„Du bist nicht schuld, wenn dein Papa deine Mama schlägt“
Der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Karlsruhe arbeitet im Projekt „Nangilima“ mit Kindern, deren Mütter von häuslicher Gewalt betroffen waren. Viele dieser Kinder sind mit ihrer Mutter ins Frauenhaus oder zu Verwandten geflohen. Sie mussten die Schule wechseln, haben ihr vertrautes Wohnumfeld und Freunde verloren und die Trennung der Eltern erlebt. Esther Baron von der neuen caritas sprach mit Luitgard Gauly, Abteilungsleiterin der SkF-Beratungsstelle für Frauen und Familie in Karlsruhe.
An wen richtet sich Ihr Angebot?
Unser Gruppenangebot richtet sich an Jungen und Mädchen zwischen sechs und zehn Jahren, die häusliche Gewalt erfahren haben. Allerdings ist eine Voraussetzung zur Teilnahme, dass die Gewalt beendet ist. Das ist meist der Fall, wenn sich die Mutter vom gewalttätigen Partner getrennt hat. Mitunter geht jedoch leider auch nach einer Trennung die Gewalt auf anderer Ebene weiter, zum Beispiel bei Umgangs- und Besuchsrechten, oder wenn der Vater gegenüber dem Kind schlecht über die Mutter redet. Ist das der Fall, versuchen wir Mutter und Kind diesbezüglich zu unterstützen. Eine Gruppenphase dauert eineinhalb Jahre. Pro Gruppe nehmen wir sechs bis acht Kinder auf, die sich alle 14 Tage für zwei Stunden treffen.
Wer schickt die Kinder und was sind die ersten Schritte?
Zu 90 Prozent kommen die Kinder über andere soziale Dienste wie Frauenhäuser, die sozialpädagogische Familienhilfe oder die psychologische Beratungsstelle zu uns. Zuerst führen wir ein Gespräch mit der Mutter und dem Kind. Dort wird thematisiert: Was ist passiert? Was gab es an Gewalt? Was hat das Kind mitbekommen? War das Kind auch von Gewalt betroffen? Wie war die Trennung der Eltern? Wie ist das Kind bisher damit umgegangen? Wie ist das Sorge- und Umgangsrecht geregelt? Was sind die Wünsche und Ziele von Mutter und Kind in Bezug auf die Teilnahme an der Gruppe? Wir machen klar, dass wir der Schweigepflicht unterliegen, auch der Mutter gegenüber. Diese informieren wir über die Entwicklung des Kindes, aber Erzählungen des Kindes uns gegenüber werden nur mit seinem Einverständnis an die Mutter weitergegeben. Das Kind kann natürlich von sich aus erzählen, was in der Gruppe gelaufen ist.
Arbeiten Sie auch mit den Vätern zusammen?
Ja, aber nur, wenn der Vater nicht mehr gewalttätig ist, Verantwortung für sein Handeln übernommen hat, Mutter und Kind einverstanden sind und es dem Wohle des Kindes dient. Meist sind die Männer gewalttätig. In den zehn Jahren, seit es „Nangilima“ gibt, ging die Gewalt nur einmal von der Frau aus.
Beraten Sie auch die Mütter?
Wir beraten die Mütter in allen Fragen und Belangen, die das Kind betreffen. Stellen wir fest, dass eine Mutter Unterstützung für sich als Frau braucht, verweisen wir auf die Frauenberatung.
Wie erleben Kinder häusliche Gewalt?
Zunächst löst sie Angst aus. Viele erleben lebensbedrohliche Situationen durch Schläge, manchmal sogar durch Waffen. Die Kinder leben wie auf dem Vulkan. Sie wissen nie, was zu Hause passieren wird, wo es eigentlich sicher sein sollte. Sie neigen dazu, sich die Schuld zu geben. Wir sagen ihnen: „Du bist nicht schuld, wenn dein Papa deine Mama schlägt.“ Die meisten empfinden Scham, auch weil die Mutter sich das gefallen lässt, gekoppelt mit Wut und Zorn. Meist ist auch das Verhältnis zum Vater ein zwiespältiges. Die Aussagen reichen von „Das ist nicht mehr mein Papa“ bis hin zu „Darf ich den noch liebhaben und mich nach ihm sehnen, auch wenn er der Mama das angetan hat und sie ihn nicht sehen will, darf ich ihn dann sehen wollen?“.
Was ist das Ziel Ihrer Arbeit?
Zunächst soll das Thema Gewalt enttabuisiert werden. Die Kinder können ihre Erlebnisse mitteilen, was viele jahrelang nicht durften, weil es ein Schweigegebot gab. Es entlastet Kinder ungemein, wenn sie sehen, dass es auch in anderen Familien Gewalt gibt. Dabei ist immer klar: Gewalt ist nicht okay. Die Kinder lernen hier, über ihre Gefühle zu sprechen und erfahren, dass es in Ordnung ist, was und wie sie fühlen. Sie erleben, dass sie stark sein können, ohne Gewalt anzuwenden, dass sie ein Recht auf Sicherheit haben. Sie sollen erfahren: „Ich mag mich“ und „Ich bin gut und liebenswert“.
Woher kommt der Name „Nangilima“?
„Nangilima“ ist in Astrid Lindgrens Erzählung „Die Brüder Löwenherz“ das Land der guten Märchen und Sagen, dort wo die Menschen lachen und sich gegenseitig helfen.