Wir wollen das soziale Gesicht der Kirche werden
Dezember 2009, Aceh, Indonesien. Im Rahmen der Dialogreise1 von Caritas international (Ci) sind wir zu Besuch bei der Caritas-Familie in Südostasien. An der Nordspitze der Insel Sumatra zerstörte der Tsunami vor fünf Jahren ganze Stadtteile der Provinzhauptstadt Banda Aceh. Schutzlos waren Hunderttausende den bis zu 15 Meter hohen Wellen ausgeliefert. Über 200.000 Menschen starben allein in Indonesien.
In dem Inselstaat existieren die großen Weltreligionen weitgehend friedlich nebeneinander. Jeder der über 240 Millionen Einwohner hat laut Staatsverfassung einer der fünf Weltreligionen anzugehören. 88 Prozent der Bevölkerung sind Muslime, neun Prozent Christen (drei Prozent römisch-katholisch).
"Man muss sich vor Ort gut auskennen, um helfen zu können" lautet das Motto von Ci. Und es stimmt, die einheimischen Mitarbeiter(innen) kennen sich bestens aus. Es gibt keine eigenen Projekt von Ci, sondern finanzielle Unterstützung der Projekte und Beratung der lokalen Partner vor Ort. Ci setzt auf mittelfristige Zusammenarbeit: "Wir machen nicht nur die Feuerwehr und gehen wieder weg", sagt Oliver Müller, Leiter von Ci. Sozialarbeit folgt immer der Katastrophe. "Wir wollen das soziale Gesicht der Kirche werden", sagen die Mitarbeitenden vor Ort.
Ci leistete wirksame Katastrophenhilfe und half beim Wiederaufbau. Über 19 Millionen Euro an Spendengeldern für die Opfer des Tsunami und des Erdbebens im Jahr 2006 flossen nach Indonesien. Inzwischen werden soziale Projekte für Kinder und Jugendliche sowie behinderte Menschen gefördert.
Einheimische Caritas-Mitarbeitende gewährleisten den dauerhaften Erfolg und helfen unabhängig von Religion und Nationalität, beispielweise Liza. "Wenn Gott sagt, es geschehe, dann geschieht es", übersetzt sie die arabische Inschrift an einem Denkmal eines der Massengräber für die Opfer des Tsunami. Wir haben die Todeszone gesehen: die Fundamentreste zerstörter Brücken, Häuser und Schulen.
"Wenn ich mit traumatisierten Kindern arbeite, bin ich meinem verstorbenen Kind nahe", sagt Grace, die Leiterin einer Einrichtung eines Partners der Caritas für traumatisierte Kinder in Banda Aceh. Grace überlebte als Schwangere, während ihr Mann und ihr Sohn ertranken. Die Arbeit mit traumatisierten Kindern begann bereits in den nach dem Tsunami errichteten Zeltlagern. Von dort ging es in provisorische Unterkünfte, nun ist eine feste Einrichtung daraus geworden.
Ortswechsel. Wir sind in der Hauptstadt Jakarta. Bioabfall wird zu Dünger - ein grünes Caritas-Projekt. Umweltschutz tut not: Der Fluss Ciliwung fließt mitten durch die Millionstadt. Die braune Brühe stinkt erbärmlich. "Vor zwei Jahren stand das Wasser im ersten Stock", sagt Pater Sandyawan. Der Jesuit hilft den Armen, sich zu einer Art Kooperative zusammenzuschließen. Die Gruppe organisiert den Einkauf des Biomülls, Produktion und Verkauf des fertigen Düngers.
Das Projekt am Fluss enthält politischen Sprengstoff: Jakarta betreibt ein Sanierungsprogramm, die Bewohner des Slums sollen weg. Nur wohin? Sauberes Wasser, Gesundheitskurse, Kurse für Arbeitslose, Schutz vor Zwangsumsiedelung - alles das fördert Ci, indem es Pater Sandyawan und sein Projekt unterstützt.
Bildungsprogramme für junge Prostituierte
"Wir wollen die Armen teilhaben lassen an der Entwicklung. Das beginnt mit gesunden Lebensbedingungen", sagt Pater Sandyawan. Das Wasser des Flusses macht krank und lässt Säuglinge sterben. Also baute die Kooperative Trinkwasser-Zisternen und organisierte Gesundheitskurse. Mädchen rutschten in die Prostitution ab. Also begann man mit Bildungsprogrammen, Kreativitätskursen, einer Werkstatt. Von hier bis zum Recycling-Projekt war es nur noch ein kleiner Schritt. Der Schlüssel heißt "Community Based" - die Armen werden zu Akteuren. Die Gemeinschaft trägt das Projekt.
Menschen mit Behinderung galten früher nicht viel. "Man hält sie für nutzlos, die können nichts. Das indonesische Wort dafür lautet tatal (übersetzt Holzspäne, Anm. der Red.)", sagt Franny Dethmers, Mitarbeiterin von Ci in Yogyakarta, einer Großstadt auf der Insel Java. Die Niederländerin berät landesweite Rehabilitationsprogramme.
Heribertus kann sich mit Hilfe der Caritas wieder selbst versorgen. Beim großen Erdbeben 2006 stürzte dem 34-jährigen Maurer das Dach seines kleinen Hauses auf den Rücken. Die Folge: Querschnittslähmung. Franny half. Heribertus erhielt Unterstützung für den Auf- und Umbau seines Hauses und für den Kauf eines Rollstuhls. Zugleich entstand ein kleiner Laden. Das bedeutet ein Einkommen für die Familie des ehemaligen Bauarbeiters.
Aktuell werden kirchliche Partner motiviert, barrierefrei zu bauen. Es wäre noch viel zu berichten: von den rund 1400 kleinen Häusern für nach dem Tsunami obdachlos gewordene Familien an der Ost- und Westküste von Aceh, deren Bau Ci ermöglichte. Von Projekten zur Katastrophenvorsorge. Von der Hilfe für Suchtkranke. Von kreativen Hilfen für die Ärmsten der Armen.
An unserer letzten Projekt-Besichtigung nimmt ein blinder Mann teil. Niemand bezeichnet ihn als "tatal". Das ist die Summe der Caritas-Arbeit: Ci gibt Würde - das ist mehr als Wiederaufbau.
Anmerkung
1. Caritas international veranstaltet jedes Jahr eine Dialogreise für Fach- und Führungskräfte aus Kirche und Caritas, um Einblick in die internationale Arbeit zu vermitteln und dafür Botschafter in Deutschland zu gewinnen.