"Es gibt die Hoffnung auf ein anderes und besseres Haiti"
„Ich selbst habe Hoffnung für Haiti, und ich habe diese Hoffnung nie verloren“, sagt Jean-Bosco Mbom, der Repräsentant von Caritas international (Ci) in Port-au-Prince, mit Nachdruck. Auf beharrliche Nachfragen gibt er allerdings zu, dass ihm die Hoffnung in den vergangenen Monaten oft schwerfiel. Zu groß ist die Zahl derer, die von der Not anderer profitieren. Da sind die Leute, die ihre Zelte in den Lagern untervermieten. Da ist die kleine, aber mächtige Gruppe skrupelloser Geschäftsleute, die wie Kriegsgewinnler die Marktpreise diktieren und in die Höhe treiben. Doch neben den negativen Beispielen gibt es eine große Gruppe Haitianer(innen), die ihr Leben selbst in die Hand nehmen. „Ich treffe hier jeden Tag Menschen, die arbeiten und weiterkommen wollen. Menschen, die mit aller Kraft eine bessere Zukunft und ein anderes Haiti aufbauen wollen“, erklärt Jean-Bosco Mbom. „Das gibt mir die Hoffnung auf ein anderes und besseres Haiti!“ Positive Zeichen sieht Mbom in den Reihen der Regierung, nachdem die durch das Erdbeben zerstörten Ministerien ihre Arbeit, allen Widrigkeiten zum Trotz, wiederaufgenommen haben. Auch das Engagement seitens der Kirche sei ein Lichtblick.
Wie wichtig ein funktionierender Staat und die Unterstützung der Kirche sind, erläutert Jean-Bosco Mbom am Beispiel des geplanten Neubaus eines Berufsbildungszentrums in Léogâne. Hier soll möglichst bald der Nachwuchs für das lokale Handwerk ausgebildet werden: Maurer, Schreiner, Elektriker. Das Konzept stammt von der kleinen, privaten Hilfsorganisation „Pro Haiti“ in Deutschland. Die Finanzierung des Projektes wird von Caritas international mit Spendengeldern gesichert. Der Bürgermeister von Léogâne erklärte sofort, dass er diese Fachschule in seiner Stadt haben wolle. Die Erzdiözese von Port-au-Prince stellte das dafür notwendige Baugrundstück in Léogâne zur Verfügung und will nach der Anlaufphase die Schulträgerschaft übernehmen. Das dem Bildungsministerium unterstellte Nationale Institut für Berufsbildung wird die Erarbeitung der Lehrpläne koordinieren und für die staatliche Anerkennung der Schulabschlüsse sorgen. Die Baupläne sind erstellt und müssen von den Behörden genehmigt werden. Und bevor der erste Spatenstich erfolgt, wollen die verschiedenen Akteure, um spätere Konflikte zu vermeiden, die Rahmenbedingungen ihrer Zusammenarbeit vertraglich regeln.
„Die Begeisterung für dieses Projekt ist bei allen sehr groß“, bestätigt Mbom. „Trotzdem mache ich mir Sorgen, dass diese anfängliche Begeisterung umschlägt, sobald wir uns mit den unzähligen täglichen Problemen herumschlagen müssen.“ Das fängt bei der Suche nach qualifizierten Arbeitskräften für den Bau an und hört bei den explodierenden Preisen für Baumaterialien und Transport auf. Schon vor dem Erdbeben lebte die große Mehrheit der Haitianer(innen) in extremer Armut. Mehr als die Hälfte der Haitianer(innen) kann nicht lesen und schreiben. Junge, gut ausgebildete Männer und Frauen hatten bisher kaum Chancen, in Haiti eine angemessen qualifizierte und bezahlte Arbeit zu finden. Viele haben ihrer Heimat den Rücken gekehrt. Sie fehlen jetzt für den Wiederaufbau und Neuanfang.
Es bewegt sich was
„Aber die Dinge bewegen sich, und das allein schon ist ein gutes Zeichen“, meint Jean-Bosco Mbom. „Alle ausländischen Caritas-Organisationen, die jetzt die Caritas Haiti unterstützen, haben ihre Konzepte erstellt und sind voll damit beschäftigt, ihre Hilfsprojekte umzusetzen, so wie wir auch“, berichtet er. Als Vertreter der deutschen Caritas koordiniert Mbom sich mit den Vertreter(inne)n der Caritas Haiti sowie den Kolleg(inn)en der anderen vor Ort tätigen ausländischen Caritas-Organisationen. Caritas international als Hilfswerk der deutschen Caritas ist beispielsweise schwerpunktmäßig in Léogâne, die Österreicher und Schweizer sind in Städten wie Gressier, Petit-Goave und Grand-Goave tätig. Jetzt geht es darum, Synergien zu nutzen, sich gegenseitig zu unterstützen, Behördengänge abzukürzen. Manches bleibt auf der Strecke, weil der tägliche Kampf mit den banalen Dingen des Lebens Zeit frisst: der regelmäßige Stromausfall, das Zusammenbrechen des Telefonnetzes, die nach Regenfällen unpassierbaren Straßen, die Versorgungsengpässe bei den Treibstoffen. Die Liste ist lang.
Mbom setzt in dieser Situation auf eine Politik der kleinen Schritte. Bei der Planung für den Wiederaufbau geht es sowohl um die unmittelbar von der Katastrophe Betroffenen als auch um die Hilfsbedürftigen im „Hinterland“. Caritas international unterstützt deshalb die Caritas der Diözese Anse à Veau, die weite Teile der Provinz Nippes umfasst. Viele Erdbebenopfer haben hier bei Verwandten und Bekannten Zuflucht gesucht. Père Rosemberg, Direktor der diözesanen Caritas, steht plötzlich vor der Aufgabe, Hilfe für einige Zehntausend Menschen zu organisieren. Doch wie soll er als „Einmannorganisation“ eine Verteilung von Hilfsgütern in 22 Pfarreien bewerkstelligen? Dazu benötigt er ein Netz von Mitarbeitenden und Freiwilligen in den Pfarreien. Jean-Bosco Mbom setzt sich dafür ein, dass der junge Caritasdirektor Hilfe erhält. Als Projektreferent unterstützt Jörg Kaiser von Ci von Freiburg aus das Team in Haiti. Er führt die Fäden zusammen und rekrutiert die Expert(inn)en. Antenor Rovida, ein in der Gemeinwesenarbeit erfahrener und langjähriger Mitarbeiter der Caritas Brasilien, begleitet und berät Père Rosemberg in seiner täglichen Arbeit. Ein erster kleiner Schritt!
Neben dem Wiederaufbau wird es vor allem darum gehen, die Lebensbedingungen der Menschen in Haiti dauerhaft zu verbessern. Ziel ist es, ein den Gegebenheiten angepasstes Modell zu entwickeln, das die Betroffenen, Erdbebenopfer und andere Hilfsbedürftige an einen Tisch bringt. Sie werden ihre Situation gemeinsam analysieren, ihre Bedürfnisse formulieren und Lösungsansätze erarbeiten. Als Ergebnis entstehen soziale Projekte, die alle Mitglieder einer Gemeinschaft einbinden. Als Akteure ihrer eigenen Geschichte werden sie lernen, sich zu vernetzen, auf gesetzliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen einzuwirken. Ein Ansatz, der mühsam ist und langwierig. Der aber nach allen Erfahrungen der erfolgreichste ist, weil die Menschen von Anfang an ihr Schicksal wieder selbst in die Hand zu nehmen lernen. Jean-Bosco Mbom sieht seine Mission erfüllt, wenn eine junge Generation in Haiti in dem Wissen heranwachsen kann, dass es Chancen für alle gibt und es an jedem Einzelnen liegt, diese zu ergreifen.