unbekannten Ehemann in Empfang genommen. Der wesentlich ältere, schon seit Jahren in Deutschland lebende Afrikaner hatte bereits einen Termin beim Standesamt organisiert. Kurz darauf war Anandi auch nach deutschem Recht verheiratet. Ihre Ehe war die Hölle, voller Misshandlungen und Vergewaltigungen. In einem unbeobachteten Moment gelang ihr die Flucht. "Anandi droht als Strafe für ihren Ungehorsam bei einer Rückkehr durch ihre Familie Schlimmstes. Das Spektrum reicht von erneuter Zwangsverheiratung bis hin zu Verstümmelung und Tod", sagt Caritas-Sozialarbeiterin Agata Kozlowski. Sie hilft zusammen mit einer Rechtsanwältin der jungen Frau bei der Annullierung ihrer Ehe und der dauerhaften Sicherung ihres Aufenthaltes in Deutschland.
Die "Ware Mensch" ist zu 76 Prozent weiblich
Menschenhandel ist eines der widerwärtigsten Verbrechen unserer Zeit und hat doch Hochkonjunktur. Die "Ware Mensch" ist zu 76 Prozent weiblich. Die betroffenen Mädchen und Frauen werden aus ihren Herkunftsländern verschleppt oder unter Vortäuschung falscher Tatsachen zur Ausreise gelockt. Unter Androhung und Anwendung von Gewalt werden sie Opfer von Arbeitsausbeutung, Zwangsprostitution oder Zwangsverheiratung. Die Europäische Union geht davon aus, dass dieses Geschäft auf einem global blühenden Markt jährlich rund 25 Milliarden Euro Gewinn bringt. Betroffen sind auch Angehörige von EU-Staaten. Mitfinanziert durch die Aktion Mensch bietet das Projekt "Magdalena" beim Caritasverband Wuppertal/Solingen diesen Opfern Unterstützung an. 30 neue Projektteilnehmerinnen waren es alleine im Jahr 2013. Sie kamen aus Rumänien, Tschechien, Polen und aus Bulgarien.
Milena stammt aus Bulgarien. Als ihr eine Arbeit als Altenbetreuerin in Deutschland versprochen wurde, schien die erhoffte Flucht aus der bitteren Armut möglich. Doch die Reise zum neuen Job endete in einem Bordell in Wuppertal, in dem man ihr zunächst einmal die Papiere abnahm. Vier Monate arbeitete sie hier Tag und Nacht. Vom verdienten Geld blieb ihr nichts. Sie müsse neben der Zimmermiete erst noch ihre Reisekosten abbezahlen, hatte ihr der Bordellbesitzer zu verstehen gegeben.
Ein Freier arrangierte den Termin bei der Caritas
Es war ausgerechnet ein Freier, dem die Traurigkeit der jungen Frau auffiel. Er nahm Kontakt zur Caritas auf und arrangierte einen Besuch der jungen Prostituierten in der Beratungsstelle. Milena wurde in einer geschützten Fraueneinrichtung untergebracht und medizinisch und psychotherapeutisch betreut. Milena will schnell wieder in ihre Heimat zurück. Im Projekt "Magdalena" wurde alles für sie in die Wege geleitet. Der Antrag bei der IOM läuft. Die Ersatzpapiere sind bereits besorgt. Die Caritas Sofia wird sie in Empfang nehmen. Und über das Netzwerk der Frauenrechtsorganisation La Strada in Bulgarien wird man Milena hoffentlich eine Arbeit vermitteln können, die ihr ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht.
Die katholische Kirche und die islamische Al-Azhar-Universität in Kairo haben im März 2014 im Vatikan zusammen mit anderen Partnern ein "Globales Netz für Freiheit" gegen Menschenhandel und Sklaverei gegründet. "Neben unserer Einzelfallhilfe ist es wichtig, dass konfessionsübergreifend öffentliche Aufmerksamkeit auf das Schicksal der Betroffenen gerichtet und weltweit Aufklärung betrieben wird", begrüßt Agata Kozlowski dieses interreligiöse und internationale Engagement. In ihrer Caritasarbeit im Bergischen Land ist sie täglich mit den Auswüchsen der globalen Menschenverachtung konfrontiert.
Anmerkung
1. Die Bundesrepublik Deutschland ist seit 1954 Mitgliedstaat der IOM. In enger Kooperation mit staatlichen und nichtstaatlichen Partnern aus Politik, Zivilgesellschaft und Forschung verfolgt die IOM in Deutschland schwerpunktmäßig die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration, die Hilfe bei Aus- und Weiterwanderung, die Bekämpfung des Menschenhandels und die Integration von Migrant(inn)en.
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