Corporate Governance ist Teil der Unternehmenspolitik
Caritas bildet Profil: Unter dieser Überschrift firmierte 2006 bis 2008 das Vorhaben, einen Corporate Governance Kodex für den Diözesan-Caritasverband (DiCV) Rottenburg-Stuttgart zu formulieren. Das Projekt war Teil der strategischen Zielperiode im Verband. Mit dem Corporate Governance Kodex (CGK) sollen die Leitlinien für Unternehmensleitung und -überwachung transparent gemacht werden. Die Grundlage für seine Inhalte im DiCV bildeten neben dem Deutschen Corporate Governance Kodex auch der bundesdeutsche Diakonie-Kodex sowie der Kodex der Diakonie Württemberg. Darüber hinaus sollten spezifisch wertebezogene Regelungen für den sozial-caritativen Bereich entwickelt werden.
Neben den Anstößen aus der Deutschen Bischofskonferenz und Anfragen der bischöflichen Aufsicht zum Thema CGK hatte der DiCV Rottenburg-Stuttgart für dessen Einführung stichhaltige Gründe: Gute Corporate Governance im Verbund ist Teil der Unternehmenspolitik und der Unternehmensstrategie. In diesem Zusammenhang wird es immer bedeutungsvoller, ein eigenes Instrument zu besitzen, mit dem die Verfasstheit des eigenen Unternehmens, aber auch vergleichbarer Unternehmen der Caritas, in der Diözese reflektiert und weiterentwickelt werden konnte. Mit der Einführung des CGK wurden folgende Ziele verfolgt:
- als Empfänger von Spenden, Kirchensteuern, öffentlichen Mitteln und Leistungsentgelten das ökonomische Handeln verdeutlichen;
- die Wettbewerbsposition der Träger verbessern;
- die langfristige Überlebensfähigkeit der Träger sichern;
- zur öffentlichen Profilierung der Träger und des Verbandes beitragen;
- die Position in der Gemeinnützigkeitsdebatte und
- die Kooperationsfähigkeit der Träger untereinander verbessern.
Seit 2009 ist der CGK im Verband implementiert.
Inhalte des Kodex im DiCV Rottenburg-Stuttgart
Leitungsgremium
Der CGK sieht vor, dass sich die Größe des Leitungsgremiums an der Größe und dem Aufgabenspektrum des Unternehmens orientiert. Für mittlere bis große Unternehmen befürwortet der CGK ein mehrköpfiges Leitungsgremium mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Von der Zusammensetzung her sollen dabei unterschiedliche Kompetenzen wie theologische, fachspezifische sowie ökonomische Kompetenz sichergestellt werden.
Zudem soll garantiert werden, dass die unternehmerischen Zielvorgaben und des kirchlich-caritativen Auftrags erfüllt werden. Eine weitere Vorgabe des CGK ist es, eine Geschäftsordnung zu erstellen, in der Aufgabe, Kompetenz und Verantwortlichkeiten geregelt sind.
Aufsichtsgremium
Für die Mitgliederzahl des Aufsichtsgremiums sieht der CGK je nach Komplexität des Unternehmens zwischen drei und neun Personen vor. In der Zusammensetzung des Gremiums sollen sich Erfahrung und unterschiedliche Kompetenzen spiegeln. Die Aufgaben des Aufsichtsgremiums bestehen darin, das Leitungsgremium hinsichtlich seiner wirtschaftlichen "Kernkompetenzen" und der strategischen Ausrichtung des Unternehmens zu begleiten, zu beraten und zu überwachen. Darüber hinaus soll das Aufsichtsgremium regelmäßig die Wirksamkeit seiner Tätigkeit reflektieren.
In der Zusammenarbeit zwischen Leitung und Aufsicht sind vier Punkte zu beachten: einmal die organisatorische Trennung als Grundprinzip sowie zweitens das Prinzip der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Die Arbeitsteilung zwischen Leitung und Aufsicht ergibt sich aus dem Prinzip der Trennung zwischen operativer Tätigkeit und Aufsichtstätigkeit. Darüber hinaus sind viertens zur Strukturierung der Beziehungen zwischen Aufsicht und Leitung geeignete Geschäftsordnungen notwendig.
Die Regelungen zu den Organen haben sich als die zunächst meistdiskutierten Regelungen erwiesen. Einfluss hatten die Regelungen inzwischen in einigen Fällen auf die Stellung der Organe zueinander und noch häufiger auf die Zusammensetzung der Organe. Hier zeigte sich am deutlichsten, wie wichtig caritasspezifische Regelungen für die Unternehmensverfassung sind.
Schnittstellen zwischen CGK und Transparenzstandards
Neben den gemeinsamen Standards für Stellung und Zusammensetzung der Organe war bald auch die Transparenz ein wichtiges Teilthema der Diskussion um die richtige Unternehmensverfassung. Somit werden die Transparenzstandards des Deutschen Caritasverbandes in der Diözese nicht isoliert diskutiert, sondern sind Teil einer Gesamtdiskussion zur Corporate Governance. Daraus leiten sich drei Besonderheiten ab.
Erstens: Transparenz ist mehrdimensional
Transparenz ist erstens kein eigenständiges, sondern ein mehrdimensionales Thema in der Unternehmensverfassung:
- Transparenz zwischen den Organen;
- Transparenz innerhalb des Trägers;
- Transparenz zwischen den Trägern;
- Transparenz gegenüber Spendern und Ehrenamtlichen;
- Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit.
Zwischen organisatorisch gut aufgestellten Organen wird eine offene Diskussion um die Art und Weise der internen Information geführt. Dies ist als kontinuierliches Thema zu betrachten und ein wichtiger Lernort für Transparenz. In komplexen Organisationen kann es sich anbieten, diese Thematik einem Ausschuss des Aufsichtsrates (zum Beispiel Ausschuss für Wirtschaft und Finanzen) zu übertragen.
Ein weiterer wichtiger Lernort ist die ständige Verbesserung der Transparenz innerhalb der Organisation. Hierbei gilt es vor allen Dingen, die Verbindungen zwischen Inhalts- und Finanzstrategie mit den leitenden Mitarbeiter(inne)n und den Mitarbeitervertretungen zu vergemeinschaften. Über diesen Kreis kann auch die Mitarbeiterschaft in geeigneter Weise mit einbezogen werden, gegebenenfalls sind aber weitere Kommunikationsorte wie Mitarbeitereinführungsveranstaltungen und interne Dialogforen zu integrieren.
Auch der vertrauliche Austausch der Mitglieder des Caritasverbandes untereinander ist ein wichtiger Aspekt. Was die Transparenz unter den Trägern anbelangt, hat sich im DiCV in der Zusammenarbeit der korporativen Mitglieder untereinander und mit dem DiCV als Mitgliederverband ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch zur Weiterentwicklung des CGK entwickelt. So ergeben sich wichtige Erkenntnisse für die Transparenz nach außen, wie beispielsweise die Gewährleistung von Transparenz gegenüber Spender(inne)n und Ehrenamtlichen gesondert in den Blick zu nehmen. Die Rechnungslegung orientiert sich an den anerkannten Grundsätzen im Kontext der aufzustellenden Jahresabschlüsse, dokumentiert den Zufluss sowie die Verwendung von Spenden und Erbschaften. Hinzu kommt die Herausforderung, das ehrenamtliche Engagement regelmäßig darzustellen.
Das Thema Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit kann auf dieser Grundlage zwar besser diskutiert werden, ist aber damit noch lange kein Selbstläufer. Der CGK macht darauf aufmerksam, dass das wichtige Ziel der Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit - falsch angelegt - auch große Nachteile haben kann. Finanzielle Spielräume können leicht für ein Unternehmen der Caritas als unangemessen oder gar als Kürzungspotenzial missverstanden werden. In diesem Zusammenhang diskutiert der DiCV derzeit vor allem die Notwendigkeiten der einheitlichen Darstellung von Risiken sowie von Sozialbilanzen, um derartige Missverständnisse zu vermeiden. Hier stellen die Rechtsträger dar, wie sie ihr Qualitätsversprechen, das sie als an kirchlichen Werten orientierte Organisationen geben, in der Praxis einlösen.
Zweitens: Transparenz ist ein Entwicklungs- und Innovationsthema
Generell bildet Transparenz die Grundlage dafür, dass (potenzielle) Nutzer(innen) und die Öffentlichkeit den einzelnen Träger, aber auch den gesamten Bereich der freien Wohlfahrtspflege akzeptieren. Dies wirkt sich unter anderem auf die Belegung der Einrichtungen, die Höhe des Spendeneingangs und die Gewinnung von Zuwendungen aus. Die Rechenschaftslegung und ihre Transparenz stellen damit wichtige Bausteine des Marketings und der Öffentlichkeitsarbeit dar. So können die Wirtschaftlichkeit und die Qualität der Leistungen des Trägers sowie seine Gesamtentwicklung und wichtige Innovationen in seiner Arbeit aufgezeigt werden. Aber auch das Thema Transparenz selbst ist kein Prozess, der nur einmal projektiert werden muss und dann für immer abgeschlossen werden kann. Es ist vielmehr selbst ein kontinuierlicher Innovationsprozess, um die oben genannten Ziele bei sich ständig verändernden Rahmenbedingungen zu erreichen.
Die unter dem Dach der Caritas beziehungsweise im DiCV organisierten Einrichtungen und Dienste sind wichtige Orte caritativen Handelns. Hauptamtliche und Ehrenamtliche setzen dabei auf den verschiedensten Hilfefeldern finanzielle Mittel der Kirchen, des Staates, Leistungsentgelte, Zuwendungen und Spenden in treuhänderischer Verantwortung ein. Aus Leitbild und Auftrag der Träger ergibt sich daher die Verpflichtung, mit diesen Mitteln sorgfältig, wirtschaftlich, nachhaltig und transparent umzugehen. Somit stellt Transparenz ein sozialethisches Kriterium im Sinne der Verfahrens-, Verteilungs- und Beteiligungsgerechtigkeit dar. Sie bildet aber gleichzeitig auch eine Voraussetzung für Mitwirkung und Teilhabe.
Drittens: Transparenz - ein Kooperationsthema
Die schwierigen Fragen der Weiterentwicklung von geeigneten Instrumenten der Transparenz lassen sich gemeinsam oft besser lösen. Vor diesem Hintergrund müssen die Aktivitäten der verschiedensten Akteure caritativen Handelns zur Schaffung von Transparenz miteinander verzahnt sein. Innerhalb des Corporate Governance Kodex besteht die Aufforderung und Chance zum stetigen Informationsaustausch der Träger. Dabei liegt ein wichtiges Augenmerk darauf, möglichst auch kleine Träger mit ins Boot zu holen.
Kodex bleibt veränderbar
Bei der Verabschiedung des CGK wurde vereinbart, dass der DiCV und seine Mitgliedseinrichtungen den Corporate Governance Kodex überprüfen und bei Bedarf weiterentwickeln und anpassen werden. Der DiCV und seine Mitgliedseinrichtungen arbeiten deshalb derzeit an einer Grundstruktur für Wirtschaftsberichte, Spendenberichte und Ehrenamtsberichte, die beim Erstellen von Jahresberichten hilfreich ist. Ziel ist es, die Anforderungen der Transparenzstandards und des CGK bezogen auf ausgewählte Daten eines Trägers zusammenzufassen, kurz und knapp aufzubereiten und in verständlicher Form den Kund(inn)en, den Nutzer(inne)n, der Gesellschaft sowie den internen Gremien und Organen der Träger für weitere Entscheidungen zur Verfügung zu stellen.
Im Sommer 2011 wurden außerdem qualitative Interviews mit ausgewählten Trägern des DiCV geführt, die sich auf das Verfahren, die Entwicklung und mögliche Ergebnisse des CGK bezogen. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass die anwendenden Träger des CGK erste Verbesserungen in Bezug auf Abstimmungsprozesse von Organisationen/Organen sowie bei den Themen Unternehmensführung und Transparenzstandards sehen. Die Anwendung des CGK betrachten die Befragten prinzipiell als einen Beitrag zur Sicherung der eigenen Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit sowie zur öffentlichen Profilierung.