Auf die Mitarbeiterinnen kommt es an!
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im November 2012 das Streikverbot bei Kirche und Caritas an Bedingungen geknüpft. Sehen Sie diese bei der Caritas erfüllt?
Alle Einrichtungen der Caritas sind derzeit bestreikbar. Denn die Gewerkschaften sind noch nicht, wie vom Bundesarbeitsgericht gefordert, organisatorisch in den Dritten Weg eingebunden. Das Risiko für Einrichtungen der Caritas, bestreikt zu werden, ist allerdings sehr gering. Die AVR regeln für die Beschäftigten in weiten Bereichen ein Bezahlniveau ähnlich dem des öffentlichen Dienstes. Im Bereich der Regionalkommission Ost, wo dies zurzeit nicht erreicht wird, bezahlen die Mitbewerber um gutes Personal in der Regel unter Caritas-Niveau. Außerdem ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad dort, wie fast überall in der Caritas, so gering, dass in absehbarer Zeit in Tarifauseinandersetzungen mit tatsächlichen Streikmaßnahmen nicht zu rechnen ist.
Die weiteren Bedingungen des Bundesarbeitsgerichts sind insofern weitgehend erfüllt, als die Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission (AK) der Caritas in Pattsituationen eine verbindliche, neutral besetzte Schlichtung vorsieht. Eine einseitige Entscheidung eines Trägers, welchen Tarif er anwendet, ist schwierig. Präzisierende Regelungen werden wohl im Laufe des nächsten Jahres getroffen werden.
Wie könnte man die Gewerkschaften konkret einbinden?
Die Diskussion darüber wird derzeit breit geführt. Wie gerichtsfeste Lösungen aussehen können, ist noch völlig offen. Für die Mitarbeiterseite der AK ist klar, dass die gewerkschaftliche Einbindung nur so erfolgen kann, dass ihre Verhandlungsmacht gestärkt und ihre derzeit relativ erfolgreiche Arbeit durch einen Totalumbau ihrer Seite nicht gefährdet werden darf. Besonders pikant wird die Situation dadurch, dass die maßgeblichen Gewerkschaften den Dritten Weg trotz des ausgleichenden Urteils des BAG weiterhin abschaffen wollen, eine organisatorische Einbindung also deren eigenen Interessen völlig widerspricht.
Der DCV hat eine Empfehlung zum Umgang mit Gewerkschaften herausgegeben. Ist das ein gangbarer Weg?
Die Empfehlung mag juristisch korrekt sein, politisch war sie ungeschickt. Sie setzt auf Abgrenzung statt auf Dialog. Weshalb der Vorstand des DCV sich überhaupt in das Tarifgeschäft einmischt, ist weder auf unserer noch der Dienstgeberseite in der AK verstanden worden. Eine Satire waren uns die Handreichungen aber allemal wert (siehe dazu auch www.akmas.de).
Bis Ende 2013 sollten sich die Mitglieder der Caritas zur Grundordnung (GO) bekennen und damit zum Dritten Weg. Wer dies nicht getan hat, agiert also künftig im Zweiten Weg?
Gestatten Sie mir eine Präzisierung. Träger, die die GO nicht übernehmen, können das kirchliche Arbeitsrecht insgesamt nicht mehr anwenden. Es gilt dann rein weltliches Arbeitsrecht.
Welche Konsequenzen wird das haben?
Fragen nach der Religionszugehörigkeit im Bewerbungsgespräch oder Fragen nach der weltanschaulichen Fundierung sowie Förderung der christlichen Religiosität der Beschäftigten verbieten sich. Der Arbeitgeber muss weltanschaulich neutral, also "religionsblind" sein. Die MAV verliert ihre Rechtsgrundlage und die Beschäftigten können einen Betriebsrat bilden. Der Arbeitgeber braucht die Bildung des Mitbestimmungsorgans nicht zu fördern, wie in der MAVO vorgesehen, sondern kann offen oder subtil solche Organisationsbemühungen stören.
Können dann nicht die Gewerkschaften verhandeln?
Auch der Zweite Weg, also der Abschluss von Tarifverträgen zwischen einer Gewerkschaft und dem jetzt weltlichen Träger, entsteht nicht automatisch. Zunächst legt der Arbeitgeber einseitig fest, was er bezahlt. Der auf Arbeit angewiesene Arbeitnehmer bleibt in der Regel der schwächere Verhandlungspartner (Erster Weg). Erst durch die (meist konfrontative) Aktivität der Belegschaft oder der Gewerkschaft kommt es zu einem Tarifvertrag, der den abhängig Beschäftigten schützt.
Wird es dann bald eine kirchlich-katholische und eine weltliche Caritas geben?
Wozu sollte man eine weltliche Caritas brauchen? Und was wäre das dann? Theologisch und kirchenrechtlich ist dazu das Nötige von Papst Benedikt XVI. geregelt worden in der Enzyklika "Deus caritas est" und dem daraus folgenden Motuproprio "Über den Dienst der Liebe". Sowohl die Gewerkschaften als auch bestimmte katholisch-konservative Kreise müssen noch lernen, dass Arbeit in der Caritas existenzieller Teil des kirchlichen Sendungsauftrags war, ist und bleiben wird und es sich eben nicht um "hundsgewöhnliche Arbeitsplätze wie überall" handelt. Mitarbeitende, Vorgesetzte und Betreute leiten daraus letztendlich religiöse, den Kern des Menschseins berührende Erwartungen und Ansprüche ab. Denen gilt es gerecht zu werden. Gelingt es der Caritas nicht immer wieder neu, diese Ansprüche und Erwartungen zu spüren, zu formulieren und auch nach außen zu tragen und ihnen in ihrer Alltagsarbeit gerecht zu werden, dann braucht es die Caritas tatsächlich nicht mehr. Dann braucht es aber auch Kirche in der Welt nicht mehr.
Wo sollte künftig der gemeinsame Caritas-Tarif AVR beraten und beschlossen werden?
Der Vorteil der AVR, dass sie flächig und unabhängig vom gewerkschaftlichen Organisationsgrad der Beschäftigten zustande kommen, muss beibehalten werden. Unser Caritas-Tarif stabilisiert den Wert der Sozialen Arbeit auch in Bereichen, in denen der Markt die Beschäftigten massiv unter Druck setzt. Stichwort sind hier die unteren Vergütungsgruppen. Die verbandsweit geltenden AVR verhindern auch das Auseinanderfallen der Caritas-Tariflandschaft und eine innerverbandliche Konkurrenz über die Gehälter. Diese Tarifklammer stabilisiert den Wert der Sozialen Arbeit ebenfalls. Dringend müssen sich aber die Beschäftigten verstärkt für die höhere Bewertung der Sozialen Arbeit einsetzen. Das schafft der Dritte Weg alleine nicht. Dazu bedarf es starker Gewerkschaften. Daher ist es, völlig unabhängig von der "Wegefrage", dringend erforderlich, dass sich Caritasmitarbeiter verstärkt für ihre Belange einsetzen und die Gewerkschaften in ihrem Kampf um die Verteilung der Mittel in unserer Gesellschaft zugunsten der "Sozialbranche" stärken. Es kann nicht so bleiben, dass Caritaseinrichtungen quasi gewerkschaftsfreie Zonen darstellen, dass die Tarifauseinandersetzungen um die Fortentwicklung des TVöD (als Leitwährung für die AVR) ohne Caritas-Schub stattfinden und dass die Beschäftigten der Caritas in den Gremien der Gewerkschaften marginal vertreten und damit ohne relevanten Einfluss sind.
Könnte da nicht ein gemeinsamer flächendeckender Tarifvertrag "Soziales" abhelfen?
Ziel muss sein, dass der Wettbewerb in der Sozialbranche über Qualität und nicht über die Bezahlung der Beschäftigten geführt wird. Ein einheitlicher "Tarif Soziales" auf Höhe des TVöD und der AVR ist dafür sinnvoll. Dafür muss die Politik die Ergebnisse des Zweiten und des Dritten Weges für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung kompatibel machen. Das Tarifvertragssystem in die Caritas einzuführen hilft nicht weiter. Denn wer Tarifvertragssystem sagt, muss auch Tarifautonomie und negative Koalitionsfreiheit sagen. Die Caritasträger erhielten das Recht, selbstständig Tarifverträge abzuschließen. Die AVR als Flächentarif der Caritas würden in kürzester Zeit zerfleddern, die Tariflandschaft in der Sozialbranche weiter erodieren.
Das Diakonische Werk hat im Oktober 2013 seine AK-Dienstnehmerseite für "Gewerkschaften und Mitarbeiterverbände" geöffnet. Kann das für die Caritas ein Vorbild sein?
Die Welt der diakonischen Tarifsetzung ist hoch zersplittert und hoch konfliktiv. Ob es gelingen wird, ein von einer maßgeblichen Mehrheit der dort Beschäftigten akzeptiertes und mitgetragenes Arbeitsrechtsregelungsverfahren im Sinne der Dienstgemeinschaft zu finden und stabil zu halten, vermag ich derzeit nicht abzuschätzen. Gibt die Diakonie aber ihr eigenständiges kirchliches Arbeitsrechtsregelungsverfahren auf, muss die Caritas ihr kirchliches Arbeitsrecht als Verweigerung der Selbstsäkularisierung noch besser und als Alleinstellungsmerkmal deutlich offensiver der Politik, den Gerichten und der Öffentlichkeit darstellen - und natürlich ausnahmslos anwenden.
Gibt es auf lokaler Ebene in der Caritas Kooperationen mit Gewerkschaften oder sind diese mit den neuen Möglichkeiten seit November 2012 eher überfordert?
Sowohl regional als auch überregional bestehen gute Beziehungen zwischen den Gewerkschaften und Mitarbeitervertretern des kirchlichen Weges. Diese sind jedoch noch nicht flächig vorhanden und finden oberhalb der betrieblichen Ebene statt. Was völlig fehlt, ist eine gewerkschaftliche Kultur in den Einrichtungen. Gewerkschaften wachsen von unten. Hier ist noch viel zu tun, wenn sich Belegschaften aktiv in die Höherbewertung der Sozialen Arbeit einmischen sollen.
Hoffnungsvoll stimmen Meldungen wie die, dass Sylvia Bühler, Leiterin des auch für die kirchlichen Wohlfahrtsverbände zuständigen Fachbereichs 3 des Verdi-Bundesvorstandes, kürzlich die Caritas-Reha-Klinik in Hindelang besuchte und zusammen mit der gewerkschaftlichen Betriebsgruppe und der Einrichtungsleitung forderte, dass die Refinanzierungsbedingungen im Reha-Bereich dringend verbessert werden müssen. Dass man sich um seine Arbeitsbedingungen aktiv kümmern muss, haben die (vor allem männlichen) Kollegen im produzierenden Gewerbe, vor allem im Metall- und Chemiebereich, deutlich früher und besser gelernt. Für die (vorwiegend weiblichen) Belegschaften im Sozialbereich und damit auch bei der Caritas besteht hier dringender Nachholbedarf.
Caritas und Verdi können gemeinsam viel erreichen
Einbindung statt Konfrontation eröffnet Chancen
Die Position der Dienstnehmer ist deutlich zu stärken
Das Militär geht, die Caritas bleibt
Führung und Aufsicht wirksam aufstellen
…und wieder nur abgestellt
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}