Sozialwirtschaft im Krisenmodus
Was willst du, dass ich dir tun soll?
(Lk 18,14)
Die krisenhaften Entwicklungen in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft machen seit geraumer Zeit auch vor Einrichtungen der Caritas nicht halt. Viele Verantwortliche in Vorständen und Aufsichtsgremien haben im Blick, dass sie sich ihnen stellen und für die Bewältigung nicht nur operative, sondern auch strategische Zukunftskonzepte entwickeln und diese theologisch reflektieren müssen.
An einem in der Praxis erprobten Vorgehensmodell lässt sich skizzieren, wie sich entsprechende strategische Entscheidungsoptionen entwickeln lassen. Es kann als eine Aufgabe sowohl von ganzen als auch von Teilen von Einrichtungen in verantwortlicher Weise umgesetzt werden. Dabei sollte auch der eigentliche Existenzgrund von Caritasträgern berücksichtigt werden.
Die aktuellen Branchenreports von Curacon zeigen, dass die Träger derzeit in einem wirtschaftlich sehr herausfordernden Umfeld arbeiten: Für das Jahr 2024 weisen 45 Prozent (Vorjahr: 60 Prozent) aller Träger der stationären Altenhilfe und 71 Prozent (Vorjahr: 48 Prozent) der Träger der Eingliederungshilfe (Wohnangebote) ein positives Jahresergebnis aus. Auch die Erwartungen für die Zukunft sehen nicht unbedingt besser aus: 46 beziehungsweise 32 Prozent gehen von einer schlechten wirtschaftlichen Entwicklung (Stand 9. September 2024) aus. Diese Daten deuten darauf hin, dass die Frage nach einer zukunftsfähigen Aufstellung der Angebote von Trägern von unverändert großer Bedeutung und eine Verbesserung der aktuellen Situation derzeit nicht zu erwarten ist.
Die oftmals prekäre Situation von Trägern tritt häufig in der Beratungspraxis auf. Die Entscheidung zur (Teil-)Aufgabe von Diensten und Einrichtungen wird dabei sehr oft (zu) spät, unter großem Zeitdruck oder angesichts einer drohenden Liquiditätskrise getroffen. Hierbei stehen dann verständlicherweise sehr deutlich finanzielle Fragestellungen im Vordergrund, um die Arbeit des Trägers zumindest in Teilen oder in veränderter Art und Weise fortführen zu können.
Gerade konfessionelle Komplexträger haben aus langjährigen Wachstumsprozessen heraus entwickelte, im Gemeinwesen fest verankerte und etablierte Leistungsangebote. Damit sind gerade Einrichtungen der Caritas ein in der Mitte der Gesellschaft verankertes Profil der Kirche. Sie erreichen Menschen, die nicht zur Kernmitgliedschaft gehören, und besitzen große Glaubwürdigkeit und Anerkennung in der Breite der Gesellschaft, unabhängig von religiösem Bekenntnis oder einer Kirchenzugehörigkeit.
Steuerung "nur auf Sicht" ist nicht ratsam, da diese nur reaktiv ist
Ein strategisches Zukunftskonzept kann hierbei vielfältige Optionen ganzheitlich in den Blick nehmen, die vorhandenen Chancen und Risiken betrachten und diese auch finanziell bewerten. Eine klare Strategie gewährleistet, dass zielgerichtet vorgegangen wird. Hierzu gehören Priorisierungen bei Investitionen ebenso wie eine qualitativ und wirtschaftlich ausgerichtete Steuerung im Unternehmen.
Wesentlich für den Erfolg ist es, Transparenz über Gründe für Entwicklungen, Wechselwirkungen und Entscheidungen für die Zukunft zu schaffen - dies nicht nur mit Blick auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern in gleichem Maße mit Blick auf die Hilfsbedürftigen, Angehörigen und die Öffentlichkeit.
Nicht immer ist der Öffentlichkeit bewusst, wie Hilfsangebote finanziert werden und warum es bei unzureichenden Refinanzierungsbedingungen zur Reduzierung oder Einstellung von Angeboten und Diensten kommen kann. Hilfsbedürftige, Angehörige, Mitarbeiterschaft und Öffentlichkeit erwarten gerade von der Caritas, dass mit begrenzten Mitteln dennoch möglichst viele Hilfen zur Verfügung gestellt werden.
Akzeptanz sichern in der Strategieentwicklung
In der Beratungspraxis wird ein sehr transparentes Vorgehen hinsichtlich der Erarbeitung einer Strategie innerhalb der Organisation präferiert. Die intensive Einbindung der Mitarbeitenden über alle Hierarchieebenen hinweg sowie eine gute Kommunikation während der Projektarbeit sichern aus der Erfahrung eine feste Verankerung der Ergebnisse in der Organisation. Dies ist gerade vor dem Hintergrund von Entscheidungen, bestimmte Dienste oder Einrichtungen nicht mehr fortzuführen, von großer Bedeutung und ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der späteren Umsetzung.
Für die eigentliche Strategieentwicklung hat sich in den Projekten ein Strategierad bewährt (s. Abb.): Über zehn strategische Handlungsfelder wurden eine Unternehmensstrategie, Bereichsstrategien (für unterschiedliche Hilfefelder) sowie Funktionalstrategien beispielsweise für die Bereiche Personal, IT, Finanzen etc. erarbeitet. Die aktuelle Situation, Stärken und Schwächen im Unternehmen sowie zahlreiche Analysen bilden hierfür die Ausgangsbasis in der Projektarbeit.
Das „Strategierad“ ist hilfreich in der Beratung.Curacon
Die eigentlichen Ausgangspunkte einer Strategieentwicklung
Die stark verankerte und glaubwürdige religiöse Grundlage bei Caritasträgern ist gerade in herausfordernden und "unsicheren" Zeiten von großem Wert, da sie Orientierung und Zuversicht stiften kann. Der eigentliche Existenzgrund der Organisation weist für viele Stakeholder, Mitarbeitende, Klient:innen, politisch Verantwortliche über die eigene Person und das eigene Handeln hinaus und wird von vielen Menschen auch religiös gedeutet und verstanden. Die entsprechende Abwägung der religiösen Dimension eines Caritasträgers sowie die entsprechende Einordnung und Begründung erfordern Zeit, die erfahrungsgemäß durch einen Träger investiert werden sollte. Die hierauf gefundenen Antworten und Begründungen können dann auch adressatengerecht in einer entsprechenden Kommunikation gegenüber externen und internen Stakeholdern berücksichtigt werden.
Gerade für Entscheidungen, bei denen es um eine Verkleinerung und gar Einstellung von Diensten und Einrichtungen geht, ist daher eine vorherige intensive Befassung mit Vision, Mission, Werten und Motivation von herausragender Bedeutung.
Die finanzielle Bewertung für die Beendigung eines Angebots ist in der Regel "handwerklich" durch die Vorgaben der Kostenträger vorgegeben und bildet damit den Rahmen für das betriebswirtschaftliche Agieren des Trägers. Eine konsequente Ausrichtung und die Nutzung beziehungsweise rechtliche Klärung, wo notwendig, dieser Rahmensetzungen ist die Grundlage, um mit diesen grundsätzlich begrenzten finanziellen Ressourcen eine bestmögliche Dienstleistung für die Nutzer:innen zu erbringen und damit der eigenen Zielsetzung als Träger gerecht zu werden.
Fazit: Eine Strategie ist von großer Bedeutung bei Entscheidungen
Eine Strategie ist für Caritasträger gerade vor dem Hintergrund, dass etablierte Angebote nicht mehr fortgeführt werden können, von großer Bedeutung und gewährleistet somit ein strukturiertes Vorgehen bei der Bewältigung aktueller und zukünftiger Risiken. Die Entscheidung über die Einstellung von Diensten sollte hierbei nicht eindimensional aus einer rein finanziellen Perspektive heraus getroffen werden. Vielmehr kann eine Lösung für strategisch nicht mehr tragfähige Dienste auch die Abgabe an einen anderen Träger als eine Möglichkeit zur weiteren Sicherstellung der Angebote sein und dabei im Interesse der Nutzer:innen und der Mitarbeitenden liegen.
Der Ausgangspunkt für diese Überlegungen und Abwägungen kann dabei der wertegeleitete Existenzgrund der eigenen Organisation sein, der seinen Ausdruck in der Vision, Mission, den Werten sowie der Motivation der eigenen Organisation findet. Ohne eine Berücksichtigung dieser Dimension ist die Gefahr des Scheiterns der Strategie, eines Reputationsverlustes bei wesentlichen Stakeholdern sowie einer dauerhaften Beschädigung des eigentlichen Wesenskerns groß.