Traumatherapie für Geflüchtete
Menschen, die eine Flucht hinter sich haben, haben oft Schrecknisse, Ängste und Entbehrungen ausgestanden: in ihrer Heimat, die sie verlassen mussten, dann auf einer bisweilen sich über Jahre hinziehenden Reise, die sie mit Glück in ein sicheres Land wie Deutschland geführt hat. Nicht wenige von ihnen entwickeln aufgrund der erlebten Belastungen eine Traumafolgestörung. Um ihnen zu helfen, wurden die psychosozialen Zentren ins Leben gerufen. Rund 50 von ihnen bieten deutschlandweit Beratung und Psychotherapie für geflüchtete Menschen an - wie zum Beispiel in Ulm.
Hier gibt es zwei Anlaufstellen: zum einen das Behandlungszentrum für Folteropfer Ulm (BFU) für Erwachsene sowie an der Psychologischen Familien- und Lebensberatung der Caritas Ulm-Alb-Donau den Bereich "Traumatherapie für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung". Beide Institutionen arbeiten eng zusammen, so dass Familien ein verzahntes Hilfsangebot nutzen können. Die seit zehn Jahren bestehende Zusammenarbeit umfasst unter anderem einen Pool regelmäßig für diese Arbeit fortgebildeter Dolmetscher:innen, die gegenseitige Zuweisung Familienangehöriger, Fallbesprechungen und teilweise gemeinsame Finanzierungsanträge. Dolmetschende sind in dieser Arbeit unverzichtbar. Sie müssen nicht nur mindestens zwei Sprachen sehr gut beherrschen, sondern auch über die emotionale Stabilität verfügen, um die Inhalte der Therapiegespräche mittragen zu können.
Neben der therapeutischen Unterstützung bieten die Anlaufstellen auch Beratung zu Themen an, die im Alltag auftauchen: Erklärung der Verfahrensabläufe im Asylverfahren; emotionale Vorbereitung auf die Anhörung; Unterstützung beim Aushalten der Situation, länger auf einen Bescheid zu warten; Klärung von Konflikten. In der Beratungssitzung in der eigenen Sprache kommunizieren zu können, ist dabei von entscheidender Bedeutung. Das Gefühl, verstanden zu werden, ist für die Ratsuchenden enorm wichtig. Zu spüren, dass ihnen endlich jemand zuhört - nicht nur bei den Alltagsschwierigkeiten, sondern auch mit dem Gepäck des Erlebten, das sie zu tragen haben, kann das Gefühl der Unsicherheit abbauen.
Die Finanzierung ist jedes Jahr neu zu klären
Die Finanzierung der Arbeit gestaltet sich immer wieder schwierig, sie muss zum Erhalt des Personals für jedes Jahr neu organisiert werden. Die Stadt Ulm, das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU und der Zweckerfüllungsfonds der Diözese Rottenburg-Stuttgart tragen zu unterschiedlichen Anteilen zur Finanzierung bei. Die Bundesmittel wurden jedoch zuletzt Jahr für Jahr gekürzt, so dass Stellenanteile wegfielen. Die 3,75 Stellen, mit denen die Psychologische Familien- und Lebensberatung (PFL) in diesem Bereich zurzeit arbeitet, reichen für die Behandlung der Kinder keineswegs aus. Vor allem die sowieso gut vernetzten Familien finden durch die Netzwerkpartner ihren Weg zur PFL. Mit zugehender Arbeit einmal pro Woche an einer Gemeinschaftsunterkunft sollen auch jene erreicht werden, die keine Betreuer:innen haben, die sie dorthin vermitteln würden. Die 100 bis 130 Kinder, die die PFL pro Jahr versorgt, sind nur ein Bruchteil der Kinder, die therapeutische Versorgung benötigen würden.
Kinder und Jugendliche haben Verlust und Bedrohung erfahren
Kinder und Jugendliche, die aus unterschiedlichen Gründen mit oder ohne Eltern(teile) ihr Heimatland verlassen mussten, wurden herausgerissen aus ihren sozialen Alltagsbezügen, mussten Teile ihrer Familie wie Eltern, Geschwister oder Großeltern sowie ihr vertrautes Umfeld, ihre Sprache, manche einen Schulalltag und Freunde zurücklassen. Sie haben Erfahrung mit Verlust und auch mit Bedrohung: Familien erlebten Repressalien, wurden mit Gefängnis und Folter bedroht.
Geflüchtete Kinder und Jugendliche leben, wenn sie nicht allein gekommen sind, mit gleichfalls entwurzelten Eltern, die ebenso alles hinter sich lassen mussten, was ihnen vertraut war. Auch sie haben lebensbedrohliche Erfahrungen gemacht, Familienangehörige verloren und Bedrohung erlebt. Die Eltern wollen die Versorgung ihrer Familie sicherstellen, befinden sich jedoch im Aufnahmeland in einer fremden Kultur mit einer fremden Sprache und fremden Regeln.
Etwa ein Drittel der geflüchteten Erwachsenen, die traumatische Erfahrungen machen mussten, entwickelt eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) mit den dazugehörenden Symptomen: andauernde hohe Anspannung (mit erhöhter Schreckhaftigkeit, Angst), Vermeidung (von Erinnerungsreizen, Menschen, inneren Zuständen oder Situationen) und Intrusionen (Flashbacks, Alpträume). Dies sind sehr leidvolle Symptomatiken, die den Alltag stark beeinträchtigen können. Betroffene Eltern haben beispielsweise Schwierigkeiten damit, auf ihre Kinder angemessen zu reagieren, sie mit ihren Bedürfnissen wahrzunehmen, eine Tagesstruktur aufrechtzuerhalten oder emotional präsent zu sein. Sie spüren meist selbst, dass sie nicht die Eltern sind, die sie sein möchten, und leiden sehr unter ihren Beeinträchtigungen. Auf die Kinder wirkt das Verhalten der Eltern verwirrend. Sie verstehen etwa nicht, warum der Vater so reagiert: Warum ist er manchmal zugewandt und manchmal abwesend? Kinder suchen für das Unverständliche ihre eigenen Erklärungen. Entwicklungstypisch finden sie diese zuerst bei sich selbst und schlussfolgern: Ich bin nicht richtig. Ein Kind, das das Verhalten seiner Eltern als unvorhersehbar erlebt, ist die meiste Zeit mit der Suche nach Erklärungen dafür beschäftigt, es hat den Kopf selten frei für andere Dinge. Dass Eltern auch für sich selbst Behandlung erfahren, bedeutet eine enorme Entlastung für die Kinder.
Auch viele Kinder entwickeln eine Posttraumatische Belastungsstörung. Unter schlechten Alltagsbedingungen (beengte Wohnverhältnisse, überlastete Eltern, Eltern mit PTBS etc.) ist die Selbstheilung nach traumatischen Erlebnissen deutlich erschwert. Therapieplätze sind rar, insbesondere wenn die Deutschkenntnisse nicht ausreichen.
Therapie ermöglicht ihnen, ihr Potenzial zu entfalten
In der Therapie finden die Kinder Ausdrucksmöglichkeiten für das Leid, aber auch für die unglaubliche Stärke, die im Überleben des Leidvollen steckt, zum Beispiel im Rahmen von Kunsttherapie oder Psychodrama. Mittels Spiel, Kunst oder Gespräch lernen sie, ihre Emotionen zu äußern, und erleben bedingungsloses Interesse des Gegenübers. Sie erleben, dass sie richtig sind mit ihren Gefühlen, und finden Wege, diese zu regulieren. Viele schlafen bereits nach wenigen Therapiestunden besser, können sich besser konzentrieren und verstehen sich selbst mehr und mehr. So können sie ihr Potenzial entfalten und bekommen die Chance, ihre Zukunft in die Hand zu nehmen.
Zwei Fallbeispiele
Wie Psychotherapie geflüchteten Kindern und Jugendlichen hilft
Deniz, vier Jahre
Deniz kam mit seiner Mutter aus dem Erdbebengebiet der Türkei nach Deutschland. Ihr Wohnhaus wurde komplett zerstört; Vater, Großeltern, Tanten und Onkel kamen ums Leben. Wie durch ein Wunder überlebte die Mutter mit dem Vierjährigen. Doch sie hatten alles verloren. In der Gemeinschaftsunterkunft fällt Deniz sehr auf: Er ist ständig in Bewegung, rennt "kopflos" durch die Flure und ist von seiner Mutter kaum zu bändigen. Er kann sich keine zehn Sekunden lang konzentrieren, achtet nicht auf seine Umgebung und bringt sich so in Gefahr. Seine Mutter ist verzweifelt und am Rande ihrer Kräfte, sie versucht alles, um ihn zur Ruhe zu bringen. Bei einer Elternveranstaltung in der Unterkunft sprechen wir sie an und erklären ihr das Therapieangebot. Dankbar nimmt sie die Hilfe an, doch es dauert drei Monate, bis ein Therapieplatz für Deniz frei ist. In der Therapie, die Gespräche mit der Mutter umfasst, erfährt Deniz, dass er sich auch anders als durch panisches Herumrennen ausdrücken kann. Er wird verstanden in seiner Todesangst von damals. Im Laufe von zehn Monaten gelingt es ihm, das Vergangene in der Vergangenheit zu lassen und im Augenblick wahrzunehmen, was jetzt um ihn herum ist. Er reagiert angemessen auf die Reize der Umgebung und die Worte seiner Mutter. Geht er jetzt über die Flure, sehen wir ein aufgewecktes, interessiertes Kind, das mit der Umgebung in Kontakt ist.
Mohammad, 16 Jahre
Mohammad ist mit zwölf Jahren aus seinem Heimatdorf in den Bergen Afghanistans geflohen. Dort konnte er das Haus nicht verlassen, aus Angst, von Taliban aufgegriffen und als Kindersoldat zum Töten gezwungen zu werden. Zusammen mit einem Freund beschloss er, zu gehen. Auf dem jahrelangen Fluchtweg erlebte er Gewalt in jeder Form: Verletzungen durch Hundebisse beim Aufgriff durch Grenzposten, sexualisierte Gewalt, Prügel, Arrest, Kinderarbeit. Immer wieder kam er an einen Punkt, an dem ihm klar war: Wenn ich hierbleibe, werde ich sterben. Mit unglaublichem Willen zum Überleben schaffte er es, immer weiter zu fliehen.
In der Therapie kam er mit völlig neuen Denkweisen in Kontakt: Ich kann meine Gedanken verändern, ich kann meine Gedanken nutzen, um meine Gefühle zu steuern. Ich kann durch therapeutische Techniken die Erinnerungen so einsortieren, dass sie mich nicht täglich quälen. - Das eröffnete neue Welten für ihn. Die Lernblockaden und Konzentrationsstörungen lösten sich allmählich auf. Später schaffte er den Schulabschluss und fand eine Lehrstelle in der Altenpflege.