Einbindung statt Konfrontation eröffnet Chancen
Das Bundesarbeitsgericht hat am 20. November 2012 in seinem Urteil zum einen das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen bekräftigt. In der Urteilsbegründung heißt es wörtlich: "Der Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts erfasst die individualrechtliche und kollektivrechtliche Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen der in kirchlichen Einrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer." Gleichzeitig betont das Gericht die notwendige Güterabwägung zur verfassungsrechtlich garantierten Koalitionsfreiheit nach Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes und stellt fest, dass sich das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften nicht wechselseitig völlig ausschließen.
In der Konsequenz bedeutet dies: organisatorische Einbindung von Gewerkschaften in das Verfahren des Dritten Weges. Noch ist offen, wie dies auszugestalten ist. Eine zentrale Frage lautet allerdings: Welche Gewerkschaften sind einzubeziehen? Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD sieht auf Seite 70 die Wiederherstellung der Tarifeinheit vor. Unter der Überschrift "Tarifeinheit gesetzlich regeln" wird wörtlich ausgeführt: "Um den Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken, wollen wir den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip unter Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesetzlich festschreiben. Durch flankierende Verfahrensregelungen wird verfassungsrechtlich gebotenen Belangen Rechnung getragen." Dies bedeutet kurz und knapp: ein Unternehmen - ein Tarif. Diese politische Entscheidung, wenn sie denn kommt und verfassungsrechtlich Bestand hat, hätte auch Auswirkungen auf die Umsetzung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom November 2012. Allerdings können die angesprochenen "flankierenden Verfahrensregeln" auch bedeuten, im Dritten Weg diesen Belangen direkt Rechnung zu tragen und eine Berücksichtigung der "relevanten" Gewerkschaften nach dem Mehrheitsprinzip von Anfang an vorzusehen.
Aber wie sähe eine pragmatische Lösung aus? Je nach Organisationsgrad in den Einrichtungen und Diensten der Caritas könnte die Arbeitsrechtliche Kommission (AK) mit einer entsprechenden Anzahl von Gewerkschaftsvertreter(inne)n aufgestockt werden. In der Regel dürften dies die Verhandlungsführer oder andere Gewerkschaftsmitglieder in ähnlicher Funktion sein. Das Bundesarbeitsgericht führt dies in seiner Urteilsbegründung nicht weiter aus. Nach dem Tenor des Urteils ist allerdings auch davon auszugehen, dass Einschränkungen wohl kaum akzeptabel sein dürften (zum Beispiel in Bezug auf Kirchenzugehörigkeit oder Anstellungsverhältnis innerhalb von Kirche oder Caritas). Anhaltspunkte in der Urteilsbegründung gibt es hierzu nicht, und insofern dürfte es den Gewerkschaften offen bleiben, wen sie benennen.
Beide Seiten müssten aufgestockt werden
In der Caritas ist die Arbeitsrechtliche Kommission für die Ausgestaltung der Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) zuständig. Deren Ordnungsgeber ist die Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes. Der Verband der Diözesen Deutschlands (VDD) hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Konsequenzen aus dem Urteil und Vorschläge erarbeiten soll, wie die Gewerkschaften eingebunden werden sollen (siehe Statement auf dieser Seite). Innerhalb der verbandlichen Caritas wird sich dann ein Diskussionsprozess anschließen müssen, der in konkrete Vorschläge zur Änderung der AK-Ordnung mündet, über die die Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes zu beraten und entscheiden hat. Wenn die Dienstnehmerseite aufgestockt werden sollte, bedeutet dies gleichzeitig, dass die Dienstgeberseite mit einer entsprechenden Anzahl von Sitzen zu ergänzen ist, da im Dritten Weg Kommissionen immer paritätisch zu besetzen sind. Völlig unabhängig von einer Diskussion, ob die Bundeskommission mit bisher jeweils 28 Sitzen auf der Dienstnehmer- und der Dienstgeberseite nicht völlig überdimensioniert ist, können in den zusätzlichen Sitzen für die Dienstgeber durchaus Chancen gesehen werden. Wenn sie ein Pendant zu den Gewerkschaftssitzen sein sollen und müssen, liegt es hier nahe, einen Dienstgeberverband beziehungsweise eine Dienstgeberorganisation zu etablieren. Den Gewerkschaften müsste ein im Organisationsgrad ähnliches Äquivalent gegenübergestellt werden - natürlich im opportunen Verhältnis zum Einfluss der Gewerkschaften in der Caritas.
Wenig Neigung, sich gewerkschaftlich zu organisieren
Ob sich der eigentliche Wunsch der Gewerkschaften, in der Caritas Mitglieder zu werben und zu bekommen, tatsächlich verwirklichen lässt, bleibt durchaus fraglich. In der Pflege zum Beispiel ist der Wunsch, sich gewerkschaftlich zu organisieren, kaum feststellbar. Dies gilt für Mitarbeiter(innen) in allen Krankenhausträgergruppierungen (egal ob kommunale, private oder frei gemeinnützige Träger), und auch für die Berufsverbände. In einigen Bundesländern werden zurzeit Pflegekammern mit Zwangsmitgliedschaft und -mitgliedsbeiträgen diskutiert und umgesetzt. Ein paralleler Ansturm auf Gewerkschaftsmitgliedschaften dürfte sich daher auch in Zukunft im Rahmen halten.
In erster Linie ging es den Gewerkschaften mit ihren Klagen in der Vergangenheit um Einfluss im Dritten Weg und Mitgliederwerbung. Das Ureigene einer Gewerkschaft - das Streikrecht - wurde besonders in den Mittelpunkt gestellt. Aus diesem Grund zweifeln die Gewerkschaften auf allen Wegen und Ebenen den Dritten Weg grundsätzlich an und klagen gegen ihn. Aber hier ist das BAG deutlich: Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist nicht in Zweifel gezogen worden. Ob die Gewerkschaften auf die Vorschläge, Sitze in den Kommissionen einzunehmen, überhaupt eingehen, bleibt vor diesem Hintergrund fraglich. Nach dem BAG-Urteil bedeutet eine Einbindung der Gewerkschaften nämlich im Umkehrschluss Verzicht auf Streiks. Ein Angebot von Kirche und Caritas an die Gewerkschaften ist nach dem Urteil auf jeden Fall gebotener Auftrag des Gerichts. Ob die Gewerkschaften darauf eingehen, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Im Umgang mit den Gewerkschaften sollte man nach dem Urteil in der Caritas mit Souveränität und einer gewissen Gelassenheit umgehen. Statt auf Konfrontation auf Einbindung zu setzen, eröffnet auch Chancen. In vielen Bereichen wird der öffentliche Tarif immer noch als "Leitwährung" betrachtet. Gewerkschaften haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie durchaus in der Lage sind, auf Branchenbelange einzugehen.
Vielleicht kann das auch der Caritas nützen - zum Beispiel in den Bereichen Rehabilitation, Krankenhäuser und Altenhilfe. Seit Jahren ist hier zu beobachten, dass private Anbieter stärker in diesen Feldern tätig werden. Damit stellt sich die Frage nach den relevanten Referenztarifen. Die Einbindung von Gewerkschaften würde zum einen mehr Transparenz schaffen und den oft erhobenen Einwand, in katholischen Einrichtungen würden Mitarbeitende schlechter bezahlt, entkräften. Tarifvergleiche zeigen, dass die Vergütungen nach AVR einen Vergleich nicht scheuen müssen. Zum anderen stehen wir vor großen Herausforderungen, wie dem drohenden Fachkräftemangel begegnet werden kann. Auch dabei kann es hilfreich sein, Gewerkschaften einzubinden und sie in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, wenn es um die Entwicklung zukunftsfähiger Konzepte geht. Der Katholische Krankenhausverband Deutschlands (KKVD) fordert seit Jahren, in den AVR branchenspezifischen Belangen stärker Rechnung zu tragen. Hierfür wird sich der KKVD auch weiterhin konstruktiv einsetzen. Entscheidend wird letztlich nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes sein, wie konstruktiv die Gewerkschaften damit umgehen werden und bereit sind, sich im Dritten Weg einzubringen.
Caritas und Verdi können gemeinsam viel erreichen
Auf die Mitarbeiterinnen kommt es an!
Die Position der Dienstnehmer ist deutlich zu stärken
Das Militär geht, die Caritas bleibt
Führung und Aufsicht wirksam aufstellen
…und wieder nur abgestellt
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