In Mali ist ein Ausbildungsplatz ein hohes Gut
ABDULLAY hat es mit seinen 23 Jahren für afrikanische Verhältnisse richtig weit gebracht. Er hat den Schreinergesellenbrief in der Tasche und kommt täglich mit seinem Moped zur Arbeit in der Schreinerwerkstatt gedüst: eine kleine Erfolgsgeschichte in der Stadt Mopti im westafrikanischen Mali. Es hätte aber genauso gut anders kommen können. Dann würde Abdullay wie circa zwei Millionen andere Jugendliche irgendwo in den Straßen einer Stadt in Afrika oder sogar in Europa stranden und versuchen, sein Glück zu finden. Und er würde womöglich zur Beute von kriminellen Banden, Sexhungrigen oder religiösen Heilsversprechern werden.
Eine Schule hat Abdullay nie besucht. Zwar herrscht in Mali Schulpflicht und der Schulbesuch selbst ist kostenlos. Aber nur auf dem Papier. Tatsächlich gibt es viel zu wenig Schulen und Lehrer für die vielen Kinder in Mali, so dass selbst staatliche Schulen es sich erlauben können, von den Eltern jährlich eine „Einschreibegebühr“ von bis zu 150 Euro zu verlangen. Oft ist der Schulweg so weit, dass Fahrtkosten anfallen. Dazu noch Geld für Hefte, Schreibzeug, und so läppert sich die Schule für viele Familien zu einem unerreichbaren Luxus zusammen. Und da oft bis zu 80 Schüler in einer Klasse sitzen und überwiegend Phrasen repetieren, ist das Opfer vielen Eltern zu hoch. Der Rückgang der Kindersterblichkeit hat in Westafrika zu einer Bevölkerungsexplosion geführt, auf die die öffentlichen Strukturen überhaupt nicht eingerichtet sind.
Abdullay ist von seinen Eltern mangels Alternative mit neun Jahren in Mopti in eine Koranschule gesteckt worden. Lesen, schreiben und rechnen hat er dort nicht gelernt. Aber immerhin ist er seinem Koranlehrer als ein helles Köpfchen aufgefallen, so dass der ihn nach vier Jahren an seinen Lehrherrn Hama Touré vermittelt hat. Das war sein erster Glückstag; nicht vielen Jugendlichen in Mali wird so viel Aufmerksamkeit zuteil. Bei Hama Touré hat er allerdings sieben Jahre den Stift spielen müssen, bis ihn vor drei Jahren Enda entdeckte. Enda ist eine internationale Nichtregierungsorganisation mit Hauptsitz im benachbarten Senegal, die sich der Förderung benachteiligter Kinder und Jugendlicher verschrieben hat. Und Enda ist vor Ort der Partner von Caritas international (Ci) für ein mehrjähriges millionenschweres Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ziel: die Jugendsozialarbeit mit benachteiligten Kindern und Jugendlichen.
Der Besuch von Tolo Ismaila, dem Sozialarbeiter von Enda in Mopti, wurde für Abdullay zum nächsten Glückstag. Mit Hilfe der deutschen Projektmittel wurde über das „Atelier“ ein Dach gezogen, so dass es überhaupt erst den Namen Schreinerei verdient. „Patron“ Hama Touré selbst erhielt von Enda ein Training, bei dem ihm rechtliche Grundlagen und pädagogische Tipps für den besseren Umgang mit seinen jungen „Apprentis“ (Lehrlingen) vermittelt wurden. Dann trat Touré der Schreinerinnung bei und qualifizierte sich damit für einen Kredit zum Kauf von besseren Maschinen.
Schreiner wird nur, wer schreiben kann
Abdullay hatte sich zwischenzeitlich mühsam selbst das Schreiben beigebracht. Damit hatte er sich jedoch die Grundlage für seinen dritten Glückstag geschaffen. Sozialarbeiter Tolo Ismaila und Patron Hama Touré fanden, dass der inzwischen 19-Jährige so begabt sei, dass er parallel das Ausbildungszentrum für Schreiner besuchen sollte. „Très, très dur, extrem hart“, so Abdullay, seien die drei Jahre gewesen. Aber mit der Nachhilfe vom Patron und den Mitarbeitern von Enda kämpfte er sich durch die Theorie im Blockunterricht, um am Schluss stolz sein Gesellendiplom überreicht zu bekommen. Die Schulkosten übernahmen der Patron, die Schreinerinnung und Enda anteilig.
Inzwischen sind täglich um die zehn Jugendliche in Hama Tourés Werkstatt, die Hocker, Stühle oder Bettgestelle fertigen. Der Meister achtet nun darauf, dass sie alle nicht jünger als 14 Jahre sind. Zur Schule ist allerdings keiner von ihnen gegangen. Jedoch hat Enda Alphabetisierungskurse für Jugendliche ohne Schulbildung eingerichtet. Die Kurse finden im Schulungsraum neben den Büros von Enda statt. Ihre Kursteilnehmer suchen und finden die Sozialarbeiter in den unzähligen Koranschulen der Stadt, in den Ausbildungswerkstätten oder einfach auf der Straße, wo sie offensichtlich obdachlose Jugendliche ansprechen und ins Enda-Zentrum einladen. Dort gibt es auch Duschen und die Möglichkeit, seine Kleider zu waschen. Über dem Haupteingang prangt das Caritas-Logo: Man schämt sich im islamischen Mopti nicht zu sagen, wer der Finanzierungspartner ist.
Erstmals haben in diesem Jahr all die Jugendlichen, die inzwischen dort verkehren, einen Jugendrat zu ihrem Sprachrohr gewählt, der bei den Partnern wie Schule, Kommune, Ausbilder ihre Interessen vertreten soll: „Wenn die Mittel von Ci auslaufen und wir keinen neuen Geldgeber finden, müssen die Selbsthilfestrukturen so weit organisiert sein, dass sich die Jugendlichen untereinander weiterhelfen“, wirft Sozialarbeiter Tolo Ismaila einen Blick in die nahe Zukunft.
Dass dies gelingen kann, davon überzeugt der Besuch in einer Schweißerwerkstatt in Malis Hauptstadt Bamako. Acht Azubis lernen dort bei einem selbst noch jungen Meister. „Ja, mit Unterstützung von Enda konnte ich vor einigen Jahren eine richtige Berufsausbildung machen“, bestätigt der. Danach habe ihm Enda mit einem Kredit und einem Zuschuss bei der Existenzgründung geholfen. In Bamako wird viel gebaut, und an Aufträgen mangelt es nicht. Darum will er im Schneeballsystem weitergeben, was ihm an Hilfe in den Berufsweg zuteilgeworden ist.
Abdullay will noch eine Weile bei seinem Patron arbeiten. Er fühlt sich noch nicht fit genug, um sich selbstständig zu machen. Aber eines ist jetzt schon klar: Er wird deutlich mehr zur Unterstützung der großen Familie beitragen können als sein Vater, der am Straßenrand von Mopti gegrillte Hühnchen verkauft oder sein älterer Bruder, der nach Ghana emigriert ist und gar nichts mehr zum Unterhalt beiträgt. Und er hat in der Familie dafür gestimmt, dass seine kleine Schwester die Schule besuchen kann. Wieder so ein Glückstag, für Abdullay und die Kleine.