Der Schutz von Frauen vor Gewalt ist eine Herausforderung
Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist in Deutschland trotz weitgehender rechtlicher Gleichstellung weit verbreitet. Gewalt in Paarbeziehungen ist entgegen landläufiger Meinung kein Schichtphänomen: Frauen aus allen Bildungs- und Einkommensschichten sind von Gewalt betroffen. Jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren hat im Lauf ihres Lebens körperliche oder/und sexuelle Gewalt durch aktuelle oder frühere Beziehungspartner erlebt und leidet oftmals lebenslang an den Folgen. Alle Formen von Gewalt können zu erheblichen gesundheitlichen, psychischen und psychosozialen Folgen für die betroffenen Frauen und ihre Kinder führen. Nach neuen Erkenntnissen1 sind vor allem Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen gefährdet, Opfer geschlechtsbezogener Gewalt zu werden. Sie sind im Erwachsenenleben fast doppelt so häufig körperlicher Gewalt und etwa zwei- bis dreimal so häufig sexueller Gewalt ausgesetzt wie Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt.
Mit dem „Bericht zur Situation der Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder“ hat die Bundesregierung im August 2012 eine Bestandsaufnahme des Hilfesystems bei Gewalt gegen Frauen in seiner bundesweiten Ausdifferenzierung vorgelegt. Ziel war es, ein möglichst vollständiges Bild des existierenden Systems spezialisierter Hilfen zu erstellen und die Grundlage für eine Weiterentwicklung der fachlichen Hilfen sowie der Rahmenbedingungen in Bund, Ländern und Kommunen zu schaffen.
Hilfesystem im Überblick
In Deutschland finden jährlich etwa 30.000 bis 34.000 Frauen und Kinder Aufnahme in Frauenhäusern und Schutzwohnungen. Einrichtungen in Trägerschaft des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) und der Caritas nahmen 2011 laut Bewohnerinnenstatistik 2861 Frauen mit 2769 Kindern auf. Von den insgesamt circa 350 Frauenhäusern und circa 40 Frauenschutzwohnungen in Deutschland befinden sich 54 Frauenhäuser und Schutzwohnungen sowie 36 Beratungs- und Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt in katholischer Trägerschaft. Die Zahl der ratsuchenden Frauen in den Beratungs- und Interventionsstellen wird bislang nicht bundesweit statistisch erfasst.
Das Hilfe- und Unterstützungssystem bei häuslicher Gewalt hat sich in den letzten Jahren wegen gesetzlicher Bestimmungen (zum Beispiel Gewaltschutzgesetz 2002) und der verschiedenen Bedarfe gewaltbetroffener Frauen an Schutz und Beratung zunehmend ausdifferenziert:
- Frauenhäuser und Frauenschutzwohnungen bieten betroffenen Frauen und ihren Kindern vor allem Schutz, Beratung und konkrete Unterstützung sowie Gruppenangebote.
- Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe beraten und begleiten gewaltbetroffene Frauen zur Überwindung häuslicher und sexualisierter Gewalterfahrung.
- Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt nehmen im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes nach Polizeieinsätzen proaktiv Kontakt zu gewaltbetroffenen Frauen auf und beraten sie zu ersten Schritten aus der Gewaltsituation.
- Der SkF bietet mit seinem Internetportal www.gewaltlos.de ein besonders niedrigschwelliges Hilfeangebot mit Onlineberatung und Chat für gewaltbetroffene Mädchen und Frauen, der es den Betroffenen ermöglicht, ihr Schweigen über die erlebte Gewalt zu brechen und sich anderen anzuvertrauen.
- Das bundesweite Hilfetelefon bei Gewalt gegen Frauen startet im Frühjahr 2013 und will mit der 24-stündig besetzten Rufnummer einen niederschwelligen Zugang zum Hilfesystem bieten und die Vermittlung von gewaltbetroffenen Frauen an Hilfeeinrichtungen vor Ort verbessern.
Der Ausdifferenzierung des Hilfesystems bei Gewalt steht ein großer Nachholbedarf bei der Ausstattung mit Ressourcen und der Weiterentwicklung bedarfsgerechter Hilfen gegenüber. In der bundesweiten Bestandsaufnahme werden Probleme und Handlungsbedarfe identifiziert und bestätigt, die in der Praxis hinlänglich bekannt sind:
Die Finanzierung muss gesichert werden
Vordringlichstes Problem des Hilfesystems zum Schutz vor Gewalt stellt die Sicherung der Finanzierung dar, denn bislang fehlt der verbindliche Rechtsrahmen. Die Wohlfahrtsverbände fordern seit langem, den Rechtsanspruch auf Schutz vor Gewalt verbindlich zu regeln und ein Bundesgesetz auf den Weg zu bringen, das das Recht auf individuellen Schutz vor Gewalt mit der Sicherung des Hilfesystems verbindet. Untragbar ist vor allem die derzeitige Situation, dass Frauenhäuser wegen Erstattungsstreitigkeiten mit den Kommunen auf Kosten der Unterbringung sitzenbleiben. Neben der Sicherung des bestehenden Systems müssten auch neue Angebote zum Gewaltschutz wie beispielsweise das Online-Portal www.gewaltlos.de mitbedacht werden, das sich bislang ausschließlich durch Spenden, Stiftungsmittel und Mitgliedsbeiträge finanziert. Notwendig wäre eine infrastruktursichernde Zuwendungsfinanzierung, die Unabhängigkeit von der jeweiligen Haushaltslage schaffen könnte und sowohl Bestandsgarantie als auch Planungssicherheit für den Ausbau bedarfsgerechter Hilfen bieten könnte.
Zugänge müssen verbessert werden
Viele Frauen erdulden lange aus Scham Gewalt durch den Beziehungspartner, bevor sie Beratung oder Schutz suchen. Daher ist ein uneingeschränkter Zugang zum Hilfesystem von großer Bedeutung. Die Unterstützungsangebote sind jedoch nicht allen Betroffenen zugänglich, unter anderem konnten 2010 aus Kapazitätsgründen allein 9000 Frauen nicht im nachgefragten Frauenhaus untergebracht werden. Insbesondere Frauen mit zusätzlichen Belastungen, wie Frauen mit Behinderungen oder mit psychischen Beeinträchtigungen, wird das derzeitige Angebot nicht gerecht. Auch die Aufnahme von Frauen mit älteren Söhnen (ab zwölf) im Frauenhaus ist vielfach wegen mangelnder baulicher Möglichkeiten (separate Bäder, Zimmer) erschwert und bedarf passender Lösungen.
Durch die Verankerung der Hilfeleistungen im SGB II werden nicht zuletzt Schutz und Hilfe für eine nicht unerhebliche Zahl von Frauen und Kindern ganz ausgeschlossen oder nur unter der Voraussetzung wirksam, dass sie die Kosten selbst tragen, was in der Regel nicht finanzierbar ist. Betroffen hiervon sind zum Beispiel Gruppen von Migrantinnen, Frauen mit eigenem Erwerbseinkommen, Studentinnen und Auszubildende. Regelmäßig riskieren aufnehmende Frauenhäuser, dass ihnen die Kosten nicht erstattet werden. Diese grundlegende Problematik wurde im November 2012 in das Sozialmonitoring der Wohlfahrtsverbände aufgenommen. Die Bundesregierung wurde aufgefordert, ein Gesamtkonzept für eine umfassende Lösung zu schaffen, die der spezifischen Unterstützungsleistung Rechnung trägt.
Qualitätsentwicklung muss angestoßen werden
Frauenhäuser verfügen über qualifizierte Mitarbeiterinnen, die personellen Ressourcen reichen aber häufig nicht aus, um dem Anspruch einer stationären Schutz- und Kriseneinrichtung gerecht zu werden.2 Die Weiterentwicklung der fachlichen Standards bedarf einer personellen Ausstattung, die die notwendige Unterstützung der Betroffenen im erforderlichen Umfang und in der gewünschten Qualität sichert. Ein Problem stellen beispielsweise die Nacht- und Wochenenddienste dar, die meist nur durch den Einsatz ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen abgedeckt werden können. In katholischen Frauenhäusern und Schutzwohnungen sind derzeit insgesamt rund 700 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen unter anderem auch hierfür im Einsatz. Auch die Arbeit mit Kindern muss gestärkt werden. Die Ressourcen reichen oft nur für eine rudimentäre Begleitung der Mädchen und Jungen. Unbedingt erforderlich sind aber die Förderung und der Ausbau qualifizierter Angebote zur Bearbeitung der Gewalterfahrungen.3 Gerade in den letzten Jahren haben sich etliche Projekte zur Unterstützung von Kindern mit Gewalterfahrungen in den Ortsvereinen entwickelt.
In den Fachberatungsstellen machen sich die durchweg zu geringen Beratungskapazitäten durch lange Wartezeiten auf Beratungstermine bemerkbar. Auch die Möglichkeiten von Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit sowie notwendiger Kooperation und Vernetzung (Polizei, Familiengerichte, Jugendämter, Jobcenter) sind vielfach aufgrund geringer Personalressourcen eingeschränkt.
Neben der Sicherung des Hilfesystems stellt aktuell auch die fachliche Weiterentwicklung des Gewaltschutzes eine Herausforderung dar. Beispielhaft seien hier genannt:
- Qualitätsstandards als Grundlage fachlicher Arbeit gegen Gewalt an Frauen und Kindern müssen (weiter)entwickelt und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Angebote verbindlich formuliert werden.
- Kinder müssen als (immer) Mitbetroffene häuslicher Gewalt stärker als bislang mit ihren Bedürfnissen berücksichtigt werden. Vor allem dem Schutzbedürfnis des Kindes muss in Bezug auf das väterliche Umgangsrecht höchste Priorität eingeräumt werden.
- Der Abbau von Zugangshindernissen/ die Entwicklung von Barrierefreiheit für Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen muss als Leitziel Eingang in Konzeptionen finden.
- Angebote zur Arbeit mit gewalttätigen Männern sollten verstärkt in der Familienarbeit der Verbände entwickelt werden.
Anmerkungen
1. Studie Schröttle, Monika: Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland. Bielefeld, 2012.
2. Sozialwissenschaftliches Gutachten Helfferich, Cornelia; Kavemann, Barbara im Bericht der Bundesregierung, 2012.
3. Stellungnahme der Frauenhauskoordinierung zum Bericht der Bundesregierung, November 2012.